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Franz ist nicht der Typ für Geburtstagsfeiern. Gar nicht ist er das.
Trotzdem muß man manchmal bei sowas dabeisein. Also nach der abendlichen
Orchesterprobe, die wieder mal ein Fiasko war, schnell bei Babs
vorbeigeschaut. Die sind alle schon 2 Stunden da und haben sich eingesessen.
Schwierig ist es immer, ein alle betreffendes Thema zu finden. Damit vergeht
meist die erste Stunde. Dann endlich der Pizzaservice. Das Aussuchen aus der
Karte hat auch eine Stunde in Anspruch genommen. Wie doch die Zeit vergeht.
Als Franz kommt, wartet die Gesellschaft noch immer auf das Bestellte.
Natürlich wird er nichts bekommen. Konnte ja auch niemand wissen, ob
Franz jetzt noch aufläuft oder nicht. Und eine Pizza bestellen, die dann
nachher kaltschlecht wird -- unnötig. So platzt er also in die
aufgewärmte und eingeredete Gesellschaft und fühlt sich erstmal
verloren. Ziemlich. Don erzählt von der letzten Tournee. Gut war's. Der
Dirigent nicht schlecht -- allerdings hat man schon bessere gehabt. Trotzdem:
die Chance, mit dem und dem Orchester zu reisen, hat er sich nicht entgehen
lassen können. Zwischen den Stationen immer wieder das obligate Gefummel
am menschlichen Souvenir: 2. Flöte. In Paris war die Halle ziemlich kalt.
Nichtwahrschatz!? Die hat Hunger. Das sieht man ihr an. Überdeutlich. Da
hilft nur Don's liebevolle Behandlung. Der Rest der Gesellschaft blickt auf
die beiden. Alle denken, daß so wohl ein ideales Paar aussieht.
Zwischendrin schaut immer mal wieder jemand auf die Uhr. Jetzt könnten
die aber mal langsam anrücken mit der Verpflegung. Man wird ja auch nicht
jünger beim Warten. Das sieht man an Babs. Die ist heute
schließlich 31 geworden. Mit der Zeit läuft einem das Essen weg.
Bab's kleiner Sohn reist als Flaschenöffner durch die Gesellschaft.
Wie gut der das schon macht. Sowas nennt man Prägung. Franz' Pointe geht
in Don's Geschmatze an der Seinen unter. Und Brüssel war dann allerdings
ein wirklicher Erfolg. Nichtwahrschatz. Die nickt, vom Hunger gezeichnet. Die
könnten jetzt wirklich bald kommen. Franz' Geschenk liegt unausgepackt
auf Babs' Gabentisch. Gut, daß da keiner reinsieht. Das ist ohnehin nur
eine CD, die er aussortieren wollte. CD's sind wie Pralinen. Manche
reisen endlos. Vorteil: bedeutend längere Halbwertzeit. Das einzige, was
es zu beachten gilt ist die Hülle. Immer mal wieder eine neue Hülle
anschaffen. Die verkratzen unerfreulich schnell. Die CD selbst glänzt
noch wie am ersten Tag. Don's Orchester hat auch eine CD aufgenommen.
Live-Mitschnitt. Sein Solo -- eine der besseren Nummern im Programm. Wenn man
so ganz allein mit der Welt den Anfang vom Sacre blasen muß -- da kann
einem schon ganz anders werden. Da kann auch der Dirigent nicht mehr helfen.
Besser noch: da hat auch der keinen Einfluß mehr. Der muß
zuhören und warten, bis er dran ist. Erhebender kann nichts mehr sein
für einen Fagottisten. Alle müssen auf ihn warten. Das genießt
Don. Und er hat es toll gemacht. Das haben die Kollegen neidlos anerkannt.
Auch Schatz. Später im Stück geht es ja dann zurück ins Glied.
Aber von diesem Anfang zehrt man den ganzen Abend. Das Schönste: wenn das
Konzert mit dem Strawinsky anfängt. Dann hat man am längsten was
davon. Aber das Schicksal will es so: Sacre spielt man am Ende. Immerhin: das
reicht dann bis übers Konzert hinaus. Dieses Gefühl atmet Don noch
Tage später. Nichtwahrschatz. Die Leute haben stehend applaudiert. Und
natürlich ein Extra-Applaus für Don. Das ist auch vom
holländischen Fernsehen übertragen worden. Die ganze Familie hat's
gesehen. Man wohnt ja im Grenzgebiet. Und die Tante hat's auch gesehen. Leider
hat sie auf Don's Jackett eine Schuppe entdeckt. Das trübt den
Gesamteindruck. Endlich kommt das Pizza-Taxi. Alle haben zusätzlich zu
irgendwas Pizza-Brötchen bestellt. Soll mal jemand sagen, daß Franz
nichts abbekommen würde. Würde. Und so billig. Salat ißt er ja
eh nicht. Zu gesund. Werhattedennjetztbitteschönwas? Der Babssohn
muß jetzt richtig ran. Es soll getrunken werden. Und wer hatte die
Gnocchi? Das war der Babsmann. Der ißt immer am liebsten Gnocchi. Mit
Gorgonzola. Obwohl die Babs das gar nicht versteht, wie man ein solches
Schimmelzeug die Speiseröhre herunterbringt. Das ist ja geradezu eklig.
