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no. 27: arbeit
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Blutsauger, Nachzehrer und andere UntoteEine kurze Kulturgeschichte des Vampirs |
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von Silke Tegethof |
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Twilight -- Buffy the Vampire Slayer -- Van Helsing -- True Blood: In Film und Popkultur der letzten zehn Jahre sind Blutsauger nahezu allgegenwärtig. Der scheinbar neue Trend steht dabei in einer Tradition, welche bereits in der Romantik begann. Die Motivgeschichte des Vampirs selbst reicht noch um einige Jahrhunderte weiter zurück. Als lebende Tote, Wiedergänger und Nachzehrer waren sie ähnlich wie heute Ausdruck wie Regulativ breit geteilter gesellschaftlicher Ängste. |
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Seit dem 15. Juli 2010 darf weitergefiebert werden: der dritte Teil von Stephenie Meyers erfolgreichem Vampir-Franchise Eclipse läuft nun in den deutschen Kinos. Und auch wenn sich nicht wie zur Premiere des ersten Filmes im Dezember 2008 in München die Hauptdarsteller Kristen Stewart und Robert Pattinson persönlich die Ehre gaben, an den Kinokassen ist der Film genauso erfolgreich wie seine Vorgänger. Die Twilight-Welle hält die Welt weiter in ihrem Bann. Hunderte von vor allem weiblichen Fans sind begeistert von der cineastischen Fortsetzung der Geschichte um Bella, das Mädchen von nebenan und den Vampir Edward. |
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Die Buchvorlage zeigte sich so erfolgreich wie die Filme: Die Bände Bis(s) zum Morgengrauen (Twilight), Bis(s) zur Mittagsstunde (New Moon), Bis(s) zum Abendrot (Eclipse) und Bis(s) zum Ende der Nacht (Breaking Dawn) führten alle die internationalen Bestsellerlisten an. In Meyers vier umfangreichen Romanen geht es um den Vampir Edward und seine Familie, die dem Töten von Menschen abgeschworen haben und sich stattdessen von Tierblut ernähren. In der amerikanischen Kleinstadt Forks haben sie ein Zuhause gefunden, da hier im regenreichsten Gebiet der USA ihre in der Sonne glitzernde Haut nicht auffällt. Doch ihre Welt gerät aus den Fugen, als Teenager Bella nach Forks zu ihrem Vater zieht und Edward bemerkt, dass sie für ihn bestimmt ist, obwohl sie ein sterblicher Mensch ist. |
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Doch nur auf die Twilight-Welle lässt sich das Trendphänomen Vampir dieser Tage nicht reduzieren. "Blutsauger haben Hochkonjunktur in der Unterhaltungskultur [...]. Untote fletschen im Kino, im TV und in Büchern ihre Fangzähne, als wäre Halloween ein Dauerzustand", schreibt die Gala im Herbst 2008. Und tatsächlich, schaut man sich in der Pop-Kultur der letzten zehn Jahre um, springen einem die Blutsauger förmlich an den Hals. Fernsehserien wie Buffy the Vampire Slayer (Pro7, 1997-2003), Angel (Pro7, 1999-2004), Blood Ties (RTL II, 2006), Moonlight (Pro7, 2007-2008), Vampire Diaries (Pro7, 2010) und True Blood (HBO, USA seit 2009) haben bis heute große Fangemeinden und auch auf der Leinwand zeugen Filme wie Queen of the Damned (2002), Van Helsing (2004), Underworld (2003) und Underworld: Evolution (2006) von der Attraktivität und dem Erfolg dieser Wesen zwischen Leben und Tod. Blickt man weiter zurück, lässt sich schnell feststellen, dass kaum eine Figur derart viele Autoren zu immer neuen Ausgestaltungen und Interpretationen reizte. Bereits im 19. Jahrhundert war der Vampir eine regelmäßige Erscheinung in der populären Literatur, im 20. Jahrhundert dann auch in Film und im Fernsehen. Warum konnte der Vampir in seiner mehrere hundert Jahre währenden Motivgeschichte eine derart weite Verbreitung erfahren? |
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Vampire, Nachzehrer und Wiedergänger im Volksglauben der Vormoderne | ||||
