Freitag, 16. Mai 2014

Kevin Johnson


Throwing stones at the embassy,
policeman come and arrested me,
Paper at the university,
said I was a hero,
And the wise old judge that I went before,
wouldn't believe what I did it for,
Said this is no way to stop the war,
But, how the hell would he know?

Wenn Sie Over the Hills and Far Away (nein, nicht den ➱Song aus dem 18. Jahrhundert, der in ➱John Gays Beggar's Opera vorkommt) noch kennen, dann wissen Sie natürlich, dass das Lied von ➱Kevin Johnson ist. Der Australier hatte ja mal eine kurze Phase, in der er weltberühmt war. So wie Crocodile Dundee. Aber ebenso wie von jenem Aussie hört man von seinem Landsmann Kevin Johnson auch nichts mehr. Ich komme auf Kevin Johnson, weil ich beim Suchen nach einer CD (die natürlich nicht an ihrem Platz war) plötzlich auf eine Vielzahl von Kevin Johnson CDs stieß. Einschließlich zahlreicher Raubkopien (Danke, Melanie!). Musste ich natürlich sofort in den Player mit den vier Burr Brown 20 Bit-Wandler pro Kanal legen und abspielen.

Oh, I can still remember when I bought my first guitar
Remember walking from the shop to put it proudly in my car
And my family listened fifty times to my two song repertoire
I told my Mom her only son was gonna be a star.

Bought all the Beatle records, sounded just like Paul
Bought all the old Chuck Berry's, 78's and all

And I sat by my record player playing every note they played
I watched them all on TV, making every move they made.

Rock and roll, I gave you all the best years of my life
All the dreamy sunny Sundays, all the moon-lit summer nights
I was so busy in the back room writin' love songs to you
While you were changin' your direction and you never even knew
That I was always, just one step behind you.

Es steckt viel persönliche Frustration in dem ➱Song. Jahrelang hatte er Songs für andere geschrieben, niemand wollte seine Songs hören. Bis Rock'n'Roll I gave you all the best years of my life kam und alles änderte: It was a quick song for me because I've spent months on one line. It just came to me one day as I was driving home, feeling all this frustration of two years without making a record. So I decided to write a song not about giving someone the best years of my life, but to write about the pursuit of success, which I thought related to a lot of people around the world, not just in music but anything. Es gibt eine Vielzahl von Cover Versionen von dem Song, sogar Gary Glitter (der ➱hier einen Post hat) hat es gesungen.

Es gibt aber noch eine zweite Version, die hier in Deutschland nicht so bekannt geworden ist. In Australien kennt sie wohl jeder. Weil sie seit 1996 der offizielle Song der Hunderjahrfeier der Australian Football League ist. Klicken Sie ➱hier einmal in das Video der AFL hinein. Ist natürlich nicht ➱Cricket, hat aber auch seine Liebhaber.

Mittwoch, 14. Mai 2014

Gert Börnsen ✝


Sein Großvater Johnny war der Zeichenlehrer von Helmut Schmidt an der Lichtwarkschule in Hamburg. Er war auch der Zeichenlehrer von meinem Vater, weil der mit Helmut Schmidt in einer Klasse war. Gerts Vater war als Schiffbauer von Hamburg nach Bremen gekommen. Schiffbau war irgendwie erblich in der Familie. Weil sein Vater in diesen Bremer Vorort gezogen war, kam Gert eines Tages an meine Schule, sein jüngerer Bruder auch. Der hat in schöner Familientradition Schiffstechnik studiert, ist dann aber Politiker geworden. Wie Gert.

Wir haben zusammen viel Zeit in Photolabors verbracht, als wir jung waren. Gerts Bruder Arne photographierte auch. Ich habe im Laufe von mehr als einem halben Jahrhundert viele Photos von Gert  gemacht. Keins davon ist im Internet, es gibt glücklicherweise noch eine Zone des Privaten. Er hatte schon früh eine alte Leica, um die ich ihn beneidete. Auch das riesige Tonbandgerät in seinem Wohnzimmer fand ich toll. Um manche Dinge beneidete ich ihn nicht. Also zum Beispiel die Katja Ebstein Platten. Aber er hatte auch den ganzen Degenhardt. Hannes Wader sowieso.

Er sammelte moderne Kunst. Wir fuhren zusammen nach Sonderburg, um Möbel zu kaufen, dänische Möbel waren damals en vogue. Für seine große Leidenschaft, die Ornothologie, konnte er mich nicht gewinnen. Zu jedem vorbeifliegenden Vogel hatte er den richtigen Namen parat, so wie er von jedem Schiff auf der Weser die Bruttoregistertonnen richtig schätzen konnte. Es war enervierend, mit ihm spazieren zu gehen, wenn man sich immer Sätze wie Weibliche Stockente von links oder Ähnliches anhören muss. Über die Nacht auf dem Hammekahn namens Regenfleuter will ich lieber nicht reden. Aber das tat unserer Freundschaft keinen Abbruch. Die Geschenke zum Geburtstag und zu Weihnachten kamen immer termingerecht, diese Festtage haben wir in all den Jahrzehnten nie vergessen, wo wir auch waren und was wir auch taten. Die stilvollen Whiskygläser (die wohl von Harjes aus Vegesack stammten), die er mir einmal geschenkt hat, haben - wie unsere Freundschaft - über ein halbes Jahrhundert gehalten.

Ich habe durch ihn bekannte Leute kennengelernt, aber der Jahrmarkt der Eitelkeiten der Politik war nicht meine Welt. Ich beobachtete seine Welt, so wie Thackeray das getan haben würde, mit Distanz und Ironie. Doch ich war auf all seinen Partys und bei vielen seiner öffentlichen Auftritte. Ich kannte das Innenleben seiner Partei. Und all seine Frauen. Alle Geheimnisse sind gut bei mir aufgehoben. Ich ging freiwillig zur Bundeswehr, er studierte in Berlin, da konnte er nicht eingezogen werden. Dann kamen die Swinging Sixties, das Leben lag vor uns: It was the best of times, it was the worst of times, it was the age of wisdom, it was the age of foolishness, it was the epoch of belief, it was the epoch of incredulity, it was the season of Light, it was the season of Darkness, it was the spring of hope, it was the winter of despair, we had everything before us, we had nothing before us, we were all going direct to Heaven, we were all going direct the other way— in short, the period was so far like the present period, that some of its noisiest authorities insisted on its being received, for good or for evil, in the superlative degree of comparison only.

Nach dem Studium verschlug es ihn nach Kiel, da sahen wir uns ständig. Wir hatten beide einen Bart. Rauchten beide Pfeife, er trank Rotwein, ich Bier. Er konnte noch Platt snacken, wie Jochen Steffen, dessen persönlicher Referent er geworden war. Ich kann es auch noch. Wir konnten auch stundenlang zusammen schweigen. Wir hätten gute Angler abgegeben, aber ich mag keinen Fisch. Manchmal überraschte er mich mit ungeahnten Seiten. So vor Jahren, als er mir plötzlich gestand, dass er in all den Jahrzehnten, trotz Ehefrauen und Lebensgefährtinnen, nur seine Jugendliebe aus unserem Heimatort wirklich geliebt hat. Ich fand das sehr rührend.

