Über die RKOL

von Samuel Hamen
Februar 12, 2018 / 2 Kommentare

Anfang des Jahrtausends schrieb Thomas Kling in seinem Essayband Botenstoffe darüber, was für ihn notgedrungen zu seiner Arbeit dazu gehöre: „Ein Image muß her; Marketing zählt.“ Das ist 17 Jahre her, aber wer sich gerade mit dem Literaturbetrieb beschäftigt, stellt einigermaßen schnell fest: Wenig bis nichts hat sich geändert. Im Gegenteil, die Inszenierung des eigenen Schreibens ist, mal zum Nutzen der Autoren, mal zu ihrem Leidwesen, noch wichtiger geworden. Und wer Image sagt, gelangt schnell zu dessen Zwillingsbegriff, zum Label. Autoren als Marke – diese Verschiebung hin zum Marketing lässt sich zurzeit auch in der jungen Literaturszene besichtigen, bei den RKOL, den rich kids of literature, die seit einiger Zeit öffentlichkeitswirksam und publizistisch erfolgreich ihren Auftritt üben, den sie selbst wohl eher als Aufstand bezeichnen würden.

Das Kollektiv ist breit aufgestellt: 2015 gründeten Katharina Holzmann, Sascha Ehlert und David Rabolt  Korbinian, einen kleinen unabhängigen Verlag, bei dem bisher fünf Bücher veröffentlicht wurden. Die Zeitschrift Das Wetter, ein „Magazin für Text & Musik“, deren Herausgeber ebenfalls Ehlert ist, gibt es seit 2013, letzte Woche erschien die 14. Ausgabe. Zudem laden die RKOL regelmäßig zur Lesereihe „Ist das noch Literatur?“, die vom Jungautor Leonhard Hieronymi moderiert wird. Hinzu kommen Fan-Artikel mit aufgestickten RKOL-Kürzeln, Instagram-Accounts sowie kleinere Soirées mit Auktions- und Performance-Teilen. Insgesamt also ein ganzes Ökosystem an Formaten, Logos, Identities und Texten. Hinter alledem steckt ein durchaus reizvoller inszenatorischer Gestus, durch den hindurch der Gegenwartsliteratur wieder „mehr Lebendigkeit, Action, Poesie, Fun und Wagnisse“ injiziert werden soll. So steht es jedenfalls im Manifest der „Ultraromantik“, das Hieronymi 2017 bei Korbinian veröffentlicht hat. Das Anliegen des Buches besteht darin, „eine neue literarische Bewegung“ zu lancieren, „die die zeitgenössische deutschsprachige Literatur retten“ soll.

Rettung, Erlösung, Muff: In diesem Sound reden seit mehr als hundert Jahren jene, die sich als Avantgarde betrachten. Futurismus, Dadaismus, Surrealismus – im ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts etablierten sich viele Kunstbewegungen, die für sich reklamierten, die alte, erstarrte Literatur abzulösen. Indem sich Hieronymi des Manifests, der Gattung der avantgardistischen Moderne, bedient, stellt er sich in deren Tradition und versucht sie unter den Vorzeichen des beginnenden 21. Jahrhunderts fortzuführen.

Avantgardistischer Hauruck

Wer sich dann durch die öffentlichen Instagram-Stories der RKOL klickt, kriegt einen ersten, ziemlich ernüchternden Eindruck, wie sich der erwähnte „Fun“ so anfühlt: Statt Sekt aus Plastikbechern trinkt die Clique Crémant aus bestielten Gläsern. Ähnlich der Feierwilligen, die gegen das gesetzliche Tanzverbot an Karfreitag aufmucken, möchte das Kollektiv, so steht es in der „Ultraromantik“, gegen das „inoffizielle Ekstaseverbot“ vorgehen, „das es hier irgendwie schon immer gegeben hat“. Dabei ist Pathos im Sinne einer stilistischen Ekstase ja gar nicht verboten, sondern eher seitens Literaturkritik und Leserschaft negativ sanktioniert – und das völlig zu Recht, weil das Aus-sich-heraus-Treten, oftmals als historisch verbrämtes Rumgehupe und monumentale Wortblendung daherkommt. Indem aber die Ultraromantiker eine Tür einrennen wollen, die eigentlich gar nicht verschlossen ist, beweisen sie zweierlei: einen bemerkenswert Eifer, endlich mal gegen den diagnostizierten Stillstand vorzugehen, zugleich eine gewisse Unübersicht. Die sozial- und polithistorischen Gründe, wieso „hier“ in Deutschland „irgendwie“ nach totalitären Erfahrungen ekstatisches Sprechen als problematisch gilt, werden jedenfalls weder bedacht noch kritisch ausgeführt.

