Wozu das eigentlich alles? Was darf, soll, muss Literaturkritik? Und was gilt es unter allen Umständen zu vermeiden? Brauchen wir eigentlich Literaturkritik? Ist sie nicht immer nur ein subjektiver Eindruck, ist ein aus der Lektüre hervorgegangenes Werturteil nicht sowieso immer Geschmacksfrage? Gestern wurde im Literarischen Zentrum Göttingen angeregt darüber diskutiert, vornehmlich von Stefan Mesch (Journalist, Buchkritiker, Blogger) und Harun Maye (Literatur – und Medienwissenschaftler). Mara von Buzzaldrins war dabei und hat einen Bericht geschrieben, der nachdenklich stimmt und genug Stoff für Diskussionen, auch über die Veranstaltung hinaus, bietet.
Es sollte um die Demokratisierung von Literaturkritik gehen, um die Freiheit jedes Einzelnen, sich zu Literatur zu äußern und gehört zu werden. Was früher den intellektuell angehauchteren Stammtischen vorbehalten war, darf und kann nun dank des Internets weit über Städte – und Ländergrenzen hinaus verbreitet werden. Ob das eine Errungenschaft oder doch eher die schicksalhafte Heraufbeschwörung jener Geister ist, die man rief und nicht mehr beseitigen kann – darüber gehen die Meinungen auseinander. Schon Sigrid Löffler sagte in einem Interview, die Literaturkritik sei nichts für Laien, für lesende Hausfrauen und Dilettanten. Etwas diplomatischer sagte sie es zwar, doch letztlich blieb die Quintessenz: Literaturkritik sollte in den Händen derer bleiben, die sich qua ihrer Ausbildung ein fachlich fundiertes Urteil erlauben können.
Auch Harun Maye äußert nun Bedenken hinsichtlich dieser Demokratisierung. Zu oft seien Rezensionen in Buchblogs bemühte Kopien des Feuilletons oder gar ausgeschmücktere Klappentexte. Großartig, toll, fantastisch, langeweilig und öde – tiefer dringen viele Rezensionen von Literaturblogs nicht in die Materie ein. Die Gräben scheinen unüberwindbar. Die klassische Literaturkritik sieht ihre Autorität schwinden – viele Verlage bemerken stirnrunzelnd, dass sie sich gar nicht mehr so sicher sind, wie viele Leser ein Artikel im Feuilleton tatsächlich erreicht – und neigen womöglich, bedingt durch eben diesen Verlust, dazu, sich durch Literaturblogs in ihrer Berufsehre gekränkt zu sehen. Wozu haben sie jahrelang studiert, wenn nun eine Hausfrau zwischen Kind füttern und Wäsche aufhängen, iihr “Totaaaal toll und wunderschön, kauft unbedingt dieses Buch” in die Tasten haut. Es mangelt vielfach an Offenheit, am Interesse aneinander. Manchmal ist es vielleicht auch ein Generationenkonflikt, der sich leise in dieser Debatte Bahn bricht.
Hier scheint aber, bei den studierten Literaturkritikern, durchaus ein Missverständnis darüber vorzuherrschen, was Literaturblogs sind und wie sie funktionieren. Vielleicht in ähnlicher Weise, wie E-Books die mehr oder weniger entmaterialisierte Bedrohung des gedruckten Buchs sind, bedeuten Literaturblogs die schändliche Verwässerung einer Intellektuellendomäne. Aber eben genauso, wie E-Books eine Ergänzung zum gedruckten Buch bieten, können Literaturblogs eine Ergänzung zum klassischen Feuilleton sein, das sich oft trocken und gleichförmig den immer selben Büchern annimmt. Vertreter kündigen bei ihren Besuchen bereits an, dieses oder jenes Buch, noch gar nicht erschienen, bekäme richtig gute Presse. Wie viel Authentizität steckt noch in diesem kleinen abgezirkelten Betrieb? Literaturblogger können hier eine erfrischende Gegenkultur sein – hier können Bücher Platz finden, die in den Feuilletons nicht erwähnt werden, Romane, die schon einige Jahre auf dem Buckel haben und deshalb längst aus dem Radar der konventionellen Presse verschwunden sind. Hier gilt es, stets aktuell zu sein und das Neuerscheinungskarrussel mit anzutreiben, – Blogger können entschleunigen!
Fraglos gibt es im Bereich der Literaturblogs massive Qualitätsschwankungen. Die, das ist vollkommen unbestritten, gibt es aber in den Printmedien und jedem anderen denkbaren Bereich, in dem Menschen etwas schaffen und ausstellen, in ähnlicher Weise. Das Problem liegt hierbei nicht in der fragwürdigen Qualität so mancher, sondern in der Neigung vieler, diese Erscheinungen als stellvertretend für eine ganze Masse anzusehen, die sich um eine andere Darstellung von Literatur bemüht. Statt nach denen zu suchen – und es gibt sie – besinnt man sich lieber auf seine ersten Eindrücke. Dabei gibt es genügend Informationsmöglichkeiten – hier sei nur die Interviewreihe von Gesine von Prittwitz genannt, die sich schon seit langem mit der bibliophilen Bloggerwelt beschäftigt. Und weshalb – auch an anderer Stelle wurde diese Frage bereits gestellt – lässt man überwiegend Menschen über Literaturblogs diskutieren, die selbst keinen betreiben oder nur wenig mit der Szene zu tun haben? Auf einer Schulung Klaus Bramanns, der Lehrbücher für werdende Buchhändler verlegt und Buchhandelsunternehmen berät, sagte der auf die Frage, wie er das Phänomen Social Reading beurteile, staubtrocken: “Diese Frage habe ich mal ausgelassen, weil ich das alles für vollkommen überbewertet halte.” Kein Interesse. Die Schotten sind dicht.
Das Feuilleton kopieren zu wollen, wie Harun Maye es vielen Literaturblogs vorwarf, ist vielleicht gar nicht so sehr Anliegen der Literaturblogger. Einige fühlen sich aber womöglich, aus oben dargelegten Gründen, dazu genötigt – denn vielfach ist es ja das Feuilleton, das ernstgenommen wird, während Literaturbloggern von fachlicher Seite die Kompetenzen für ihr Tun angesprochen werden. Weshalb Literaturblogs nicht als parallele Strömung begreifen? Als das Angebot und die Möglichkeit, über Literatur zu sprechen, für Literatur zu begeistern? Weshalb nicht den Mittelweg finden zwischen intelektuell-analytischer Betrachtung im Feuilleton und der etwas persönlicheren Form der Besprechung im Literaturblog? Für beides gibt es ein Publikum, in beiden Bereichen gibt es talentierte und leidenschaftliche Menschen. Weshalb lieber Grabenkämpfe austragen, statt sich gegenseitig zu inspirieren? Vielleicht sind manche Denkmuster da doch zu festgefahren, der Tellerrand zu hoch, um darüberzuschauen. Noch. Man soll ja niemals nie sagen.
Ein interessanter Artikel zum Thema findet sich auch auf Philea’s Blog.
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