Er hatte politische Ideale, zu denen er stand und für die er kämpfte. Er verehrte Jochen Steffen, der das Beste war, was dieser Partei hier oben im Land passieren konnte. Nicht nur, weil er einmal als Kuddl Schnööf den deutschen Kleinkunstpreis gewonnen hatte. Gert war einmal ein mächtiger Mann. Man konnte es ihm nicht ansehen, er umgab sich nicht mit den Insignien der Macht. Er blieb ein vernünftiger Norddeutscher, ebenso normal wie Jochen Steffen. Er war wie Jochen Steffen ein Mann der klaren Worte und war immer geradlinig und aufrichtig. Er hatte nichts von diesen glattgeleckten Politikern in ihren Einheitsanzügen an sich, die heute den Fernsehschirm bevölkern. Im Alter sah er mit seinen weißen Haaren und dem weißen Bart aus wie ein französischer Weinbauer. Irgendwann wurde er abgewählt, da war er über zwanzig Jahre Abgeordneter gewesen. Man kann nicht alle Richtungskämpfe gewinnen.

Ich glaube, dass der Wahlspruch seiner Partei in diesem Bundesland homo homini lupus est ist. Ich fand es schäbig, was eine junge Journalistin namens Susanne Gaschke damals über ihn in der Zeit schrieb. Sie versuchte sich ja später selbst als Politikerin, über den kläglichen Ausgang wollen wir lieber nicht reden. Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich, hat Max Weber gesagt. Ich weiß das nur, weil Gert es gern zitierte. Nach dem Ende seiner politischen Karriere ist er in keinen Talkshows aufgetreten, wie das so viele Politrentner tun. Ich fand, das hatte Stil.

Mein Freund Gert Börnsen ist vor Tagen gestorben. War es zu früh? Oder war es angesichts seiner Krankheit eine Erlösung? Ich weiß es nicht. Doch ist das Mehr oder Weniger in unserer eigenen Lebensdauer nicht weniger lächerlich, wenn wir sie vergleichen mit der Ewigkeit oder auch mit der Dauer der Berge, der Flüsse, der Sterne, der Bäume und sogar einiger Tiere. Sondern die Natur zwingt uns auch dazu. "Tretet aus dieser Welt heraus", sagt sie, wie Ihr hereingetreten seid. Denselben Übergang, den Ihr gemacht habt vom Tode zum Leben, ohne Leidenschaft und ohne Angst, macht ihn wieder vom Leben zum Tode. Der Tod ist ein Stück der Weltordnung; er ist ein Stück des Lebens der Welt.

Dienstag, 13. Mai 2014

Gregor von Rezzori


Der elegante Herr rechts neben O.W. Fischer ist der Schriftsteller Gregor von Rezzori. In einem Film, der El Hakim hieß und den wir am besten vergessen. Vergessen können wir wohl auch einen Film, der zuerst Die Lady hieß und dann später in der Hoffnung auf größere Zuschauerzahlen in Gräfin Porno von Ekstasien umgetauft wurde. Nicht vergessen werden wir Rezzori in seinen Filmrollen in Viva Maria (➱hier ganz zu sehen) und Vie Privée. In Vie Privée fährt er Brigitte Bardot in seinem Jaguar spazieren. Auf Volker Schlöndorff hatte der Wagen einen großen Eindruck gemacht:

Louis Malle bot ihm die Rolle des Stiefvaters von Brigitte Bardot in Privatleben an, zwei Jahre später spielte er, wieder an ihrer Seite, den Zauberkünstler in 'Viva Maria'. Dabei war er natürlich kein Schauspieler, aber eine durch und durch gestylte Persönlichkeit. So fuhr er, gewandet wie aus einem Herrenmagazin der dreißiger Jahre, stets mit seinem riesigen Jaguar am Set vor; drei Gestalten in ebensolchem Tweed, wie geklont, jedoch im Knabenalter, nämlich seine Söhne Enzio, Azzo und Etzelino, purzelten aus der Limousine und richteten nachlässig ihre Einstecktüchlein. 

Das Drehbuch von Privatleben wurde von Jean Paul Rappeneau geschrieben, der ➱hier natürlich schon einen Post hat. Rappeneau hatte zuvor schon mit ➱Louis Malle das Drehbuch zu Zazie geschrieben. Dieses Bild ist natürlich nicht aus Privatleben oder Viva Maria, das sind Rezzori und Johanna von Koczian in Bezaubernde Arabella. Der Jaguar von Rezzori hat Louis Malle sicherlich gefallen. Der liebte Autos, er hat auch einmal einen Dokumentarfilm über ➱Citroen gedreht (kann man ➱hier anschauen). Und der Sprößling einer reichen Familie hat einmal gesagt: Wenn man in einem Bentley fahren gelernt hat, tritt der Wunsch nach einem Rolls-Royce etwas in den Hintergrund. Der Jaguar von Rezzori war wenig später Gegenstand von Rezzoris Scheidungsprozess. Der Scheidungsrichter sprach seiner Gattin die Hälfte an dem Jaguar zu. Und der Autor der wunderbaren Maghrebinischen Geschichten machte etwas sehr Maghrebinisches. Er ließ den Jaguar zersägen und stellte seiner Ex eine Hälfte vor die Garage.

Gregor von Rezzori d'Arrezzo wurde heute vor hundert Jahren in Czernowitz (das man einst das Klein-Wien des Ostens nannte) in der Bukowina geboren: Ich kann nicht leugnen, dass ich als Österreicher im deutschen Geist erzogen worden bin. Zwar in einer Abart; und ob die in Bezug auf Menschlichkeit vorzuziehen ist, steht dahin. Es hilft, wenn man zu den Tschuschen gehört. Ich verdanke meiner Heimatstadt Czernowitz, sowenig ich auch dort gelebt habe, die Fähigkeit, mich leichtzunehmen. Czernowitz wird ihn nicht loslassen. Während der Dreharbeiten von Viva Maria schrieb er: Ich weiss nicht: Finde ich hier in Mexico City ein Echo meines verlorenen Czernowitz – oder war vielleicht jenes für mich unwirklich gewordene Czernowitz ein in die Zeit zurück- (oder voraus-?) geworfenes Echo von Mexico City?