Um den Erfolg der Vampirfigur und deren heutige Gestalt zu verstehen, lohnt die Suche nach der Herkunft des Motivs. Die ersten vampirartigen Figuren tauchen im europäischen Volksglauben und der Volkserzählung der Vormoderne auf, ein Zeitraum der grob von etwa 1500-1800 andauert. Hier ist bewusst nur von vampirähnlichen Figuren zu sprechen, denn was wir uns heute unter einem Vampir vorstellen, hat mit den Figuren aus dem Volksglauben meist wenig gemein. Generell lassen sich in der Vormoderne verschiedene Typen von lebenden Toten unterscheiden. Mit dem Begriff lebende Tote sind dabei alle Erscheinungen gemeint, bei denen die Verstorbenen in der vormodernen Vorstellungswelt nicht ruhig im Grabe bleiben, sondern weiterleben und mit den Lebenden interagieren. |
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Aus der Masse der Erzählungen von lebenden Toten differenzieren sich die Typen des Vampirs, Nachzehrers und Wiedergängers heraus. Wiedergänger sind Tote, die ihr Grab verlassen, um weiterhin am Leben teilzunehmen. Von Fall zu Fall sind Erscheinungsbilder, Absichten und Methoden dieser lebenden Toten unterschiedlich. Wiedergänger müssen nicht unbedingt den Lebenden Schaden zufügen und den Tod bringen. Es kann sich beispielsweise auch um Mütter handeln, die im Kindbett gestorben sind und keine Ruhe finden, da sie ihre Kinder versorgen möchten. Nachzehrer und Vampir gehören hingegen in das Begriffsfeld nachholende Tote. Sie ziehen die Lebenden in den meisten Fällen nach sich in den Tod. Nachzehrer saugen den Lebenden per Fernzauber aus ihren Gräbern heraus das Leben aus, meist indem sie an Textilien saugen, Vampire hingegen verlassen körperlich ihre Gräber, attackieren die Lebenden und ernähren sich von deren Blut. |
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Für die Menschen der Vormoderne in Europa war die Vorstellung, nach dem Tode zu einem Nachzehrer oder Vampir zu werden, eine reale Gefahr, die an jedem Tag des Lebens drohte. Ereignisse, die eine Person zu einem lebenden Toten machen konnten, lassen sich in drei Gruppen kategorisieren. Erstens Prädisposition, denn Personen, die von gültigen Normen in Aussehen oder Lebenswandel abwichen, so die damalige Überzeugung, war oft schon eine Existenz als lebender Toter vorherbestimmt. Zu nennen sind zum Beispiel Personen, die mit geteilter Lippe, roten Haaren oder sichtbaren Behinderungen geboren wurden, oder aber Verbrecher, Alkoholiker, Prostituierte und generelle Außenseiter. Zweitens zählten aktiv begangene Verfehlungen oder Zufälle und Schicksalsschläge als Ursache für eine spätere Vampir- oder Nachzehrerexistenz. So konnte in der vormodernen Imagination ein Tier, das über die Leiche eines Verstorbenen springt, ein späteres Vampirdasein hervorrufen, ebenso wie die eigene Geburt an besonderen Tagen oder begangene Verbrechen, Verfluchungen durch andere Menschen bis hin zu der heute immer noch weit verbreiteten Vorstellung von Biss und Ansteckung durch einen anderen Vampir. Die dritte Kategorie ist mit dem Theorem des 'schlechten Todes' verknüpft und beinhaltet Menschen, die nicht die ihnen zugedachte Zeit gelebt und somit noch unerledigte Dinge im Reich der Lebenden zurücklassen. Zu dieser Gruppe gehören Mord- und Unfallopfer oder die bereits angesprochenen, im Kindbett gestorbenen Frauen. |
