![]() |
elektronische zeitschrift für kulturen · künste · literaturen ![]() |
![]() | |
no. 7: der sprung
![]() |
aufgelesen |
|
Roberto Bolaño: Die Naziliteratur in AmerikaKunstmann 1999. 237 Seiten. ISBN 3-888-97212-4. |
||
Die Naziliteratur in Amerika ist eine fiktive Literaturgeschichte, gewidmet einer Reihe vergessener, unbedeutender und marginaler Autoren, deren Widersprüche und Grabenkämpfe, der inzwischen historisch gewordenen Moderne einen Spiegel vorhalten. In zu mehreren Gruppen zusammengefassten, mehrseitigen Artikeln beschreibt Bolaño Autoren und deren Werk, indem er den Stil herkömmlicher Enzyklopädien spielerisch nachahmt. Die erfundenen Autoren eint das Siegel des deutschen Nazismus, des italienischen Faschismus oder der spanischen Falange. In der Umkehrung europäischer Paradiesprojektionen auf die neue Welt fahren mehrere Generationen amerikanischer Schriftsteller in die alte Welt, um dort das Inferno zu suchen: das brennende Europa in den Kriegen unter dem Joch totalitärer Bewegungen. |
||
Die Moderne in der Literatur drückte sich meist in der Parteinahme der Autoren für eine gerechtere Welt aus, angefangen in Stellungnahmen zugunsten der russischen Revolution oder schon vorher, -- und von Europa aus kaum wahrgenommen --, in dem Parteiergreifen mexikanischer Intellektueller in den Revolutionswirren, die 1910 ihren Anfang nehmen. Aus diesen Projekten und deren eindeutiger Bezugnahme auf sozialistisches und kommunistisches Gedankengut, scherte schon bald eine andere Moderne aus, die bis heute unbequem geblieben ist: der Futurismus, der eng verknüpft ist mit dem italienischen Faschismus. Im spanischen Bürgerkrieg eilten Intellektuelle und Schriftsteller aus aller Welt den Roten Brigaden der jungen Republik zur Hilfe. Kaum denkbar, aber in Bolaños Lexikon 'vielfach bezeugt', daß auf der anderen Seite ebenso Dichter und Denker zu den Waffen griffen. |
||
Was sich in Bolaños Buch wie eine Parodie auf den Literaturbetrieb und die nach links orientierte Avantgardebewegung liest, ist in Wahrheit viel mehr als das: es wird ein bedeutungsvolle Netz von Beziehungen zwischen realen und fiktiven Ereignissen und Texten geknüpft, das das Vorhandensein einer Naziliteratur in Amerika belegen soll. So verwischen sich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, und die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Geschichte wird neu gestellt. |
||
Bolaño spielt mit der zu Klischees erstarrten Rhetorik des enzyklopädischen Schreibens. Fast könnten seine Artikel zu den einzelnen Autoren und literarischen Bewegungen als Modelle gelten; so als unternähme er den Versuch, alle möglichen Lexikoneinträge vorwegzunehmen. Sein Projekt liest sich somit als Hommage an Jorge Luis Borges, sowie dessen Vorliebe für Spiele und Spiegel: Borges hatte mit seinem Freund Adolfo Bioy Casares ein Lexikon der Fabelwesen zusammengestellt. Bolaños schreckgestaltige, nazistische Autoren sind ungleich realer: seine Literaturgeschichte ist düstere Vision einer uns nicht bewußten interkontinentalen Kontinuität faschistischen Gedankengutes. Die Auflistung der Autoren endet aber nicht mit dem Erscheinungsdatum des Buches, sondern deren Biographien erstrecken bis sich in die nächsten Jahrzehnte hinein. |
||