Es kommen bedeutende Leute aus Czernowitz, wie Rose Ausländer oder Paul Celan. Und Ninon Ausländer, die Ehefrau von ➱Hermann Hesse Und natürlich Erwin Chargaff (der ➱hier einen Post hat). Man hat Rezzori einen Weltmann, einen Grandseigneur, einen Dandy, einen Bonvivant und einen Gentleman genannt. Er war eigentlich kein Filmschauspieler, er war ein Schriftsteller. Wir lassen jetzt mal die Maghrebinische Geschichten und die zahlreichen Idiotenführer durch die deutsche Gesellschaft beiseite. Sein erster Roman, Flamme, die sich verzehrt, war 1939 bei Propyläen erschienen.  Zwanzig Jahre später zierte Rezzori das Titelbild des Spiegel (die eigentlich sehr gute Titelgeschichte - Rezzori findet sie in Mir auf der Spur natürlich nicht gut - können Sie ➱hier im Volltext lesen).

Er war vorher in Fortsetzungen in der Zeitschrift Die Dame gedruckt worden. In diesem deutschen Journal für den verwöhnten Geschmack war Rezzori bestens aufgehoben. Das Magazin, das bei Ullstein in Berlin von 1912 bis 1943 erschien, ist (auch vom Niveau des Feuilletons) Deutschlands Versuch, mit einem amerikanischen Magazin wie Apparel Arts mithalten zu können (lesen Sie ➱hier mehr zu Modemagazinen). 1980 hat Christian Ferber unter dem Titel Die Dame. Ein deutsches Journal für den verwöhnten Geschmack 1912 bis 1943 einen Reprint herausgegeben, der sich antiquarisch noch finden lässt.

In Flamme, die sich verzehrt (1978 als Greif zur Geige, Frau Vergangenheit mit neuem zwanzigseitigen Vorwort wieder aufgelegt) findet sich der Satz: Wer sich schon von aller Anfang an selbst als ein in die Gegenwart verschlepptes Stück Vergangenheit auffassen muß, bringt notwendig eine gewissermaßen in sein Schicksal eingebaute Veranlagung zum Schreiben. Ein erstaunlicher Satz für einen Fünfundzwanzigjährigen, der diesen Roman im Winter 1938 in einer Tiroler Skihütte und in Berlin schreibt. Aber die Vergangenheit - und besonders die eigene Vergangenheit - wird den Autor immer wieder beschäftigen. Vergangenheit. Die eigene Vergangenheit und die Vergangenheit des k.u.k. Reiches: ein Hauch von Joseph Roth schwebt durch das Werk von Rezzori, der wie Roth ein Chronist einer untergegangen Welt ist.

Wenn Flamme, die sich verzehrt (der Titel stammte nicht vom Autor) schon ein Stück Autobiographie ist, wird noch viel Autobiographisches folgen: Blumen im Schnee: Portraitstudien zu einer Autobiographie, die ich nie schreiben werde (1989), Greisengemurmel: Ein Rechenschaftsbericht (1994) und Mir auf der Spur (1997). Ich bitte um gütiges Verständnis. Dies ist ein Rechenschaftsbericht. Ein höchst persönliches Dokument. Dem Leser steht es frei darin auch ein Stück Literatur in der Fortentwicklung der Konfessionen des Kollegen Jean-Jacques Rousseau zu sehen, heißt es auf Seite 78 von Greisengemurmel: Ein Rechenschaftsbericht.

Es hätte auch auf der ersten Seite stehen können. Ich zitiere aus dem Buch noch einen zweiten Satz: Wer mich für das Deutsch lobt das ich schreibe hat in der Stimme das Tremolo der Erinnerung an versunkene alte Zeiten. Das ist es, der Mann hat nicht nur Stil, er schreibt auch gutes Deutsch. Allerdings ohne Kommata, die hat er in einem Anfall von Gereiztheit alle getilgt. Man fügt sich als Leser drein. Ich kann so leicht aus dem Buch zitieren, da ich es zufälligerweise gerade gelesen habe.

Ich habe da noch ein schönes Zitat, eine kleine Vignette über seinen Schriftstellerkollegen Günter Grass: Günter Grass habe ich nach Jahren wiedergesehen. In Frankfurt anlässlich der Buchmesse im Hotel »Hessischer Hof«. Er trug was man in Vorkriegsjahren einen Stresemann nannte (schwarzes Jackett mit vielknopfiger grauer Weste zu grauschwarz gestreiften Hosen und Silberselbstbinder) und trippelte so emsig die Hallentreppe hinunter dass ich meinte es handle sich um den Empfangschef der herbeieilte um Lord Weidenfeld zu begrüßen. Nur am Schnauzbart erkannte ich ihn. Als ich ihn ansprechen wollte hatte er keinen Augenblick für mich: er strebte zu einem Empfang des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt. Weltgeschichtlich eingerastet. Ich kann die Lektüre von Greisengemurmel unbedingt empfehlen. 

Was sonst noch lesen? Alles aus Maghrebinien, das ist klar. Und natürlich Ödipus siegt bei Stalingrad. Über den Roman schrieb die Zeit bei seinem Erscheinen: Es ist, wie gesagt, ein verflixtes Buch, ärgerlich, skandalös – und von hinreißender Unverfrorenheit. Auf die Frage Why wasn’t 'Oedipus siegt bei Stalingrad' ever translated into English? hat Rezzori die wunderbare Antwort gegeben: It can’t really be translated, because it’s written in sort of German slang as if Ernst Junger were a drunken Prussian officer telling a story in a bar. It’s about German snobbism, about somebody who comes to Berlin in ’38 in order to conquer the world, a sort of Berlin Rastignac. It pokes fun in a most atrocious way. Der Roman ging damals ein wenig unter, weil wir in dem Jahr ➱Fußballweltmeister wurden. Und wenn man etwas lesen wollte, dann las man ➱Hemingway, weil der gerade den ➱Nobelpreis bekommen hatte. Man mochte in den fünfziger Jahren sowieso nicht alles gerne lesen, ➱Rudolf Lorenzen hat das mit seinem Roman Alles andere als ein Held erfahren müssen.

Man kann beinahe alles von Gregor von Rezzori antiquarisch leicht finden. Von Flamme, die sich verzehrt bis zu dem posthum erschienenen Kain. Viele seine Schriften (na ja, bis auf Ödipus siegt bei Stalingrad) sind ins ➱Englische übersetzt worden. Bei richtig großen Verlagen, mit großem Erfolg. Wie The Death of My Brother Abel bei Viking Penguin. Manches ist auch aus dem Englischen zu uns zurückgekommen, wie der Essay Ein Fremder in Lolitaland, der ursprünglich in Vanity Fair veröffentlicht wurde. Übrigens sehr lesenswert. Mit Lolita sollte Rezzori sich auskennen, schließlich war er an der deutschen ➱Übersetzung des Romans beteiligt. Rezzori hatte keine Schwierigkeit für Vanity Fair zu schreiben, er sprach mehrere Sprachen: Ich schreibe (unter anderem, aber hauptsächlich) auf Deutsch, weil das die Sprache ist, die ich liebe und am besten beherrsche. Ich weiß, dass ich mich ihrer bediene wie einer Fremdsprache. Meine Mentalität ist undeutsch. Aus mir wird niemals ein populärer deutscher Autor werden. Nur in den Maghrebinischen Geschichten habe ich den Ton getroffen, den man von mir erwartet.

