Vielleicht wäre Nies’ Leben ja ganz anders verlaufen, wenn seine Eltern nicht im Lotto gewonnen hätten. Wenn sie nicht, angesichts dieses unerwarteten Geldsegens, darauf verfallen wären, ihren Lebenstraum wahrzumachen und nach Kanada auszuwandern. Wenn er sich nicht von einer Bäckereifachverkäuferin eine Straße empfehlen lassen und beim Bestatter angefangen hätte. Kai Weyand erzählt eine charmante Geschichte von Leben und Tod, die ausnehmend komisch und herrlich skurril geraten ist!
Wenn du stirbst, klatsche ich für dich, sagte er, noch bevor er NC aus seiner Umarmung entließ und sich wieder um die Särge kümmerte.
Wenn die eigenen Eltern plötzlich nach Kanada auswandern und ihren Söhnen eröffnen, dass das ohne sie geschehen wird – weil der eine ja schon so groß und selbständig ist und der andere es sicher bald werden wird -, muss man dagegen mit den verfügbaren Mitteln rebellieren. Nies benennt sich um. Fortan heißt er nicht mehr Nies, was ja ohnehin ein eher spezieller Name ist, eine Abkürzung von Dionysos, um genau zu sein. Er nennt sich NC. No Canadian. Seine Eltern beeindruckt das wenig, sie packen trotzdem ihre Koffer. Und Nies zieht mit seinem älteren Bruder Bernd in eine gemeinsame Wohnung. Während Nies ein eher verträumter Junge ist, der sich von seinen Gefühlen auch manchmal überrollen lässt, ist das Leben für seinen Bruder Bernd eine einzige Kosten-Nutzen-Rechnung. Insofern eigentlich nur folgerichtig, dass er Karriere bei der Bank macht. Man kann alles in Zahlen ausdrücken.
Nach seinem Schulabschluss versucht Nies sich in verschiedenen Berufen, in der Systemgastronomie, dem einfachen Hausmeisterjob. Doch nichts davon erfüllt ihn länger, eine todbringende (!) Routine hat sich in seinen Alltag eingeschlichen. Und als er eines Tages in der Bäckerei der Frau März begegnet, einer fülligen Verkäuferin mit etwas Mehlstaub im Haar, lässt er sich von ihr nicht nur ein Gebäckstück empfehlen, sondern auch eine Straße, in die sein Spaziergang ihn führen soll. Nies lässt sich gern treiben, stellt ungewöhnliche Fragen, an sich und das Leben gleichermaßen. In der empfohlenen Holpenstraße angekommen, führen ihn Zufall oder Schicksal vor die Türen eines Bestattungsinstitus. Der Inhaber ist ein Mann, der zwar aussieht wie Abraham Lincoln, eigentlich aber Manfred Wege heißt.
Andererseits klang Bestattungshelfer altmodisch, und das gefiel ihm. Es war kein Wort, das sich wie so viele aufgemacht hatte nach Übersee, die als Buchhalter und Verkäufer gestartet und als Billing Manager und Key Accounter zurückgekehrt waren. Lieber wollte er Bestattungshelfer als Death Organizer sein, dachte er.
Es kommt, wie es kommen muss: Nies wird, sehr zum Schrecken seiner Familie, Bestattungshelfer bei Manfred “Lincoln” Wege, seiner kleinwüchsigen Frau Sabine und Viktor, dem kasachischen Gewichtheber. Die Arbeit mit den Toten macht ihn glücklich auf eine Weise, wie es bisher keinem seiner Berufe gelungen ist. Er fühlt sich nützlich und mit einer Aufgabe betraut, die man kaum hoch genug einschätzen kann. Kai Weyand gelingt es in seinem Roman, gleichzeitig unheimlich komisch und ehrlich respektvoll über den Tod zu schreiben, was, denkt man einen Augenblick darüber nach, wahrscheinlich die beste Art überhaupt ist, darüber nachzudenken. In etwas ehrfürchtigem Abstand, wachen Blicks und lachenden Auges. Nun mag man sich vielleicht fragen, wo der titelgebende Bronikowski ins Spiel kommt. Sein glanzvoller Auftritt ist den letzten Seiten des Buches vorbehalten.
Der alte Bronikowski, sagte er, noch im Tod ist er zu schauspielerischer Höchstform aufgelaufen und hat die Rolle, die er spielen musste, gspielt, wie sie nur jemand spielen kann, der einverstanden ist mit den Zumutungen, die der Tod bereithält. Und deshalb schenken wir ihm zum Schluss den Applaus, der ihm gebührt.
Vielleicht kann Bronikowski in der gezwungenermaßen stoischen Duldsamkeit seines Ablebens uns allen ein Vorbild sein. Und Kai Weyands Roman ein erfrischender und humorvoller Blick auf die Vergänglichkeit. Nicht nur die eigene, auch die der anderen. Um sich an ,Applaus für Bronikowski’ zu erfreuen, kann es nicht schaden, ein bisschen schwarzen Humor mitzubringen und, wenn es passt, auch eine leichte Schulter, auf die man das eine oder andere nehmen kann. Dann wird es Freude machen.
Kai Weyand: Applaus für Bronikowski, Wallstein Verlag, 188 Seiten, 9783835316041, 19,90 €
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