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In ihren Merkmalen überschneiden sich Vorstellungen von Wiedergängern, Nachzehrern und Vampiren. Natürlich trifft bei der großen Varianz der Vorstellungen nicht jedes Merkmal auf jeden lebenden Toten zu, dennoch lässt sich eine Gruppe von Merkmalen anhäufen, die als typisch gelten. Anzeichen, die an den frisch Verstorbenen auf ein Weiterleben als lebende Tote hindeuteten, waren zum Beispiel ein rosiges Aussehen, rote Wangen und Lippen, geöffnete Augen und ausbleibende Leichenstarre. Die Figur des südosteuropäischen Vampirs ist dabei um einiges markanter und komplexer angelegt als die diffuseren mitteleuropäischeren Vorstellungen von Nachzehrern und Wiedergängern. Er teilt mit den Nachzehrern Merkmale, die auf den Konsum von Blut hindeuten: roten Wangen und Lippen, blutverschmierte Zähne und Finger. Darüber hinaus wird er bei seinem körperlichen Umhergehen ohne Schatten und Spiegelbild vorgestellt. Er kann seinen Sarg nur zu bestimmten Zeiten verlassen, scheut das Tageslicht, ist übermenschlich stark und kann das Wetter und niedere Lebewesen kontrollieren. Der Vampir kann sprechen, von seinen Opfern sinnlich wahrgenommen werden und hat einen Geschlechtstrieb. Im Ganzen ist der Vampir viel körperlicher im Bereich der Lebenden angelegt, als der im Grabe liegende, an Textilien oder eigenen Körperteilen saugende Nachzehrer oder geisterartige Wiedergänger, die den Lebenden nur per nicht sinnlich erfahrbarem Fernzauber schaden können. |
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Warum hielten sich nun Vorstellungen von Vampiren, Nachzehrern und Wiedergängern in der Vormoderne so hartnäckig in den Köpfen der vor allem bäurischen Bevölkerung? Auffällig ist, dass man in Zusammenhang mit den historischen und lokalen Gegebenheiten der Fälle immer wieder auf unerklärlich scheinende Todesfälle und Krankheitsepidemien stößt, als deren Ursache sich offenbar das Wirken eines Vampirs oder Nachzehrers anbot. Die Figur gab den Menschen nicht nur eine Erklärung für das Unfassbare, sondern zugleich auch die Möglichkeit, es mit gesellschaftlich festgelegten Handlungsmustern zu bekämpfen. Die in Frage kommende Leiche wurde exhumiert, gepfählt, enthauptet oder verbrannt, um dem vermeintlichen Treiben eine Ende zu setzen. Zum anderen stellt die Vampir- und Nachzehrerfurcht auch ein Element 'sozialer Kontrolle' dar, da vor allem Außenseiter und soziale Abweichler in Vampirverdacht gerieten und somit zu einem regelkonformen Leben gedrängt wurden. Auch dienten die Vorstellungen als Regulativ, das den 'richtigen' Umgang mit frisch Verstorbenen und deren Vermächtnis regelte, denn fehlerhaft durchgeführte Begräbnisriten oder Stehlen des Besitz des Toten konnten diesen zu einem lebenden Toten werden lassen. |
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Die Hochperioden der Nachzehrerfurcht liegen im 16. Jahrhundert, im 17. Jahrhundert ist die Zeit der Nachzehrerabwehr auf deutschem Boden bereits wieder im Rückgang begriffen. Die europaweite Verbreitung der ursprünglich im Südosten Europas beherbergten Vorstellung vom Vampir erfolgt erst im 18. Jahrhundert sehr zum Verdruss eifernder Aufklärer. 1693 wird der erste Bericht über spektakuläre Vampirfälle in Ungarn in der französischen Zeitschrift Mercure Galant veröffentlicht. Das Thema beginnt durch Veröffentlichungen in vor allem deutschsprachigen Periodika so viel öffentliches Interesse in Westeuropa zu erlangen, dass sich von einer Art frühem Medienereignis sprechen lässt. In der Mitte des 18. Jahrhunderts werden eine Reihe von Berichten österreichischer Feldärzte über den Vampirglauben der Balkan-Bevölkerung und die damit einhergehenden Abwehrmaßnahmen in den gelehrten Salons Zentraleuropas diskutiert. In der sogenannten 'großen Vampirismusdebatte' der 1730er-Jahre werden aufsehenerregende Fälle von Vampirgauben im Balkanraum von Gelehrten und Wissenschaftlern der unterschiedlichsten Fachrichtungen untersucht. Über Zeitungen, Magazine und die Korrespondenz von Reisenden verbreiteten sich die Geschichten von den osteuropäischen lebenden Toten in ganz Europa. Der ursprünglich der bäurischen Vorstellungswelt entstammende Vampir entwickelte sich langsam zu einer exotischen Figur, die in einer Art binnenkolonialem Kulturkampf gegen 'Unzivilisiertheit' herhalten musste, bevor ihn um 1800 die romantischen Schriftsteller entdeckten, mit Erotizismus verbrämten und 'adelten' (Ruthner 2009). |