Es ist schade, dass er immer nur mit den Maghrebinischen Geschichten assoziiert wird. Er war, wenn wir an Oedipus siegt bei Stalingrad und Der Tod meines Bruders Abel denken, ein bedeutender Romancier. Sein Lieblingsspruch, den er gerne zitierte, war Gilbert Keith Chestertons Satz Angels can fly because they take themselves lightly. Vielleicht war er auch ein Engel.

Sonntag, 11. Mai 2014

Armbänder


Es war saukalt am letzten Sonntag auf dem Flohmarkt. Ich war froh, dass ich meine dicke Lederjacke mit dem Fellkragen angezogen hatte. Als ich um zwei Uhr kam, packten die ersten Händler schon ihre Waren ein. Aber der Herr Brandt, der war noch da. Steht bei einem Flohmarkt seit zwanzig Jahren immer an der selben Stelle. Er ist der einzige, der überhaupt noch Uhren hat. Armbanduhren und Taschenuhren sind völlig vom Flohmarkt verschwunden. Ölbilder auch. Es gibt nur noch besseren Hausmüll und Händler mit Handyschalen. ➱Ebay ist der Tod des Flohmarkts (Sie finden ➱hier schon eine lange Klage über diese Demise). Aber glücklicherweise findet man noch massenhaft Bücher. Herr Brandt hatte auch nichts was mich interessierte, zauberte aber in letzter Minute noch ein Edelstahlband von Omega aus dem Kasten. Hing noch eine verschrabbelte Omega Quarz dran, ich sagte nur: Machen Sie die Omega mal ab. War schwieriger als gedacht, weil er das richtige Werkzeug zuerst nicht fand.

Zu Hause kam das Omega Band erst einmal in ein Bad aus heißem Wasser und Pril, bevor es eine liebevolle Bürstenmassage bekam. Alte, weiche Zahnbürsten sind gut dafür. Jetzt ist es an einer alten Omega Seamaster von 1959. Sieht toll aus. Zufrieden mit meinem Werk, dachte ich mir, ich schreibe einmal über Edelstahlbänder. Und über die ersten Sportuhren.

Denn Edelstahlbänder sind natürlich nur etwas für Sportuhren. Für nichts anderes. An manchen Uhren müssen sie sein. Wie zum Beispiel an der alten Omega Megaquartz oben (der ersten kommerziellen Quarzuhr von Omega), da passt nichts anderes dran. Es gibt natürlich auch Metallbänder aus Gold, aber die werden hier heute nicht erwähnt. Machos aus dem Mittelmeerraum und Loddel in St Pauli lieben so etwas, das ist ein anders Thema. Und das hier ist die größte Geschmacksverirrung der ansonsten so stilsicheren Firma ➱IWC. Die Ingenieur SL in der Jumbo Version dürfte es eigentlich nur in Stahl geben. Wollte man Rolex in puncto schlechtem Geschmack Konkurrenz machen?

Das einzige Edelmetall, das noch akzeptabel wäre, ist Platin. Weil es wie Stahl aussieht. Ist aber Snobismus. Der Keith hat dieses Patek Nautilus Modell in Platin. Hat er einem Typ abgekauft, der damit auf einer Südamerikatour gewesen war. Dessen Kumpel trug auf der Reise der beiden Abenteuertouristen eine Rolex. Wenn Sie einem Engländer diese Geschichte erzählen, wird er an dieser Stelle sagen: How daft can you get? Na ja, als sie zurückkamen, hatte er keine Rolex mehr. Die Patek aus Platin blieb unangetastet. Die Räuber haben sie wahrscheinlich für eine Seiko gehalten.

Während ich am Abend Lewis guckte (der Inspektor hat natürlich ➱hier schon einen Post), polierte ich Band und Uhr mit einem alten ➱Schlips. Seide ist hervorragend zum Polieren von Edelstahl. Die Omega Seamaster hat ein Uhrwerk, das wohl das seltenste Automatikwerk der Firma ist. Es ist das Kaliber 591, das eine unternehmerische Fehlentscheidung war. Damals baute Omega seine 550er Kaliber, mit denen sie Rolex als führenden Hersteller von Chronometern weit hinter sich ließen. Von dieser Kaliberfamilie wurden in den sechziger Jahren 3,5 Millionen Stück gebaut.

Diese Werke waren neben dem Handaufzugswerk 30T2 (hier im Bild) das Beste, was Omega je gebaut hat. Aber es musste ja unbedingt etwas Neues sein. Man wollte ein einfaches Großserienwerk bauen, allerdings sparte man an nichts Wesentlichem. Die vierschenklige Glucydur Unruhe mit dem beweglichen Spiralklötzchen ist die gleiche wie in den 550er Modellen. 1960, nach einem Jahr der Fertigung, gab man die Fertigung des Werks wieder auf, nur 60.000 Stück wurden gebaut. Jahre später leistete man sich einen ähnlichen Flop mit dem Kaliber 1000. Das war, metaphorisch gesprochen, dann aber auch schon der Sargnagel für Omega. Danach waren sie auf Jahrzehnte keine Manufaktur mehr, weil sie nur noch Fremdwerke einbauten.

So sah meine Seamaster vorher ohne das Edelstahlband aus, allerdings hat meine ein viel besseres Zifferblatt als diese hier. Das Edelstahlband mit der Nummer 1383 hat mich achtzig Euro gekostet, die Seamaster kostete mich vor fünfzehn Jahren nur 150 Mark. Stahlbänder sind teuer geworden. Und damit meine ich nicht diese scheußlichen amerikanischen Speidel Bänder oder die Fixoflex Bänder von Rowi, sondern die Originalbänder von Omega und anderen Uhrenfirmen. Und natürlich die Bänder von der Firma Gay Frères, die seit einigen Jahren im Besitz von Rolex ist. Rolex wollte endlich mal gute Armbänder haben.

Als ich letztens zu meinem Bruder sagte, dass das Band von seiner alten Rolex Explorer ja noch sehr gut aussähe, guckte er mich leicht hasserfüllt an und knurrte: Es ist das dritte. Er hat die Uhr vor Jahrzehnten von den Eltern zum Medizinerexamen bekommen, aber Rolexbänder halten eben nicht so lange. In den dreißiger Jahren hatte Rolex Bänder von Gay Frères bezogen, aber wahrscheinlich waren ihnen die zu teuer geworden. Ein Gay Frères Band erkennt man an dem Ziegenbock, der von den Buchstaben G und F umrahmt wird. Und es hat auch immer einen Datumsstempel (damit kann man alte Uhren datieren).

Man findet Gay Frères Bänder - die der Fachmann mit einem Blick erkennt - an der alten IWC Ingenieur (Bild), an der Eterna Kontiki (dazu gibt es ➱hier einen Post), an der Jaeger LeCoultre Memovox oder der Tissot T12. Tissot hatte in den sechziger Jahren sowieso sehr gute Bänder, auch wenn die nicht von Gay Frères kamen. Viele Rolex Besitzer waren damals dankbar für diese Bänder. Die sahen aus wie die Bänder, die an den alten Rolex Oyster Modellen dran waren, hielten aber länger.

