Non-Book boomt
Jenseits von Thalia
Aufgrund der „anhaltenden Umsatzverschiebungen aus dem stationären Handel ins Internet“ erweitert Thalia das Angebot im Non-Book-Bereich: „Die Spielwarenkompetenz werde die Hagener Buchhandelsgruppe künftig an den US-Spielwarenkonzern Toys“R“Us abtreten.“
Als nächsten Schritt plant man, die Lebensmittelkompetenz an Edeka abzugeben. Damit sei man in Zukunft auch gegen die Onlinekonkurrenz gut aufgestellt: „Das ist für uns der nächste, logische Schritt“, so ein Filialleiter via Twitter. Man wolle die Konsumenten mit Nahrungsanreizen vom kalten Computerscreen weg und in die Geschäfte im meatspace locken.
Mit dem neuen Lebensmittelangebot erhofft sich Thalia aber nicht nur einen steigenden Absatz von Kochbüchern. Man will auch „neue Wege in der Belletristik gehen“. In Zukunft werden Bücher vor allem in Lebensmittelbundles verkauft: Zur Flasche Whiskey gibt es „Wem die Stunde schlägt“, zum Krustenbrot den „Fänger im Roggen“ und zur Packung Xanax erhält man „Unendlicher Spaß“. Dazu wird gekocht. Dinah Fried richtet schon mal an.
Thalias Abgabe von Kompetenzen ist ein Symptom der Überforderung. Die ergibt sich allerdings nicht aus sinkenden Verkaufszahlen, mit denen die Branche ja schon seit Jahrzehnten zu kämpfen hat. Es fehlt schlicht an Ideen, wie sich ein auf das Medium Buch fixiertes Weltbild verflüssigen und in den Flow des Netzes einspeisen läßt. Deshalb werden derzeit neue Verwertungsmodelle für veraltete Formate gesucht. Und nicht gefunden. Das Burn-Out des Betriebs scheint nur eine Frage der Zeit.
Die wahrhaftig nächste Literatur wird agieren, statt zu reagieren: Sie wird zunächst die Literaturkompetenz sanft aus den Händen der von der Gegenwart überforderten Geschäftsführer nehmen, um dann die Produktpalette radikal und mit Lust statt mit schlechtem Gewissen zu erweitern. Denn die nächste Literatur ist Text, Spielzeug, Lebensmittel, Verkaufsplattform und Diskurs zugleich.
So gesehen, ist die neue „Interdisziplinarität“ von Thalia geradezu visionär. Nur wird die nächste Literatur nicht wie Thalia die Kompetenzen abgeben. Sie wird sich mit ihnen vollsaugen.