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Die Erfindung des modernen Vampirs in der Belletristik | ||||
Der Vampir als Gestalt des Grauens rückte im Verlauf des 18. Jahrhunderts aus der vormodernen Glaubenswelt und aufklärerischen Wissenschaft mehr und mehr in die Fiktion von Sagen, Märchen und Schauerroman. Die beginnende Epoche der Romantik mit ihrer Vorliebe für Volkserzählungen als Ausdruck eines "authentischen" Volksglaubens auf der einen Seite und für das Okkulte und Geheimnisvolle auf der anderen Seite, erwies sich als fruchtbarer Boden für literarische Bearbeitungen der Figur, die zu einem der erfolgreichsten Motive des 19. Jahrhunderts avancierte. Mit Bram Stokers ikonischer Vampirgestalt Dracula findet die Mode der Vampirfigur am Ende der romantischen Periode einen Höhepunkt. Die von der Literatur geprägten neuen Vampir-Vorstellungen haben mit dem Vampir des vormodernen Volksglaubens zwar nur begrenzt zu tun, sind jedoch bis heute sehr lebendig. |
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Vor allem der englische Dichter Lord Byron erweist sich als Gelenkstelle in der Literaturgeschichte des Vampirs. Neben einigen vampirartigen Gestalten in seinen Turkish Tales, schrieb er im Sommer 1816, den er zusammen mit Percy und Mary Shelley in der Villa Diodati am Genfer See verbrachte, in einem Gruselgeschichten-Wettbewerb ein Fragment einer Erzählung, das seinen Leibarzt John Polidori zur ersten bekannten Vampirerzählung der europäischen Literatur anregen sollte. Polidoris The Vampyre erschien 1819 im New Monthly Magazine. Die sehr erfolgreiche Erzählung ist primär als Karikatur seines ehemaligen Arbeitgebers Byron zu verstehen und mit Wesenszügen versehen, die von Byron selbst stammen. |
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Polidori veränderte die Vampirfigur des Volksglaubens in vierfacher Hinsicht. Zum einen handelt es sich bei Polidoris Vampir um einen dezidiert menschlichen Charakter. Im Gegensatz zum häufig tier- und triebhaft wirkenden Wiedergänger, Nachzehrer oder Vampir des vormodernen Volksglaubens wurde der Vampir zum monströsen, jedoch auch menschlichen und intelligenten Wesen. Der Leser konnte zusätzlich zu Angst und Ablehnung nun auch Anziehung, Sympathie und Mitleid für den Vampir empfinden. Zweitens handelt es sich bei Polidoris Vampir um einen Adligen. Im Gegensatz zu den aus dem bäuerlichen Umfeld stammenden Vampiren des Volksglaubens, wurde der Vampirismus nun auf einen gebildeten Angehörigen der Oberschicht übertragen. Dies sollte sich für die weitere Motivgeschichte des Vampirs bis heute als wichtige Änderung erweisen. Drittens machte Polidori seinen Vampir zu einem Reisenden. Dadurch konnte der Vampir auch Gegenden wie England heimsuchen, gegen Ende der Geschichte spurlos verschwinden und die Unheimlichkeit der somit regional ungebundenen Figur noch steigern. Viertens machte Polidori seinen Vampir zu einem männlichen Verführer. In der Literatur hatte der Schwerpunkt bis zu diesem Zeitpunkt auf weiblichen Vampiren gelegen. Der erneute Aufgriff des sexuellen Aspekts, der ebenfalls im Vampir der Folklore angelegt war, vereint alle durchgeführten Änderungen an der Figur. Der Vampir kann von zu diesem Zeitpunkt an für seine Opfer (und den Leser) begehrenswert werden. Seine Menschlichkeit, sein hoher gesellschaftlicher Status, seine Eleganz und Weltgewandtheit machen ihn attraktiv. Durch die neue Anlage des Vampirs, der viele Charakterzüge mit dem Schurken des Schauerromans teilt, wird die Figur gleichsam furchterregend wie faszinierend. |