Metallbänder an Uhren gibt es schon lange. Die ersten Armbanduhren soll die Schweizer Firma Girard-Perregaux (die hier schon einmal erwähnt wurde) an die deutsche Kriegsmarine geliefert haben, es waren Golduhren mit einem goldenen Armband (leider gibt es von denen kein einziges Exemplar mehr und auch keine Abbildung). Das sollte uns daran erinnern, dass diese Bänder natürlich aus der Schmuckindustrie kommen, auch die 1835 gegründete Firma Gay Frères stellt Armbänder nur als Nebenprodukt her. Das Hauptgeschäft ist bijouterie, joaillerie und orfevrerie (und geben Sie niemals einen französischen Artikel über die Firma bei Googles Übersetzungsmaschine ein, da heißt die Firma dann Homosexuell Brüder).

Die älteste Uhr mit Stahlband, die ich besitze, ist diese Alpina Tresor mit einem sehr feingliedrigen Band aus V2A Stahl. Eine sogenannte Sportuhr der dreißiger Jahre, die schon eine kleine Sensation war, weil sie ein integriertes Edelstahlband hatte. Das massive Aussehen des Bandes täuscht, unter den Stahlplättchen der Oberseite verbirgt sich ein Milanaiseband. Es ist eine der ersten echten Sportuhren der dreißiger Jahre, es gab sie auch mit weißem Zifferblatt (und auch mit dem Markennamen Gruen auf dem Zifferblatt). Und eines Tages auch mit Stoßsicherung. Dieses Modell heißt Siegerin, da ist Deutschland schon im Krieg.

Der Name findet sich auf häufig auf den Uhren, die die Alpina an die Kriegsmarine (Zifferblattaufdruck KM) lieferte. Meine Tresor ist aus den ersten Jahren, sie hat noch keine Stoßsicherung. Hat aber die letzten achtzig Jahre gut überstanden. Auch die Firma ➱Tutima brachte Ende der dreißiger Jahre eine Sportuhr auf den Markt - die Sportuhren dieser Zeit sind die Vorläufer der Militäruhren des Zweiten Weltkriegs. Allerdings kann die Tutima nicht wirklich mit der Alpina Tresor konkurrieren, ihr Gehäuse (von Kollmar & Jourdan) ist nur aus verchromtem Nickel gewesen.

Das Modell Tresor ist in der Zeit zwischen 1935 und 1940 gebaut worden, die Uhr kostete damals 65 Mark. Das war für eine deutsche Uhr teuer, die preiswerteste IWC kostete nur fünfzig Mark mehr. Das war das rechteckige Modell mit dem Kaliber 86, für das Sammler heute mindestens zweitausend Euro auf den Tisch legen müssen. Eine Alpina Tresor kann man vielleicht billiger bekommen, allerdings ist sie mit dem Edelstahlband kaum zu finden. Eine rechteckige Junghans kostete damals nur 18 RM. Mein Vater hat seine noch bis in die fünfziger Jahre getragen

In der Tresor tickte das Kaliber 586, das die Alpina von Marc Favre in Biel-Madretsch bezog. Das äußerlich unscheinbare Werk (nicht derart feinbearbeitet wie das IWC Werk oben) war von erstklassiger Qualität, es wurde noch bis in die fünfziger Jahre gebaut. Neben Marc Favre bezog die Alpina auch eine Vielzahl von Werken von Jean Aegler, der auch die Firmen Gruen und Rolex belieferte. Der offizielle Name der Firma war damals Aegler, Société Anonyme, Fabrique des Montres Rolex & Gruen Guild. Das tut Rolex Fans immer sehr weh, wenn man ihnen sagt, dass es diese tollen, einzigartigen Rolex Werke auch in einer Gruen oder einer Alpina gibt.

Eine eingeschlagene Aufschrift wie V2A oder Krupp Stahl findet man in den dreißiger Jahren häufig. Man experimentierte noch mit den Legierungen für Gehäuse und Bänder. Denn Edelstahl ist nicht gleich Edelstahl. Obwohl rechteckige Uhren in dieser Zeit der große Renner sind, findet man selten rechteckige Uhren, deren Gehäuse ganz aus Edelstahl ist. Die Longines, die ➱Humphrey Bogart hier (und in ➱Casablanca) trägt, ist nicht aus Edelstahl. Die ist aus vergoldetem Blech. Wenn Sie wollen, können Sie ➱hier und ➱hier alles über Armbanduhren in Amerika in dieser Zeit lesen.

Das hier ist natürlich etwas, was man wirklich nicht macht. Zum dinner jacket trägt man keine Uhren mit einem Edelstahlband. Egal, ob sie von Omega (wie hier) oder von Rolex sind. Die Amerikaner haben das schöne Wort dress watch (wahrscheinlich als Analogie zu dem Wort dress shirt gebildet), und damit meint man eine elegante, flache, unauffällige Uhr. So wie Uhren früher einmal waren, bevor sie sich in Richtung Zuhälter Uhr entwickelten und gar nicht groß genug sein konnten. Die Alpina Tresor hat einen Durchmesser von 28mm, die meisten echten Sportuhren aus dieser Zeit sind so klein.

Die Revue Sport aus den dreißiger Jahren zum Beispiel ist nur unwesentlich größer (und auch die meisten Uhren von Patek oder Rolex sind in den dreißiger Jahren nur 30 mm groß). Die Revue sieht der Tresor sehr ähnlich, da hat wohl irgend jemand ein wenig kopiert. Diese Uhr war noch revolutionärer als die Alpina Tresor. Nicht nur, weil sie durch die Korkdichtung in der Krone und die Bleidichtung im verschraubtem Boden beinahe wasserdicht war, sondern weil in ihr zum ersten Mal die von Dr Reinhard Straumann (dem die Firma Revue Thommen gehörte) entwickelte Kombination von Nivarox Spiralfeder und Glucydur Unruhe eingebaut wurde. Heute hat jede bessere Uhr eine solche Unruhe und eine solche Spiralfeder, damals durfte Straumann sie in der technologiefeindlichen Schweiz nicht herstellen (ich habe ➱hier schon darüber geschrieben).

Die Revue Sport ist vor Jahren noch einmal als re-make auf den Markt gekommen, wurde damals von Manufactum angepriesen. War natürlich nicht the real thing. Straumann verkaufte die Revue Sport auch nach Amerika. Da stand dann der Name Wittnauer auf dem Zifferblatt. Und der wunderbare Zusatz Allproof. Ein Name, den Wittnauer (die schon lange ihre Uhrwerke von Revue bezogen) seit 1918 verwendete.

