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no. 18: die jüngste epoche
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editorial |
"Die 80er Jahre, das war die Zeit, als wir glaubten, rosa sei eine schöne Farbe." Dieser Ausspruch der SWR3-Moderatorin Stefanie Tücking faßt eine Dekade wie eine Epoche zusammen. Ein solcher Blick zurück auf 'die 80er' als bündiges Zeitphänomen ist kein Einzelfall: 80er-TV-Shows, -CD-Editionen und -Fan-Sites begleiten unseren Alltag. |
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Wir wollten dahinter nicht zurückstehen und haben Die jüngste Epoche 'authentisch' eingefärbt. Für diese Ausgabe wurde ein ganz besonderes Rosa gemixt. Die Basiskomponenten dieser Farbe sind originalen 80er-Jahre-Abbildungen entnommen: aus einem Schriftzug vom Cover der Centerfold-Single Bad Boy und einem Gürtel von Nena. |
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Aber das ist längst nicht alles, denn parapluie möchte genauer hinsehen: Wo noch liegen, jenseits von Lifestyle-Gemälden und Jugenderinnerungen, die kulturgeschichtlichen Kontinuitäten und Diskontinuitäten seit 1978/79? Durch welche Ereignisse, Erfindungen und Innovationen werden sie markiert, und welche Signifikanz kommt diesen Markierungspunkten heute zu? Wie kam es zu dem omnipräsenten 80er-Revival? Welchen Sinn hat das zitathafte Verweisen auf vergangene Kulturen? |
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Der Rückgriff auf die 80er Jahre steht im Kontext einer weitläufigen Praxis des Kulturzitats, wie sie sich zum Beispiel auch in anderen Dekaden-Moden oder der momentanen Ostalgiewelle äußert. Solche Formen ästhetisierter Geschichtssimulation sind alles andere als neu. Schon 1978 konnte man im Spiegel lesen: "Nach den zwanziger und dreißiger kommen jetzt die fünfziger Jahre in Mode." Damals -- 'damals', das war kurz vor dem Regierungsantritt Helmut Kohls -- fing man plötzlich an, Heimatfilme aus den 50er Jahren wieder zu goutieren und sich ein idyllisches Geschichtsbild von der "Jugend der Republik auszumalen". |
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Die Erfindung des Retro war zugleich die Erfindung einer neuen Kommunikationsform: Man behandelte vergangene und gegenwärtige Kulturphänomene nun gerne mit der Geste der ironischen Überaffirmation. Der daraus entstandene Habitus universalisierter Ironie und zynischer Distanznahme löste das in den 70er Jahren noch vorherrschende Widerstandsparadigma -- die Idee des 'Wir gegen die' -- weitgehend ab: Eine neue emphatisierte Konsumhaltung wurde sichtbar; man schätzte das Triviale und wertete das Populäre, den 'Pop' auf. |
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Vor allem im Bereich der Unterhaltungsmusik macht sich dieser Wandel bemerkbar: Aus der Subkultur des deutschen Punk entwickelte sich der 'neue deutsche Schlager'. Aber auch in der bildenden Kunst kehrte man in den 80er Jahren zum gegenständlichen Malen und kräftigen Farben zurück und feierte den nackten Körper. In der Literatur finden sich nach einer Phase des avantgardistischen Experimentierens auch wieder konventionellere Formen des Erzählens, in Österreich auch Experimente mit der pseudo-affirmativen Inszenierung des Häßlichen. |
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Der postmoderne Habitus der Ironie, wie er sich in den genannten Kunstformen ausdrückt, trägt unserem durch neue Medien wie Fernsehen und Internet veränderten Wahrnehmungshorizont Rechnung: In einer medial globalisierten Welt müssen mehr Informationen verarbeitet werden, also benötigt man vermehrt wahrheitsflexibilisierende Kommunikationsformen, die mit der Vorläufigkeit von Überzeugungen und Handlungen umgehen können. Die 80er Jahre also: der Beginn der 'Postmoderne'? Entscheiden Sie mit uns! |
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Katja Mellmann |
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autoreninfo
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Dr. Katja Mellmann Dozentin für Neuere Deutsche Literatur an der Universität München seit 2000. Studierte 1994-2000 deutsche und französische Sprache und Literatur in München und promovierte dort 2005 mit einer Arbeit über Emotionalisierungsstrategien in der Literatur des 18. Jahrhunderts.
Veröffentlichungen:
"E-Motion -- Being Moved by Fiction and Media? Notes on Fictional Worlds, Virtual Contacts, and the Reality of Emotions", in: PsyArt -- An Online Journal for the Psychological Study of the Arts, vol. 6, 2002,
http://www.clas.ufl.edu/ipsa/journal/2002_mellmann01.shtml. -- Emotionalisierung - Von der Nebenstundenpoesie zum Buch als Freund. Eine emotionspsychologische Studie zur Literatur der Aufklärungsepoche. Paderborn 2006.
Homepage: http://www.mellmann.org/ E-Mail: katja.mellmann@germanistik.uni-muenchen.de |
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