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So wird Dracula, als bekannteste Vampirfigur überhaupt, als Edelmann beschrieben; seine herausragendsten Merkmale sind funkelnde Augen und Blässe -- ein klarer Bruch mit dem dunkel verfärbten beziehungsweise rosigen Aussehen der Wiedergänger, Nachzehrer und Vampire des Volksglaubens. Die Blässe ist zum einen als Distinktionsmerkmal des Adelsstands zu verstehen und zum anderen als Signum des Todes. Insgesamt vermischen sich neue Elemente des literarischen Vampirs mit denen des Volksglaubens. Eiskalte Hände, volle rote Lippen, prominente und besonders weiße Zähne, spitze Fingernägel, dunkles volles Haar und schwarze Kleidung bestimmen nun das 'klassische' Vampirbild. Auch seine Fähigkeiten stimmen teils mit einigen Vorstellungen aus dem ebenfalls sehr diversen Volksglauben überein: Dracula ist unsterblich, wirft keinen Schatten und hat keine Reflektion im Spiegel. Er ruht tagsüber in einem Sarg, verfügt über übermenschliche Kräfte, ist in der Lage, sich in Tiere und Nebel zu verwandeln, kann Menschen, wie etwa seinen Untergebenen Renfield oder auch sein Opfer Lucy, telepathisch beeinflussen und über Meer, Wind und Wetter herrschen. Gleichzeitig unterliegt er jedoch auch gewissen Beschränkungen. Er kann kein fließendes Wasser überqueren, den Geruch von Knoblauch nicht ertragen und scheut vor Kruzifixen, Rosenkränzen und Hostien zurück. Um ein Haus betreten zu können, muss er zunächst von einem Bewohner dazu eingeladen worden sein. Die Verknüpfung von Elementen des Volksglaubens mit den Klischees des Gothic Villain dient im Falle Draculas der Steigerung der Horroreffekts, während das neue attraktive Äußere der Vampirgestalt Opfer und Leser in einen Zwiespalt zwischen Anziehung und Abscheu gegenüber der Figur versetzt. Dabei manifestiert sich in den Texten, die sich nun um den Biss als eine Art 'Todeskuss' drehen und die spezielle Dynamik zwischen dominantem, penetrierendem Vampir und masochistischen, passiven Opfer schildern, eine kaum verhüllte Erotik. |
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Die Darstellung des jeweiligen Vampirs verrät einiges über die Gesellschaft, der sie entspringen. Die Monster, die eine Gesellschaft erfindet, stehen immer in Relation zu ihren wachen Überzeugungen und Ideologien, sie entspringen sozusagen dem kollektiven 'Unterbewussten'. Der Hauptgrund für den anhaltenden Erfolg des Vampirmotivs ist seine Adaptionsfähigkeit. Als kulturelle 'Leerstelle', als 'The Other' eignet er sich gut, um als Metapher die Ängste und unterdrückten Diskurse seiner jeweiligen Zeit zu repräsentieren. Der Vampir fand vielfältig Anwendung, sei es wie bei Dracula als bürgerliche Kritik am Adelsstand oder Aufarbeitung der Schuld der französischen Revolution, als Ausdruck der unterdrückten Sexualität des viktorianischen Zeitalters oder als magisches Gegenbild zur rationalen Philosophie der Aufklärung in Zeiten der Krise und des Umbruchs. Weiter war und ist der Vampir eine zentrale Figur für die Thematisierung von Tabus und die Infragestellung von gesellschaftlichen Normen. Durch die Säkularisierung und Abschaffung von Jenseitsgarantien ist seine Existenz ebenfalls als wichtiger Diskurs zum Thema Tod und Unsterblichkeit zu verstehen. Oft wurde auch eine generelle Sinn- und Identitätssuche über Vampirfiguren ausgetragen. Der innerlich zerrissene Vampir als existenzialistischer Zweifler eignet sich besonders als Ausdrucksmittel eines postmodernen Sinndefizits. |
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Filmische Metamorphosen | ||||