Damals war die All-Proof sozusagen die Mutter aller Sportuhren: wasserdicht, stoßsicher und antimagnetisch. Man hat sie zu Werbezwecken aus Flugzeugen abgeworfen (Jimmie Mattern flog mit ihr um die Welt) und vom Empire State Building geworfen - sie hielt alles aus. Ich habe so ein bezauberndes kleines Exemplar, unterwerfe sie heute aber keinen Tests mehr. Aber sie geht nach beinahe neunzig Jahren noch immer. Meine hat ein braunes Krokoband, diese beiden hier haben Armbänder der amerikanischen Firma Kestenmade, die wohl aus den dreißiger Jahren stammen.

Nicht nur All-Proofs halten lange, auch Edelstahlbänder halten lange. Na ja, die von Rolex nicht so. Dies hier ist ein ausgeleiertes altes Rolex Band, die Zwischenräume zwischen den einzelnen Stahlgliedern dürften nicht sein. Edelstahlbänder sind sehr pflegeleicht. Einmal im Monat etwas Wasser und Seife für das Band (nicht die Uhr) reichen aus. Manche schwören darauf, ein Edelstahlband in Coca Cola zu werfen. Sieht hinterher angeblich wie neu aus. Es funktioniert, aber lassen Sie es lieber.

Als ich gerade dabei war, das Gelände des Flohmarktes zu verlassen, sah ich noch einen Händler mit einem Tisch voller Bücher. Er hatte auf dem Boden zwei große Kisten voller Bücher von Hans-Jürgen Heise. Über den im letzten November gestorbenen Dichter aus Kiel hatte ich eigentlich im April schreiben wollen, bin aber nicht dazu gekommen. Ich entdeckte in den Kisten einen Sammelband, den ich noch nicht besaß: Gedichte und Prosagedichte 1949-2001. Verlegt vom Wallstein Verlag. Ich habe das Gefühl, dass die inzwischen einer der interessantesten Verlage geworden sind. In dem Buch lag eine Photokopie mit einem Gedicht von Zlatko Krasni, von Hans-Jürgen Heise mit handschriftlichen Korrekturen versehen. Es hat den Titel Dichter und Wasser. Und damit das heute nicht zu prosaisch wird, tippe ich das mal eben ab:

Hans-Jürgen Heise lebt in Kiel in der Graf-von-Spee Straße
und schaut auf die Ostsee,
Rafael Alberti in seinen Büchern und schaut auf den Fluss
Paraná, der im Rio de la Plata mündet.
Lasse Söderberg lebt in Malmö und schaut auf Paraná,
der im Rio de la Plata mündet und schreibt,
wie Rafael Alberti auf diese Flüsse geschaut hat.
Dieses Gedicht ist Tobias Burghardt gewidmet,
der in Stuttgart lebt und ein Gedicht übern Rio de la Plata
geschrieben hat.
Heise sah Rafael Alberti, wie er auf den Ohrider See schaut,
und schrieb ein Gedicht darüber.
In diesem Jahr schaut Lasse Söderberg auf den Ohrider See.
Michael Speier lebt in Berlin und schreibt ein
Gedicht darüber, wie das Schiff Graf von Spee im Rio de la Plata gesunken ist.
Wer lebt wo und wer schaut jetzt auf welches Wasser?

Die Graf von Spee Straße hat Heise in eine Graf Spee Straße korrigiert, er muss es wissen, er wohnte in der Straße. Auf die Ostsee gucken konnte er da allerdings nicht.

Donnerstag, 8. Mai 2014

Lord Byrons Schuhe


Lord Byron putzt seine Schuhe nicht. Das sagt uns Percy Bysshe Shelley: He was very tall, but so bent that he seemed of ordinary height, and although his figure was so fragile, his bones and joints stood out too much, even grossly. And yet all these details, themselves unbeautiful, still formed an extremely sympathetic being... He was also extraordinary in his dress, for he generally wore a school-boy's jacket, never any gloves, and unpolished shoes and yet, among a thousand gentlemen, he would always have seemed the most accomplished. Wenn der junge Lord seine Schuhe nicht putzt, dann gibt es einen anderen, der das tut. Und der heißt John Arnaud Robin Grey (Jock) Murray. Er ist der sechste in einer berühmten Verlegerfamilie, die einst Byrons Werke verlegte.

Dass der Verleger und Byron Sammler Jock Murray die schwarzen Stiefel Byrons putzt, weiß ich aus einem Gedicht von Andrew Hudgins, das Lord Byron’s Boots heißt:

From their display case, John Murray VI removed
his obit said, Lord Byron’s boots from time to time, and smeared
hard black wax on dry two-hundred-year-old leather,
working it into cracks and gouges first burnished
with tallow and lampblack, a job I’d like. Come now, my man,
I want to see those elbows fly! If you think I’ll wear your work
to promenade the most admired and fashionable whores,
you may go to hell and fuck spiders. And back to work I go
on my own boots, blacking scuffs, and buffing scrapes, gouges, cuts,
and time to an elegant but not excessive luster.

Das Gedicht findet sich in der Sammlung A Clown at Midnight, aus der ich ➱Ostern schon das wunderbare Gedicht Princess after Princess zitiert habe. Dieser Cartoon ist von dem berühmten Max Beerbohm, hat den Titel Lord Byron, shaking the dust of England from his shoes. Die schwarzen Stiefel sind wahrscheinlich von William Smith aus Southwell angefertigt. Viele Schuhmacher aus dieser Zeit sind heute noch bekannt. Der Duke of Wellington vertraute George Hoby in der  St. James's Street, der ihm seine geliebten Hessian boots machte. Hoby hatte das Königshaus und die Aristokratie - George ➱Brummell nicht zu vergessen - als Kunden. Den Dandy Brummell hat ➱Lord Byron durchaus bemerkt, hat er doch gesagt: There are three great men of our age: myself, Napoleon and Beau Brummell. But of we three, the greatest of all is Brummell.

Es ist die Zeit, in der die Gentlemen an ihren Schuhen gemessen werden (das tut man heimlich noch heute), und so kann man in einer Schmonzette mit dem Titel Letter from a Rake lesen: Her eyes drifted lower to the highly polished black Hussar boots which clung to his calf muscles. She took a deep breath and tried to turn her head away, but found herself unable. Or was it unwilling? Das hätte Jane Austen nicht zu schreiben gewagt, Sasha Cottman (die ➱hier auch eine nette Seite über den Regency Dandy hat) wagt das natürlich. Verkauft sich wahrscheinlich gut. Hält aber nicht so lange wie die Romane von ➱Jane Austen. Das Buch hier, Sarah Jane Downings Fashion the Time of Janes Austen kann ich uneingeschränkt empfehlen. Ob Sie die Dissertation The Boot and Shoe Trades in London and Paris in the Long Eighteenth Century von Giorgio Riello lesen wollen, müssen Sie selbst entscheiden (Sie finden sie ➱hier).

