“Wir müssen lernen, die Formatfrage zu stellen”

Wie der Soziologe Dirk Baecker einmal die Buchbranche nervös machen wollte

Dirk Baecker

Dirk Baecker © zeppelin university

Der Soziologe Dirk Baecker hat sich nicht nur Gedanken über “die nächste Gesellschaft” gemacht, sondern auch über die nächste Literatur, die in den nächsten Büchern erscheint. Das passende Interview dazu muss man allerdings in der Vergangenheit suchen – im Archiv des Zentralorgans des Börsenvereins deutschen Buchhandels.

Damit hat Baecker ausgerechnet jener altehrwürdigen Institution, die ihren Vorsitzenden noch auf jeder Festveranstaltung die überholte Utopie der alten bildungsbürgerlichen Buchkultur beschwören lässt, schon 2009 erklärt, über was man in der Buchbranche dringend nachdenken muss.

Nicht nur sagt er voraus, “dass die Verlage bald ganz anders aussehen als heute”. Auch rät er: “Die Bücher müssen nervöser werden. Sie müssen zwischen Medien wechseln.” Auf Leser, die mal in den Ferien die Zeit hätten, ein dickes Buch zu lesen, sollte man auf jeden Fall nicht mehr hoffen.

So ist es immerhin drei Jahre her, dass Baecker auch gleich ein Konzept für E-Books mit entworfen hat. Das digitale Buch, wie Baecker es sich denkt, orientiert sich an den Fragmenten der Romantiker. Es ist multimedial. Es ist nicht-linear. Und es ist in der Lage, seinen Leser zu überraschen. “Ich habe von Philologen gelernt, dass man heutzutage nur die ersten 10 Seiten eines Buches lesen muss, um bereits den Rest erraten zu können”, sagt Baecker. “Für das nervöse Buch würde das nicht gelten. Es entscheidet sich gegen die Redundanz und sucht die Varietät.”

Damit hat Dirk Baecker 2009 keineswegs die letzte Antwort zu den neuen Bedingungen und Möglichkeiten der nächsten Literatur gegeben. Stattdessen hat er mit seinen knappen Thesen die klassische Rolle des irritierenden Beraters für eine Krisenbranche übernommen.

Und da die Krise nicht aufgehört hat, lohnt es sich, das Interview einfach nochmal zu lesen. “Wir müssen es lernen”, meint Baecker, “hier wie auch in anderen Branchen die Formatfrage wieder zu stellen.” Und die stellt man eben nicht nur einmal. Man stellt sie immer wieder. Auch das ist eine Aufgabe der nächsten Literatur.