INTRIGE von Robert Harris

admin | Posted 27/11/2013 | Belletristik, Krimi | Keine Kommentare »

Irgendwann pfiffen es selbst die Spatzen von den Dächern Paris’: Alfred Dreyfus ist unschuldig. Trotzdem galt der französische Offizier Ende des 19. Jahrhunderts lange Zeit als Whistleblower, der den Deutschen Militärgeheimnisse weitergegeben hatte. Warum diese Affäre Frankreich in eine tiefe politische, aber auch moralische Krise gestürzt hat, erfahren wir von Robert Harris – unserem heimlichen Lieblings-Geschichtslehrer…

Text: Dominik Roth
Man schreibt das Jahr 1894, als eine für den französischen Nachrichtendienst arbeitende Putzfrau ein zerrissenes Dokument aus dem Papierkorb der Deutschen Botschaft fischt. Ganz klar: hier hatte ein Artillerieoffizier streng vertrauliche Papiere weitergereicht. Ein Schuldiger wird mit Alfred Dreyfus – seinerzeit der einzige mit jüdischer Herkunft im französischen Generalstab – schnell gefunden. Doch die Anschuldigungen beruhen auf fadenscheinigen Indizien, Widersprüchlichkeiten werden aussen vor gelassen – man will auf Biegen und Brechen dem Volk den jüdischen Verräter präsentieren.

Ein Jahr später – Dreyfus ist längst verurteilt und auf die sogenannte „Teufelsinsel“ in Französisch-Guayana verbannt, wo er zeitweise von fünf Männern gleichzeitig bewacht wird – erhält der Offizier Marie-Georges Picquart den Auftrag, neue Beweise zu finden, welche die Schuld des Verurteilten belegen sollen. Denn ganz Frankreich ist zutiefst gespalten – die einen hegen keinen Zweifel an dem Verrat und nutzen diesen, um antisemitisches Gedankengut zu streuen. Die anderen sehen in dem Gerichtsprozess von Anfang an die Farce, die sie tatsächlich auch war. Picquart – der selbst an die Schuld Dreyfus’ glaubt – findet ziemlich schnell heraus, dass Beweise zu Ungunsten des Verurteilten gefälscht wurden und teilt dies seinen Vorgesetzten mit. Dass diese davon wenig begeistert sind, versteht sich von selbst. Also versucht man, auch Picquart mundtot zu machen. Doch selbst dessen Versetzung nach Algerien und Tunesien ändert nichts an seiner Hartnäckigkeit, den Gerichtsprozess wieder neu aufrollen zu lassen.

Beweisfälschung, Rücktritte und Stürze von Politikern, Strassenkrawalle, Attentate, ein versuchter Staatsstreich: ja, die Auswirkungen der Dreyfus-Affäre bietet genügend historischen Stoff für einen spannungsgeladenen Thriller. Wer anders als Robert Harris, der uns in seinem bisherigen Oeuvre nach Nazideutschland und sogar ins römische Imperium mitgenommen hat, könnte dafür als Schriftsteller besser geeignet sein? Die Dreyfus-Affäre war eine einzige grosse „Intrige“ – so lautet auch der schlichte deutsche Verlagstitel des Romans. Und was hat der Autor dafür schon wieder auf sich genommen – wie gehabt ist die Geschichte hervorragend recherchiert, und mit Marie-Georges Picquart, aus dessen Sicht erzählt wird, hat Robert Harris einen wunderbaren Charakter als Stimme des Buches gefunden.

Überhaupt scheint es keinen günstigeren Zeitpunkt für die Veröffentlichung zu geben als jetzt: ein aus der Kontrolle geratener Geheimdienst, Militärgeheimnisse, die weitergegeben werden: hört sich doch alles ziemlich aktuell an, oder nicht? Mit dem Unterschied, dass die US-Regierung mit Edward Snowden kein Bauernopfer finden musste, sondern dieser tatsächlich „Täter im Sinne der Anklage“ ist – und vielen als Held gilt.

Alfred Dreyfus übrigens wurde erst 1906, sieben Jahre, nachdem er begnadigt wurde, vollständig rehabilitiert. Wer auf unterhaltsame Weise mehr über einen der grössten Skandale der neueren Geschichte wissen möchte, der möge zu Robert Harris’ neuestem Werke greifen.

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