George Hoby war ein schlagfertiger Mann, der seinen eigenen Handwerkerstolz hatte. Und der ungern das Gemäkel von Kunden an seiner Kunst ertrug. ➱Captain Gronow erwähnt ihn mehrmals in seinen Erinnerungen. Dort findet sich auch die schöne Geschichte, dass der junge Fähnrich Horace Chatham Churchill (der es noch zum General bringen sollte) wutentbrannt in Hobys Laden kommt, um sich über die angeblich mangelhafte Qualität seiner Stiefel zu beschweren. Niemals wieder würde er sich von Hoby ein Paar Schuhe machen lassen: Hoby, putting on a pathetic cast of countenance, called to his shopman, “John, close the shutters. It is all over with us. I must shut up shop; Ensign Churchill withdraws his custom from me.” Das ist nun wirklich witzig.

Captain Gronow weiß auch zu berichten, dass Hoby in dem Augenblick beim Herzog von Kent (dem Vater der späteren Königin Victoria, wir können annehmen, dass die Stiefel auf diesem Bild von Hoby sind) war, als der die Botschaft von Wellingtons Sieg in Vitoria erhielt. Wenn der Herzog seinem Schuhmacher von dem Sieg erzählt, sagt der nur kühl: If Lord Wellington had had any other bootmaker than myself, he never would have had his great and constant successes; for my boots and prayers bring his lordship out of all his difficulties. Das mit dem Beten ist sicherlich wahr, George Hoby war in seiner Freizeit Methodistenprediger. Und er hat seinen Herzog, nach dem heute in England die ➱Gummistiefel wellies heißen, wirklich geliebt. Er hinterließ bei seinem Tod ein Vermögen von 120.000 Pfund, das wären heute Millionen. Ich glaube nicht, dass ein Schuhmacher jemals so viel verdient hat. Julius Harai (der für Max Schmeling und Walter Scheel die Schuhe machte) nicht und Benjamin Kleman wohl auch nicht. John Lobb vielleicht. Manolo Blahnik dank Sex and the City wohl auch.

Aber ich sollte auf Lord Byron zurückkommen. Die italienische Contessa Teresa Guiccioli weiß in ihren Erinnerungen an ihren Geliebten dazu zu sagen, dass Byron ganz normale Füße hatte. Dass er einen Klumpfuß wie Goebbels gehabt habe, ist wohl eine Erfindung seiner Feinde. Teresa Guiccioli zitiert in ihrem ➱Buch eine persönliche Erklärung des englischen Schuhmachers William Swift:

William Swift, bootmaker at Southwell, Nottinghamshire, having had the honor of working for Lord Byron when residing at Southwell from 1805 to 1807, asserts that these were the trees upon which his lordship's boots and shoes were made, and that the last pair delivered was on the 10th of May, 1807. He, moreover, affirms that his lordship had not a club foot, as has been said, but that both his feet were equally well formed, one, however, being an inch and a half shorter than the other. The defect was not in the foot but in the ankle, which, being weak, caused the foot to turn out too much. To remedy this his lordship wore a very light and thin boot, which was tightly laced just under the sole, and, when a boy he was made to wear a piece of iron with a joint at the ankle, which passed behind the leg and was tied behind the shoe. The calf of this leg was weaker than the other, and it was the left leg. 

Interessant ist hier, dass der Schuhmacher William Swift betont, dass es der linke Fuß ist, viele Zeitgenossen und Historiker reden von dem rechten Fuß. So ein Dr. Laurie, der Byron als Kind behandelte. Dann ➱Stendhal (der Byron 1816 in der Mailänder Scala begegenet) und Byrons Freund Trelawny. Für die These mit dem linken Fuß gibt es allerdings gewichtigere Zeugen. Da wäre neben dem englischen Schuhmacher William Swift der Bildhauer Bertel Thorvaldsen (der ➱hier einen Post hat). Der Byron sicherlich genau studiert hat, als er eine Statue von ihm anfertigte. Und dann ist da noch der Dr Julius Michael Millingen, Byrons Leibarzt in Griechenland. Ach, es ist schön, dass wir das mal geklärt haben.

In seinen Jugendjahren war die leichte Deformation für Byron ein Greuel, spätestens seit ➱Mary Chaworth von that little lame boy gesprochen hat. Später konnte er ironisch darüber sprechen: The Morning Post in particular has found out that I am a sort of Richard the third - deformed in mind & body - the last piece of information is not very new to a man who passed five years at a public school. Byron hat in seiner Jugend orthopädische Schuhe getragen, von denen einer erhalten ist. Deshalb konnte er bei dem Cricketmatch zwischen Eton und Harrow auch nicht selbst laufen, sondern hatte einen substituteLord Byron insisted upon playing and was allowed another person to run for him, his lameness impeding him so much.

Falls Sie den Roman The Go-Between (zu dessen Verfilmung es ➱hier einen langen Post gibt) gelesen haben, dann wissen Sie natürlich, was ein substitute ist. Und wenn Sie alles über Cricket wissen wollen, klicken Sie ➱hier. Der Rest des Tages verläuft so, wie es  sich für junge englische Gentlemen gehört: After the match we dined together and were extremely friendly, not a single discordant note was uttered by either party. To be sure we were most of us rather drunk and went to the Haymarket Theatre, where we kicked up a row as you may suppose, with so many Harrovians and Etonians met at one place. Wir haben kein Bild von dem damaligen Spiel, dieses Bild (The Cricket Match between Sussex and Kent at Brighton) ist vierzig Jahre jünger, aber wir können uns vorstellen, dass es am 2. August 1805 auf dem Platz von Thomas Lord ähnlich ausgesehen hat.

Als Byron in Missolonghi im Sterben liegt, klauen ihm die Griechen alles. Auch die Schuhe. Ein Paar Slipper tauchen allerdings nach über hundert Jahren wieder auf. In einem kurzen Artikel im New Yorker vom 16.10.1954 von Peter Tompkins wird die Geschichte erzählt, wie ein australischer Sergeant 1945 in Griechenland von einem Paar Schuhe hört, die Byron gehört haben (ein Paar leichte, schmale, verblasste Pantoffeln in Händen, die Sohlen aus Saffianleder, die Oberseite mit zarter gelber Seidenstickerei und die Spitzen nach orientalischer Mode aufgebogen). In längerer Form findet sich diese Geschichte in dem Band Roumeli von Sir Patrick Leigh Fermor, der Lordos Vyron’s slippers gefunden hat. Die Welt hat sie 2011 unter dem Titel Lord Byrons Schuhe abgedruckt, Sie können die ganze Geschichte ➱hier lesen.

Der Belgier Joseph-Denis Odevaere, der das Bild mit dem toten Byron zwei Jahre nach Byrons Tod plakativ als neoklassizistisches Tableau malte, hat den rechten Fuß Byrons mit einem Laken umhüllt. Warum den rechten? Sagt doch sein Schuhmacher, dass sein linker Fuß die Deformation hatte. Hat Odevaere den toten Dichter wirklich gesehen? Nein, wir können dieses Bild (was manche allerdings tun) nicht als Beweis für Byrons mißgestalteten Fuß nehmen.