Mehr Textilien als Text

Aber naja, die Jugend hat nun einmal keinen Plan, sonst wäre sie ja erwachsen und zugepfropft mit Fünfjahresplänen. Das ist eigentlich sympathisch, weil es sich gegen die Süffisanz des Etablierten richtet. Dieses heitere Machen offenbart sich auch an anderer Stelle, etwa wenn Mitglieder der RKOL auf Werbefotos für den hauseigenen Shop auf Pferden posieren, ein Gehege im Hintergrund, die eigens kreierten Polo-Shirts am Leib. Kurz fühlt man sich an die Werbekampagne von Peek & Cloppenburg erinnert, bei der Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre in schicken Anzügen herumtobten. Hier wie dort: mehr Textilien als Text. Aber das ist zwanzig Jahre her, die auch am Literaturbetrieb nicht spurlos vorbeigegangen sind. Events, Home-Storys und personalisierte Artikel sind noch wichtiger, Texte über Texte, mit Argumentationen über mehrere Absätze hinweg, dagegen seltener geworden. Getreu dieser Aufmerksamkeitsschleife wirken die Posen bei den rich kids of literature überpointiert und hyperinszeniert, so als hätten sie sich dafür entschieden, dass eine Literatur dieser Zeit wie die Steigerung der Literatur von gestern aussehen sollte: Ambivalenz der Zeichen, Spott vis-à-vis der Ironie, Geld geil finden oder diejenigen scheiße finden, die Geld geil finden. Alles ist möglich, alles ein gecodetes Späßchen für die, die die Zeichen zu lesen wissen. Bei alledem arbeitet man sich natürlich auch am Großinszenator ab, an Christian Kracht. (Hieronymi hat eine Abschlussarbeit zur Literaturzeitschrift „Der Freund“ geschrieben, die Kracht mitherausgegeben hat.) Bei Insta finden sich auch so Fotos, die ohne jeglichen Erläuterungsbedarf sind, Reenactements der Sylt-Szene von Faserland etwa. Epigone, Abklatsch oder Anschmiegen, man weiß es nicht so recht, aber hey, wir trinken auch Jever, genau wie die in der Fiktion, obwohl wir, ja doch, keine Fiktion sind.

Gut möglich, dass der Erfolg der RKOL auf die weiter oben beschriebenen medialen Veränderungen im Literaturbetrieb zurückzuführen ist. In Portraits, Interviews und gemeinsamen Bar-Besuchen lässt sich auch viel besser über Literatur „quatschen“, wie die SZ jüngst unter Beweis stellte. Ins Wohlwollende gewendet heißt das: Das gezeigte Literaturleben wird zum Werk, zum Ausweis von Autorschaft im medial zugekleisterten 21. Jahrhundert. (Aus dem Blickwinkel kriegt auch der altbekannte Schreibtipp „Show, don’t tell“ eine neue Bedeutung.) Diese Stoßrichtung stimmt mit Überlegungen der historischen Avantgarden überein, die die Inszenierung auch als Teil ihrer Arbeit betrachteten, und sich der Idee hingaben, die Kunst so weit zu treiben, bis sie ununterscheidbar im Leben aufginge. Das Problem ist eher, dass das große, wüste Leben, das die RKOL leben wollen, sich in Klischees à la Berlinoise erschöpft, allen voran in dieser öden Schelmerei, Bescheid zu wissen über die eigene Wirkung. Es ist jedenfalls zu keinem Augenblick subversiv, anders, politisch oder entgrenzend. Wie gesagt: bestielte Gläser statt Pappbecher.

„Nie ist etwas Langeweile.“

Klar, die ganze Mühe rund um Echtheit und Show lässt sich neutralisieren, wenn alles als Uneigentlichkeit verpackt wird. Dann wird das Foto in der Paris Bar zur Farce eines Fotos in der Paris Bar. In der dreizehnten Ausgabe von Das Wetter findet sich ein Artikel über die sogenannte Hyperironie, derer sich auch die Ultraromantik bediene: „Es ist eine Haltung, die zwei Dinge miteinander verbindet, die sich gegenseitig auszuschließen scheinen.“ Dadurch entstünde ein „Freiraum, in dem wir Kunst jenseits der Kategorien Ernst und Ironie betrachten können.“ Später folgt die Aufforderung: „Spüren Sie es einfach, machen Sie sich frei, genießen Sie, statt auf Deubelkommraus verstehen und beurteilen zu wollen.“ Wer weiß, vielleicht ist die Hyper- auch eine Spielart der Postironie, deren Clou darin besteht, dass es sie nicht gibt und wir Trottel mit einem Geisterbegriff im Kopf herumlaufen. Und ja, immer lässt sich einwenden, es sei doch „nicht so“ bzw. „gar nicht“ bzw. „anders“ gemeint. Aber wo bleibt da der „Fun“ für all die, die sich – sei es auch nur ein klein wenig – mehr Belangbarkeit und Triftigkeit im Denken und Schreiben wünschen?

