Das Haupt der Welt
admin | Posted 01/11/2013 | Die Redaktion empfiehlt | Keine Kommentare »Hach, das Mittelalter – das waren noch Zeiten! Dunkle Ränkeschmiede, lichtscheues Gesindel, edle Rittersleut’, holde Burgmaiden mit wallendem güldenen Haar. Tatsächlich gibt es wohl kaum eine Epoche, die seit jeher so vielfach die Phantasie von Literaten beflügelt hat. Es müssen ja nicht immer gleich Drachengeschichten sein. Dass auch heutzutage Romane mit spannender Handlung aus dieser Epoche entstehen, ist kein Geheimnis. Rebecca Gablé zählt mit zu den besten Autorinnen der Mittelalter-Zunft…
Text: Dominik Roth
Was haben wir nicht alle mehr oder weniger gelitten im Geschichtsunterricht. Dröge und unglaublich langweilig zogen sich die Lehreinheiten über Kreuzzüge, uns unwichtig erscheinende Bündnisse, Landerweiterungen, usw. hin. Klar, Zahlen- und Datenklopperei haben wenig Aussage über die Geschichte hinter der Geschichte. Gerade aber das Mittelalter bietet alles, was das menschliche Gemüt an Typen und Regungen so produziert: machtbesessene Despoten, kriegswillige Tyrannenherrscher, kühle Strategen, blutige Schlachten, unzerstörbare Banden der Freundschaft, hinterhältiger Verrat, ausschweifender Sex. Doch haben wir davon von unseren Lehrern erfahren? Nein. Dabei geht es doch auch anders.
Zum Beispiel in Rebecca Gablés neuem Werk „Das Haupt der Welt“. So wurde seinerzeit der römisch-deutsche Kaiser Otto I. bezeichnet – 962 n. Chr. war das. Und genau um diesen mal mehr, mal weniger netten Herren geht es mitunter in dem Roman. Aber fangen wir mal von vorne an.
Die Slawen und die Sachsen mögen sich nicht so sehr in jener Zeit. Tugomir, slawischer Fürstensohn, wird an den Hof des sächsischen Herzogs Heinrichs I. verschleppt. Statt sein Leben im tiefsten Kerker zu fristen, gelingt es ihm bald ein Vertrauensverhältnis zu seinen Feinden aufzubauen: er heilt Heinrichs Sohn Otto von einer Krankheit, an deren Ende eigentlich der Tod erwartet wurde. Fortan wird Tugomir respektiert. Trotzdem fühlt er sich fehl am Platz – vor allem dem christlichen Glauben, der am sächsischen Hofe herrscht, kann der Slawe nichts abgewinnen. Als Heinrich stirbt, soll Otto den Vorzug auf die Thronbesteigung vor allen anderen Anwärtern bekommen. Dass sich dadurch auch vieles für den aus seiner Heimat Entführten ändert, ist klar – längst ist eine Freundschaft zu dem potentiellen Neuherrscher entstanden. Aber noch immer kämpfen die Sachsen gegen die Slawen. Wie wird Tugomir also seinen Einfluss auf Otto einsetzen? Welche Ziele verfolgt er?
Fragen über Fragen, deren Erforschung nach der Antwort ein vergnügliches Leseerlebnis bedeuten. Denn wenn Rebecca Gablé etwas beherrscht, dann ist es die mühelose Beschreibung des damaligen Lebens in all seinen bunten und dunklen Facetten. Von Anfang an wirft sie ihre Leserschaft mitten hinein in die Story, äusserst selten plätschert die Geschichte wie ein fröhlich rauschendes Bächlein vor sich hin, denn schon auf der kommenden Seite lauert – BÄMM – der nächste Verrat, ein Schicksalsschlag, stehen neue Entwicklungen, welche die Vorzeichen für die Handlung komplett umdrehen und durcheinanderbringen.
Aber so war es wohl damals, in einer Zeit, in der fast täglich die Herrschaftsgebiete durch Krieg oder geschicktes Verheiraten neu verteilt wurden. Die hohe Schlagfrequenz an Momenten mit inhaltsrelevanten Motiven, die Rebecca Gablé vorlegt, sucht ihresgleichen. Und so kommt es schon mal vor, dass sich die knapp 860 Seiten in wenigen Tagen weglesen wie sonst nichts. Dass dabei trotzdem ein absolut plastisches Bild der damaligen Lebensumstände entsteht, ist das Erfolgsgeheimnis der Autorin.
Geschichte ist langweilig? Wer so denkt, darf gerne zu „Das Haupt der Welt“ greifen und seine Meinung revidieren. Auf jeden Fall sollte sich jeder potentielle Geschichtslehramts-Anwärter damit befassen: Leute, so erzählt man Historisches!