Odevaere war nicht in Missolonghi, er war in Brüssel: Dort trat er erneut in engen Kontakt mit seinem einstigen Lehrer David, als dieser sich 1816 in die Emigration nach Brüssel zurückzog, wo er sein Spätwerk schuf. Odevaere hatte sich unmittelbar nach Beginn des Aufstands in Griechenland den belgischen philhellenischen Komitees angeschlossen und war unermüdlich für die Sache der Griechen tätig. Zwischen 1825 und 1829 entwarf er acht großformative Szenen des griechischen Freiheitskampfes, darunter mehrer Historienbilder, die er in Ausstellungen zur Beeinflussung der der öffentlichen Meinung für ein freies Hellas präsentierte.

So steht es im Katalog zur Ausstellung des Bayerischen Nationalmuseums München Das neue Hellas. Griechen und Bayern zur Zeit Ludwigs I. Und die Professoren Reinhold Baumstark und Adrian von Buttlar (der ➱hier schon erwähnt wird) werden wissen, was sie sagen. Das Bild mit dem überlebensgroßen Byron sieht aus, als hätte er einfach nur das Bild des toten Hektor von seinem Lehrer  Jacques-Louis David seitenverkehrt kopiert und die Figurengruppe im Vordergrund fortgelassen.

Aber spektakulär inszenierte tote Dichter haben in der Romantik Konjunktur, da fragt man nicht nach dem Wahrheitsgehalt. Und so können wir uns den Tod von ➱Thomas Chatterton und die Beerdigung von ➱Shelley so vorstellen, wie Henry Wallis und Louis Edouard Fournier sie gemalt haben.

Byron (hier eine wunderbare ➱Staffordshire Pottery: George Gordon Noel Byron and the Maid of Athens) hatte ein besonderes Verhältnis zu Schuhmachern. Vielleicht deshalb, weil der junge Mr Patterson (oder Pattison), der ihm in Aberdeen Latein beibrachte, Sohn seines Schuhmachers war: He was the son of my shoemaker, but a good scholar, as is common with the Scotch. Und dem Schuhmacher in Venedig, dessen Haus gerade abgebrannt war, gab er das Geld für den Neubau: The house of a shoemaker, near his Lordship’s residence, in St. Samuel, was burned to the ground, with all it contained, by which the proprietor was reduced to indigence. Byron not only caused a new but a superior house to be erected, and also presented the sufferer with a sum of money equal in value to the whole of his stock in trade and furniture.

Wenn er in English Bards and Scotch Reviewers dichtet:

Ye tuneful cobblers! still your notes prolong,
Compose at once a slipper and a song;
So shall the fair your handiwork peruse,
Your sonnets sure shall please—perhaps your shoes.

dann meint er aber eher Englands Dichter als Englands Schuhmacher. Man sollte die Dichter und die Schuhmacher schon auseinanderhalten (es sei denn, sie sind Schuh-/ macher und Poet dazu). Das schreibt er auf jeden Fall seinem Verwandten Robert Charles DallasYours and Pratt’s protégé, Blackett, the cobbler, is dead, in spite of his rhymes, and is probably one of the instances where death has saved a man from damnation. You were the ruin of that poor fellow amongst you: had it not been for his patrons, he might now have been in very good plight, shoe- (not verse-) making: but you have made him immortal with a vengeance. I write this, supposing poetry, patronage, and strong waters to have been the death of him.
Der arme Blackett bekommt dann noch einen dichterischen Nachruf von ihm: Epitaph for Joseph Blackett, Poet and Shoemaker. Das ist nun wirklich nicht sehr nett:

STRANGER! behold, interred together,
The souls of learning and of leather.
Poor Joe is gone, but left his all:
You’ll find his relics in a stall.
His works were neat, and often found
Well stitched, and with morocco bound.
Tread lightly—where the bard is laid
He cannot mend the shoe he made;
Yet is he happy in his hole,
With verse immortal as his sole. 
But still to business he held fast,
And stuck to Phœbus to the last.
Then who shall say so good a fellow
Was only “leather and prunella”?
For character—he did not lack it; 
And if he did, ’twere shame to “Black-it.”

Es gibt damals noch einen anderen dichtenden Schuhmacher, den Byron auch nicht mag. Der heißt Robert Bloomfield und im Gegensatz zu Joe Blackett hat er sogar richtigen Erfolg. Bis seine Verleger Pleite machen. Aber Byron scheint der Meinung zu sein, dass ein Schuster bei seinen Leisten bleiben soll. Vielleicht hätte er manche seiner Zeitgenossen, die nicht auf einer Public School waren und sich ihre Bildung hart erarbeitet haben, besser beachten sollen. Wie den armen ➱John Clare (Bild), der am Beginn seiner Karriere Byron nachdichtet. Um eines Tages zu erklären: I'm John Clare now. I was Byron and Shakespeare formerly. Aber da ist er schon ein klein wenig wahnsinnig.

Das ist Byron in den Augen vieler ja auch, mad, bad and dangerous to know hat man über den Sohn von Captain John Byron (den man Mad Jack nannte) gesagt. Für seinen Verleger John Murray war er: Wild, audacious, rebellious, ... half mad by nature. So steht es in seinem Buch Lord Byron and His Detractors, ein Buch, das hundert Seiten voller Schmäh der Zeitgenossen enthält.

Byrons Füße und kein Ende. Es ist nicht nur Andrew Hudgins, der über Byrons Schuhe schreibt. Auch ein Amerikaner namens George Greene (a pop-culture Juvenal, whose satiric strain is both trenchant and elegiac) hat gerade einen Gedichtband mit dem Titel Lord Byron's Foot veröffentlicht. Wo es heißt:

That day you sailed across the Adriatic,
wearing your scarlet jacket trimmed in gold,
you stood there on the quarter deck, beglamored,
but we were all distracted by your foot.
Your foot, your foot, your lordship’s gimpy foot,
your twisted, clubbed and clomping foot, your foot.

Das geht mit dem Fuß jetzt so weiter. Sie können das ganze Gedicht ➱hier lesen. Vielen Zeitgenossen ist Byrons Fuß überhaupt nicht aufgefallen. So versichert uns John Galt in ➱The Life of Lord Byron: The sense which Byron always retained of the innocent fault in his foot was unmanly and excessive; for it was not greatly conspicuous, and he had a mode of walking across a room by which it was scarcely at all perceptible. I was several days on board the same ship with him before I happened to discover the defect; it was indeed so well concealed, that I was in doubt whether his lameness was the effect of a temporary accident, or a malformation, until I asked Mr Hobhouse. Aber nun genug von dem Fußfetischismus. Das Einzige, was uns bei Dichtern interessiert, sind ihre Versfüße. Und da findet sich bei Byron kein Makel. Wenn wir ehrlich sind, denken wir bei Byrons Füßen und Byrons Schuhen doch eher an so etwas:









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