Der erste abendfüllende Spielfilm mit Vampirthematik war Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu -- Eine Symphonie des Grauens (1922). Hier hob sich der Vampir Graf Orlok jedoch drastisch vom Bild Draculas aus Stokers Roman ab. Der gepflegte dämonische Vampir Stokers wird zum verwachsenen, senil dahinschlurfenden Ungeheuer mit kahlem breitem Schädel, grotesk gespannter weißer Kopfhaut, starren Augen und lückenhaften Zähnen (Pirie 1997). Auch hier eignet sich die Figur erneut als Projektionsfläche im Umgang mit Krisen und Feindbildern. Die Entindividualisierung, die der Vampir in Nosferatu erfährt, ist klar der allgemein vorherrschenden Unsicherheit der Weimarer Gesellschaft geschuldet. Nosferatu appelliert an das kollektive Unterbewusste der Weimarer Republik und stellt gleichsam die Gussform eines Feindbildes dar, das der Zuschauer selbst mit konkreter Bedeutung füllen muss, passend zum postapokalyptischen Zeitgeist der Inflationsjahre (Ruthner 2006). |
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Im Abstand von einigen Jahren folgten die frühen Klassiker des Genres. Tod Brownings Dracula (1931) machte Bela Lugosi zum Inbegriff des Filmvampirs und leitete die Universal Pictures-Horrorfilm-Serie der 1930er- und 1940er-Jahre ein. Nicht weniger als fünf weitere Monsterfilme beinhalteten die Figur Dracula oder andere Vampirgestalten und trugen so nachhaltig zu dessen Verankerung im kulturellen Gedächtnis bei. Bela Lugosi spielt dabei den Grafen als ausländische Bedrohung in der Tarnung adeliger Kultiviertheit. In Umhang und Smoking, mit blassem Gesicht und dunklem Augen-Make-up, wirkt er nicht nur Respekt gebietend, sondern durch die dramatische Beleuchtung seiner Augen auch hypnotisch und erschreckend. Zum ersten Mal erhält an dieser Stelle ein Vampir auch die Fähigkeit zu hörbarem Sprechen. Lugosis extrem langsame Artikulation und die gutturalen rollenden Rs werden zu Markenzeichen des filmischen Vampirs im Tonfilm. Tod Brownings Dracula half auf seine Art und Weise bei der Bewältigung einer anderen Krise. Nun war es die prekäre ökonomische und soziale Lage nach dem großen Börsenkrach 1929. Mit Nostalgie erinnerte man sich der Vergangenheit der Roaring Twenties und versuchte gleichzeitig, die aktuelle Lage zu verdrängen. Ein Film mit tendenziell eskapistischem Sujet wie Dracula bot zunächst einen Blitzableiter für vorherrschende soziale Ängste. Gleichzeitig funktioniert Dracula hier auch als Metapher für ein wirtschaftliches Ausbluten der modernen Menschen und als anti-aufklärerischer Anschlag gegen den Westen. |
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Ende der 1950er-Jahre war es vor allem die britische Produktionsgesellschaft Hammer Films, welche die Tradition des Horrorfilms fortsetzte. Christopher Lee stieg in Terence Fishers The Horrors of Dracula (1958) zum ikonischen Vampirdarsteller in der Nachfolge Lugosis auf. Es folgten noch acht weitere Filme, sechs davon mit Lee als Dracula. Inhaltlich bezogen sie sich klar auf die Universal-Horrorfilme, gestalteten jedoch die Stoffe und Ästhetik der ikonischen Figuren neu. Im Gegensatz zu Lugosi war Lee ein junger, großer, attraktiver Mann in den Mittdreißigern, sprach ohne ausländischen Akzent und trat dynamisch und autoritär auf. Das wesentliche innovative Kriterium der Hammer-Horrorfilme war sicherlich die nun mögliche Farbe und die explizitere Darstellung von Gewalt, verbunden mit einer suggestiveren Behandlung der erotischen und sexuellen Symbolik. Insgesamt schrieb Fishers Dracula-Verfilmung die Merkmale des Filmvampirs in einem klar abgegrenzten Genre mit eigenen Regeln und Variationen fest. Fishers Dracula und die folgenden Hammer-Filme setzen in den großen Umwälzungsprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg auf eine eher konservative Aussage in Bezug auf die ideale Gesellschaft und zeigen keine Alternative zur patriarchalen Gesellschaft, Selbstdisziplin und Hegemonie der bürgerlichen Gesellschaft auf. |