In Hieronymis Manifest heißt es, es komme ab jetzt nicht mehr in Frage, „weiterhin kahle, tote Werke zu schaffen“. Stattdessen: „Alles ist Leidenschaft. Alles ist Schnelligkeit, alles Fortschritt. Nie ist etwas Langeweile.“ Und: „Mensch, Gefühl und Natur sind romantisch, die Handlung ist wahr. Alles ist ehrlich.“ Just auf diesen ultraromantischen Sound berief sich Simon Strauß, der vor kurzem mit „Sieben Nächte“ debütierte. Im vorigen Heft von Das Wetter wurde er dann auch in einem kumpelhaften Interview portraitiert, schließlich ist in seinem Erstling auch viel von wiedererrungenen Gefühlen die Rede. Seit letzter Woche wird darüber debattiert, ob und wenn ja, in welcher Weise der 29-jährige Strauß mit „Sieben Nächte“ und seinen Artikeln fürs FAZ-Feuilleton neurechte Positionen bedient. In seinen Texten lässt sich durchaus eine teils fahrlässige Rhetorik erkennen, die Strauß wohl deswegen nicht einhegt, weil es seinem Anliegen eines ästhetischen Neu-Aufbruchs hinderlich wäre. So bleibt die Flanke nach rechts hin offen, das ist frag- und kritisierwürdig. Von diesem Befund zum Vorwurf, Strauß sei neurechts, wie ihn jetzt auch die RKOL in einem U-Turn erheben, ist es aber ein arg weiter Weg.

Zwischen Wikipedia und TV Today  

An einer Stelle heißt es in Hieronymis 100-Seiter ähnlich willfährig: „Wenn es um die Postmoderne oder den Poststrukturalismus geht, kennt die Ultraromantik keinen Intellekt, dann fehlt ihr der Antrieb zur Auseinandersetzung.“ Diese Weigerung führt stellenweise auch im Buch zu einer ungenauen Sprache. Die Verwendung des Adjektivs romantisch pendelt sich jedenfalls irgendwo zwischen Wikipedia, TV Today und der Erstsitzung eines Proseminars ein. An einer tiefgründigen Bezugnahme auf die Romantik als einer kulturhistorischen Epoche scheint hier keinem gelegen. Autoren wie die Brüder Schlegel, in deren publizistischem Werk sich sicherlich Anknüpfungsmöglichkeiten gefunden hätten, kommen nicht mal vor. Vielmehr wird die epochale Strahlkraft der Romantik angezapft. Genau diese pseudo-historischen Brückenschläge sind fürPeter Bürger in Nach der Avantgarde (2014) typisch für unsere Zeit: „Unsere Epoche ist dem Hier und Jetzt so sehr verfallen, daß sie im Vergangenen nur etwas zu sehen vermag, was gewesen ist und uns daher nicht mehr betrifft; es sei denn, daß es zufällig im Fokus eines Events steht.“

Diese Bezugslogik ist letztlich die gleiche, mit der die Lindt-Werbung so tut, als habe ihre Schokolade tatsächlich etwas mit einem blankgeputzten Atelier des 19. Jahrhunderts zu tun, in dem ein grinsender Opa mit albernem Hut vor sich hin rührt. Das stimmt natürlich nicht, das ist längst Geschichte. Aber der Effekt einer Verlinkung wirkt. Und so wie bei Lindt plötzlich so abstruse Vokabeln wie Conche auftauchen, so stoßen wir in der „Ultraromantik“ auf typisch deutsche Worte wie Tat, Heimat und Wald. Nur geht ihnen jetzt der historische und diskursive Kontext ab, der die Romantik abseits ihrer Klischees ausmacht. Stattdessen lesen wir nur mehr: „Lange Spaziergänge durch alte Wälder bedeuten Rechtschaffenheit.“ Die braunen Tannenliebhaber freuen sich darüber.

Vom Super- zum Hypermarkt

In Frankreich und Belgien wurden Anfang der 60er Hypermärkte errichtet. Bis auf den Namen hatte sich gegenüber Supermärkten wenig verändert, es gab einfach bloß noch mehr vom Üblichen auf noch mehr Fläche. Die Ultraromantik samt personalem und publizistischem Anhang ist in gewissem Sinne der Hypermarkt der deutschsprachigen jungen Belletristik. Und ihre Wirkung ist neben der produktiven vor allem eine verdrängende. Die Behauptung, die Gegenwartsliteratur mit ihren „kahlen, toten Werken“ müsse radikal verändert, ja, „gerettet“ werden, bezirzt zwar durch ihren Solipsismus, der immer schon zum Repertoire jener gehörte, die als vermeintlich Neue gegen das vermeintlich Alte antraten. Trotzdem und gerade deswegen ist sie falsch. Wer sich aus dem Pferdegehege der RKOL herausbewegt, stößt schnell und zuverlässig auf richtig gute Literatur – mal mit, mal ohne die große inszenatorische Gebärde. Zu nennen sind andere junge Kollektive, etwa die Akademie für Letalität und Lösungen, G13 sowie Tegel-Media. Die Aktualisierung des Dorfromans, die Verarbeitung migrantischer Sujets, die Hinterfragung der sozialen und politischen Bedingtheiten des Betriebs (PS: Politisches Schreiben) –  in alledem zeigt sich die Dynamik einer Szene, die weniger ultraromantisiert gehört, sondern erst einmal in ihrer Gänze wahr- und ernstgenommen.