Marisha Pessl – Die amerikanische Nacht
admin | Posted 16/10/2013 | Belletristik, Krimi | Keine Kommentare »Hat sie nun abgeschrieben oder nicht? Völlig unerheblich, meinen wir – denn wer sich auf Marisha Pessls neuen Roman „Die amerikanische Nacht“ einlässt, muss wissen, was er tut – zu gross ist der Sog, der das Werk bei jedem Leser auslösen wird.
Text: Dominik Roth
Klar, die Parallelen zu Theodore Roszaks „Schattenlichter“ sind da. Darin geht es um einen geheimnisvollen Filmemacher, der mit seinen Werken durch subtile Mittel die Angst und Furcht des Betrachters auf die Spitze treibt. Ein Filmwissenschaftler jagt dem Phantom, dessen Schaffen nur schwer zugänglich ist, hinterher und versucht, dessen dunkles Geheimnis zu erforschen.
Kommen wir zur Handlung von „Die amerikanische Nacht“. Darin geht es um einen geheimnisvollen Filmemacher, der mit seinen Werken durch subtile Mittel die Angst und Furcht des Betrachters auf die Spitze treibt. Ein Journalist jagt dem Phantom, dessen Schaffen nur schwer zugänglich ist, hinterher und versucht, dessen dunkles Geheimnis zu erforschen.
Und doch geht es bei Pessl noch um viel mehr. Wo Theodore Roszak, eigentlich selbst Wissenschaftler, sich zwischen seiner Geschichte über Filmhistorie, die Wirkung von Bildern und allerlei anderen theoretischen Dingen auslässt, entwickelt die Jungautorin (immerhin erst 37 Jahre alt) unglaublich packende Szenarien, die den Leser immer tiefer in die Geschichte ziehen.
Scott McGrath ist dieser angesprochene Journalist, der hinter Stanislas Cordova her ist, seines Zeichens Regisseur einiger recht fragwürdiger Streifen. Wer einen seiner Filme gesehen hat, sei nicht mehr derselbe Mensch, manch einer traue sich nicht mehr in dunkle Räume. Der Filmemacher selbst lebt völlig zurückgezogen, kaum ein Mensch hat Zugang zu ihm, sein Oeuvre ist wegen dessen Wirkung auf den Rezipienten kaum zugänglich und schwer aufzutreiben. Und trotzdem gibt es genug Anhänger, die sich in Internetforen über die Filme, die Schrecken verbreiten wie kein anderes Werk in der Geschichte der Menschheit, austauschen und Stanislas Cordova wie einen Messias feiern.
Schon vor Jahren hat McGrath versucht zu ergründen, was dieser ominöse Regisseur auf seiner abgeschiedenen Farm, auf deren Gelände die Filme entstehen, wirklich treibt. Während eines Interviews lässt er sich aufgrund eines Informanten aus dem Dunstkreis Cordovas zur Aussage hinreissen, er stelle irgendwas mit seinen Kindern an. Die Verleumdungsklagen des Beschuldigten lassen nicht auf sich warten – finanziell ist der Reporter erledigt, sein Privatleben geht in die Brüche.
Eigentlich will er fortan nie wieder etwas mit Stanislas Cordova zu tun haben. Bis er eine SMS bekommt: Cordovas Tochter ist tot aufgefunden worden. Also klemmt er sich doch wieder hinter die Geschichte, diesmal bekommt er Unterstützung von zwei Mitstreitern. Immer näher kommen sie dem unheimlichen Treiben Cordovas auf die Schliche – bis zu einem finalen Showdown, der noch lange nachhallt.
Wie Marisha Pessl trotz der knapp 800 Seiten starken Lektüre den Leser auf diesen Showdown hinpeitscht, ist bemerkenswert. Die stringente Handlung, die an keiner Stelle mehr verrät, als die Protagonisten des Buches selbst wissen, wird unterbrochen von Zeitungsausschnitten, Polizeiberichten, Transkriptionen und Screenshots aus den Fanforen Cordovas. Auch deshalb ist „Die amerikanische Nacht“ eine komplett andere Leseerfahrung als „Schattenlichter“. Ob sich Marisha Pessl, die sieben Jahre gebraucht hat, um jetzt ihren erst zweiten Roman vorzulegen, tatsächlich hat – nun, nennen wir es mal – „inspirieren lassen“: geschenkt. Würde es eine literarische Version der im Roman beschriebenen Filme Cordovas geben – sie wäre der amerikanischen Nacht nicht unähnlich.