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In seiner Rolle als Spiegel der jeweiligen gesellschaftlichen Zustände passte sich der Vampir ab der Mitte der 1960er-Jahre den wechselnden Gegebenheiten an. Zum einen wanderte die Vampirfigur in den expliziten Sexfilm ab, zum anderen stellten Parodien die mittlerweile gut etablierten Konventionen des Vampirfilms in Frage. Hier ist vor allem Tanz der Vampire von Roman Polanski (1967) zu nennen, ein Film, der neben der komischen Intention auch als durchaus ernst gemeinte linksorientierte Feudalismus- und Kapitalismuskritik und Anprangerung faschistoider Denkformen zu verstehen ist. Ein nächster Meilenstein auf dem Gebiet des Vampirfilms war Werner Herzogs Nosferatu -- Phantom der Nacht (1979). In dieser Hommage an Murnaus Vampirklassiker arbeitete Herzog Murnaus Nosferatu in einen lebensmüde gewordenen Melancholiker um, dessen Status als Vampir in einen Rite de Passage umcodiert wird. In Einklang mit der Tradition des sich ewig wandelnden Vampirbilds erhielt das von Murnau weitestgehend übernommene Bildrepertoire eine völlig neue Deutung. |
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Ein weiterer Film aus dem Jahre 1979 veränderte das Vampirbild weiter. John Badhams Version von Dracula ließ die Verfolgergruppe in schlechtem Licht erscheinen und verfügt mit Hauptdarsteller Frank Langella über einen jugendlichen gut aussehenden Helden, der sich erneut von den bislang bekannten Darstellern Lugosi und Lee abhob. |
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Eine erneute Hochkonjunktur erfuhr das Genre dann erst wieder 1992 mit Francis Ford Coppolas Bram Stoker's Dracula. Im Rahmen der so genannten New Gothic-Bewegung wurden etliche Klassiker mit neuer Lust am Gothic und postmoderner Intertextualität verfilmt. In Coppolas Verfilmung lässt sich die Figur Dracula nicht mehr auf eine Gestalt reduzieren. Wir erleben ihn als unerschrockenen Kriegsmann Vlad Dracul, als alten schmarotzerhaften Dracula, der an Murnaus Orlok erinnert, im Vampirschlaf liegend mit einer Art Kokon überzogen, als lüsterne Werwolf-Gestalt und Fledermausmenschen und vor allem auch als jugendlichen Liebhaber, der im Grunde nur einer einzigen Frau verfallen ist (Borrmann 2006). Coppolas Darsteller Gary Oldman kann zwar durch seine vielen Gestalten nicht an die Prägekraft eines Lugosi oder Lee heranreichen, verkörpert jedoch gerade durch sein vielgestaltiges Auftreten immer noch die Bandbreite der Erotik, die alle Darstellungen des Vampirs im Kino mehr oder minder in sich trugen. Gleichzeitig wird mit Einzelteilen des Motivs gespielt. So kann sich Dracula beispielsweise tagsüber draußen bewegen und der Blick des Vampirs, den der Roman Stokers dezidiert ausschließt, wird über die vielen Perspektiven, die der Film bietet, mit eingeschlossen. Coppolas Dracula, der zunächst scheinbar eine konservative Botschaft von der ewig währenden Liebe zwischen Mann und Frau zu postulieren scheint, beinhaltet bei näherem Hinsehen durchaus innovative Momente zur Rolle der sexuell emanzipierten Frau und zu anderen Wissens- und Machtdispositiven auf dem Feld der Sexualität. Coppola leuchtet die in Stokers Werk angelegten perversen Leidenschaften der Figuren hell aus, indem er die im Unterbewusstsein der Romanfiguren angedeuteten Lüste in Szenen tatsächlicher Handlung transformiert und den voyeuristischen Blicken der Filmzuschauer preisgibt (Meyer 2003). |
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Ein weiterer Meilenstein auf dem Gebiet der Vampirfilme war schließlich Interview with the Vampire von Neil Jordan (1994), der damit den ersten Teil der erfolgreichen Vampire Chronicles von Anne Rice verfilmte. Brad Pitt und Tom Cruise als Vampire Louis und Lestat eröffnen eine neue Perspektive, die Innensicht des Vampirs, der -- zumindest in Louis' Fall -- unter dem Sinndefizit der Postmoderne leidet. |