Aber bitte -- wem es gefällt. Don und die Seine sind die ersten an den
Pappschachteln. Jetzt endlich lösen sie sich voneinander. Die Mahlzeit
beansprucht ihre ganze Konzentration. Nachher muß er unbedingt noch von
Liverpool erzählen. Das glaubt ihm keiner. Da hat er das Sacre
eröffnet -- und mitten im ersten Ton ist das Rohr gerissen. Pause. Das
glaubt keiner. Und er hat es trotzdem zu Ende gebracht. Sowas ist ihm noch nie
passiert. Dieses Rohr hat er als Souvenir mitgebracht. Das sollen sich mal
alle ansehen. Das glaubt keiner, daß man auf sowas noch die Einleitung
vom Sacre spielt. Das hat auch der Dirigent kaum glauben können.
Nichtwahrschatz. Bevor jetzt alle mit dem Essen anfangen: einmal das
Mundstück durchreichen. Und am Geruch vorbeisehen. Im Alter riechen diese
Dinge immer ein bißchen. Der Speichel. Don hat nach dem Konzert sogar
Interviews gegeben. Alle wollten wissen, wie er das noch hinbekommen habe.
Jeder andere hätte doch gepatzt bei so einem Handicap. Don nicht. Don
spielt die Eröffnung immer mit permanenter Atmung und hält den
ersten Ton extralang, damit das auch jeder merkt. Wenn's die Leute nicht
merken, hat's ja gar keinen Sinn. Und wie gesagt: der Dirigent kann's ja nicht
ändern. Den läßt er jedes Mal eiskalt -- aber eiskalt -- im
Regen stehen.
Tiiiijadadadadaaaaaaaatiiiiijaaaaaaaaaaaaaaaaaaadadadadaaaaaaaaaaaaa
usw.. Das macht ihm keiner nach. Das steht zwar nicht in den Noten, aber was
soll's. Was soll's. Bei den anderen geht es ja so: Tjaaadadadada -- Pause --
Tjiaaadaadada -- Pause -- Tjiaaaadadadadada. Peinlich, oder? Die Show ist mein,
spricht der Herr. Nichtwahrschatz. Aber Schatz erstickt an den Spaghetti und
will, das sieht man, jetzt nicht beleckt werden. Don kann einem leid tun.
Mitten in der Balz muß man mit einem Teller Spaghetti konkurrieren. Und
das nach einem solchen Erlebnis wie in Liverpool. Das letzte Konzert der
Tournee. Wäre es das erste gewesen -- Don hätte das jeden Abend
wiederholt. In Liverpool hat er damit sogar in der Zeitung gestanden. Er auf
einem großen Bild, wie er das geplatzte Rohr hochhält. Und eben
dieses Rohr schenkt er jetzt Babs zum Geburtstag. Ein unschlagbares Geschenk.
Das müssen die anderen neidlos anerkennen. Don hat es der Seinen doch
gleich gesagt: die Spaghetti nicht so schlingen. Jetzt ist ihr schlecht. Wie
immer. Sie ißt einfach zu schnell. In Lissabon ist Don auch ziemlich
schlecht gewesen. Da mußte er sich beim Sacre gegen einen anklopfenden
Rülpser wehren. Mit knapper Not ist er ins Ziel gekommen. Don will
wissen, ob Franz denn schon die Sonate für Fagott und Flöte
geschrieben hat. Bestellt ist bestellt. Demnächst geht's ja über die
Dörfer. Mit Kammermusik. Einen Pianisten hat man auch gemietet. Der
muß Don und die Seine in Szene setzen. Aber Herzstück der
Vorführungen soll Franz' Sonate werden. Mindestens 12 Minuten. Die sind
feste ins Programm eingeplant. Mindestens 12. Und Franz weiß ja Bescheid.
Die Fagottstimme ruhig ein bißchen schwerer anlegen. Viel lange Noten,
damit die permanente Atmung auch demonstriert werden kann. Sonst macht er
selber welche rein. Künstlerische Freiheit. Fermaten müssen her.
Endlose Fermaten. Andererseits nicht zu modern. Dann hört das Volk nicht
mehr hin. Schade, daß er jetzt gehen muß. Die Seine hält es
nicht mehr aus. Dabei hatte sich Don doch den Ausklang des Abends viel
romantischer vorgestellt. Nichtwahrschatz. Aber Schatz ist längst
ziemlich grün im Gesicht. Da werden wir wohl die abendliche Blasmusik
verschieben müssen. Blasmusik ist ja modern geworden seit Clinton.
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