Vom ABC zum ATCG

Das nächste Buch erscheint im DNA-Format

Wer mit der nächsten Literatur zu tun hat, muss sich nicht nur dauernd die Formatfrage stellen. Man muss auch bereit sein, sich von den Antworten überraschen zu lassen.

Diesmal überrascht uns der Harvard-Biologe George Church. Im Oktober wird sein neues Buch erscheinen, das den Titel Regenesis trägt. Es beschäftigt sich damit, wie die synthetische Biologie die Natur und uns selbst neu erfindet. Aus dieser Perspektive wird Belebtes und Unbelebtes gleichermaßen als Format verstanden, das nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch anders formatiert werden könnte. Man muss es nur wollen.

Doch bevor sich Church an den Umbau des Menschen wagt, denkt er erstmal über die Transformation der Bücher nach. Sein eigenes bringt er nicht nur als gebundenes Werk und als eBook auf den Markt. Aufbereitet wird es auch in Form künstlicher DNA.

Dafür hat der Genomforscher seinen Text samt Abbildungen und einem dazugehörigen Programm in binären Code zerlegt, um den dann in die Bausteine der Desoxyribonukleinsäure A, T, C und G zu übersetzen. Was dabei herauskommt, ist nicht nur sensationell klein. Denn hier lassen sich gut 70 Millionen Ausgaben im Mikroskopbereich verstauen. Darüber hinaus ist, was in Form von DNA gespeichert wird, extrem haltbar. “You can drop it wherever you want”, sagt Church, “in the desert or your backyard, and it will be there 400,000 years later”.

Damit dürften sich nicht nur all jene für das neue Format interessieren, die überlegen müssen, wie man die gigantischen Datenmengen verfügbar hält, die unsere Kultur hervorbringt. Interessieren werden sich auch jene Autoren, die es darauf anlegen, noch von der Nachwelt gelesen zu werden.

Zur Hand haben muss man dafür allerdings außer einem DNA-Sequenzierer auch ein Lesegerät, das den Text wieder rückübersetzt. Nicht nur deshalb, sondern auch aus ethischen Gründen hat der Autor darauf verzichtet, jedem gedruckten Buch eine DNA-Ausgabe beizugeben. Da man noch nicht genau weiß, was andere damit anstellen könnten, möchte man kein Risiko eingehen.

Gemeinsam mit Kollegen hat Church auch überlegt, ob sie lebende Zellen zum Träger des neuen Buches werden lassen. Das größte Problem ist aber dabei: Die mutieren oder stoßen ab, was ihnen unsinnig erscheint. “In an organism, your message is a tiny fraction of the whole cell”, meint Church, “so there’s a lot of wasted space. But more importantly, almost as soon as a DNA goes into a cell, if that DNA doesn’t earn its keep, if it isn’t evolutionarily advantageous, the cell will start mutating it, and eventually the cell will completely delete it.”

Damit ist dann die Aufgabe für eine nächste Literatur definiert. Denn wie sähe ein Text aus, der nicht nur uns, sondern zugleich der Zelle so sinnvoll erschiene, dass wir ihn nicht nur lesen, sondern auch so weiterschreiben mögen, dass wir uns mit ihm zusammen verändern?

George Churchs “Regenesis” gibt darauf noch keine Antwort. Aber: “Maybe the next book”. Wir werden es lesen. Und lesen lassen.