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Von den ausgehenden 1990er-Jahren bis in die Gegenwart bleibt die Faszination des Vampirthemas ungebrochen. Die Umsetzungen der Vampirgestalt gingen von Comedy-Parodien wie Mel Brooks Dracula -- Dead and Loving it (1995) über Robert Rodriguez und Quentin Tarantinos Splatter-Vampirfilm From Dusk Till Dawn (1996) bis zu Stephen Norringtons Marvel-Comic-Verfilmung Blade (1998). Es folgten weitere Literatur- oder auch Computerspielverfilmungen wie der russische Film Wächter der Nacht (2004) und Blood Rayne (2006). Das Genre brachte ebenfalls neue Hollywood Blockbuster wie etwa Underworld (2003) oder Van Helsing (2004) hervor. |
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Der Vampir -- eine anhaltende Erfolgsgeschichte | ||||
Insgesamt lässt sich beobachten, dass der Vampir eine unverzichtbare Gestalt zur Bestimmung eigener Standpunkte in der postmodernen Welt geworden ist. Denn dies ist eine der vorrangigen Funktionen des Monsters: Konstruktion der eigenen Menschlichkeit und die Festlegung von Richtlinien, anhand derer man sich als Mensch definieren kann (Gordon/Hollinger 1997). Der Vampir ist zur modernen Denkfigur geworden, die sich besonders auf archaische Bereiche wie Macht, Sexualität, Gewalt, Tod, Moral und Feindbilder anwenden lässt. Die bereits für die vormodernen Vampirfiguren des Volksglaubens typische Wandelbarkeit, Vielgestalt und auch Widersprüchlichkeit bestätigt der Vampir auch in seiner medialen Formen in Literatur, Film und Fernsehen. |
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Der Vampir hält als kulturelle 'Leerstelle' eine Möglichkeit bereit, jenseits kultureller Grenzen der Gesellschaft und auch jenseits der Realität Denkmuster auszuprobieren und die jeweils gültigen Verhaltensmuster zu reflektieren. Die kulturelle Leerstelle kann mit den unterschiedlichsten Diskursen besetzt werden, seien sie politischer, sexueller, wirtschaftlicher oder künstlerischer Art. Um der Gesellschaft bis heute die Möglichkeit einer solchen experimentellen Leerstelle zu bieten, musste sich die Vampir-Figur vielseitig wandelbar und breit im kulturellen Gedächtnis behaupten. Sie hat eine mythisch-folklorische, eine historische, eine literarische bzw. filmische sowie schlussendlich eine populärkulturelle Phase durchlaufen (Ruthner 2002). |
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Die Faszination des Vampirs kann jedoch nicht zuletzt durch seine imposante Erscheinung und Fähigkeiten erklärt werden. Er ist der Inbegriff des amerikanischen Traums: Ewig jung und schön, mit übernatürlichen Fähigkeiten gesegnet und mit außerordentlichem Sex-Appeal ausgestattet, ist er genau die Figur, die sich eine immer individualistischer werdende und auf Jugendlichkeit und Außergewöhnlichkeit ausgerichtete Gesellschaft zum Helden wählt. Die Verbreitung und der anhaltende Erfolg von Meyers' Büchern und Filmen zeigen eindrucksvoll die Prägekraft dieser Idee, nicht nur in den USA, sondern rund um den Erdball. |
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autoreninfo
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Silke Tegethof, geboren 1984, studierte in Bonn und Brisbane Kulturanthropologie, Medienwissenschaft und Anglistik. Im Jahre 2009 erfolgte der Magisterabschluss mit einer Arbeit zum Thema: Der Vampir im Fernsehen. Ein traditionelles Motiv zwischen Adaption und Transformation in der TV-Serie Buffy the Vampire Slayer. Inzwischen arbeitet sie in einer Modelagentur in Köln.
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