Folgerichtig machen sich die von Bolaño erdachten Autoren selbständig und schreiben sich über dessen Text hinaus. Hat er diese Riege von scheiternden und nostalgischen Blut und Boden Verklärern überhaupt erfunden? Oder hat er sie gefunden, aufgespürt am Rande des bekannten Literaturbetriebs als einen geheimen Orden nazistisch gesinnter Schriftsteller. Bolaños parodistische Arbeit liegt im Detail: er fokussiert Nebensächlichkeiten, überzeichnet Lebensläufe und Gedankenbiographien, so daß seine Figuren ins Groteske überführt werden. Nur der letzte Lexikoneintrag fällt aus der Reihe der vorangegangenen heraus. Bolaño hat ihn dann auch in einer neugeschriebenen und erweiterten Fassung als Erzählung unter dem Titel Estrella distante publiziert (Barcelona, 1996, auf dt. noch nicht erschienen). |
||
Dieser letzte Artikel faßt Fragmente aus der Biographie eines deutsch-chilenischen Poeten und späteren Kollaborateurs der Pinochet-Diktatur zusammen. Ist der Dichterlehrling, der sich anfangs hinter dem Namen Emilio Stevens versteckt, zunächst noch Außenseiter in einer Dichterwerkstatt in Concepción, Chile, kommt er nach dem Militärputsch unter seinem richtigen Namen, Carlos Ramírez Hoffmann zu unerwartetem Ruhm. Nun überantwortet er seine poetischen Ergüsse nicht mehr dem zarten Papier, sondern schreibt sie in farbigem Rauch aus dem Düsenstrahl seines Militärflugzeugs direkt an den Himmel. Er möchte die Poesie in den Alltag überführen; der politischen Mobilmachung einer ganzen Nation geht die Militarisierung seiner Lyrik einher. |
||
Als er später von der Geheimpolizei aufgegriffen und vom Armeedienst suspendiert wird, versteht Hoffmann die Welt nicht mehr und flüchtet in den Untergrund. Wo ihn nach Jahren der Suche ein anderes ehemaliges Mitglied der Dichterwerkstatt aufspürt und umbringt. Hoffmann hatte die Ermordung zweier dichtender Schwestern als faschistisches Gedicht zelebriert, die davon angefertigten, dokumentarischen Fotos kompromittieren ihn und die chilenische Diktatur, so daß diese ihn nicht weitertragen kann -- die Militarisierung seines Schreibens hat sich radikalisiert, Menschenkörper sind zu poetischem Material geworden. |
||
Hoffmann ist so ziemlich der einzige, der seine Utopie des faschistischen Kunstwerks konkretisieren kann, die Versuche der anderen erfundenen Autoren scheitern meist kläglich, erschöpfen sich in mehrbändigen nie zu Ende gebrachten Publikationen, oder in in Kakophonie umschlagenden Klangexperimenten. Das Lachen des Lesers stellt die quijotesken Versuche der Autoren bloß, gegen den Mainstream der literarischen Avantgarde anzuschreiben. Die von ihnen begründete Anti-Moderne bedient sich paradoxerweise genau der selben Mittel und Institutionen wie ihre Widersacher: literarische Zeitschriften, kleine Verlage für abseitige Publikationen, alternative Literaturpreise, Dichterwettstreite. Den komischen Effekt erreicht Bolaños zielsicher, indem er literarische Traditionen und Gestalten einzelner lateinamerikanischer Länder auf den Punkt bringt, karikiert und an deren Bruchstellen seine Protagonisten ansiedelt. So schreibt eine Naziliteratur gegen die allerortens anzutreffenden Minderwertigkeitskomplexe der lateinamerikanischen Nationen an. |
||
Am Ende des Buches stellt sich die Frage: ob Bolaño nicht vielleicht doch recht hat mit seinen Beobachtungen. Die Moderne führt immer gleichzeitig zu einer Gegen-Moderne als dem amerikanischen Pendant zu einer allzu unkritischen Übertragung eurozentristischer Modelle von Fortschritt und Zivilisation. Deren Übernahme gerät nicht nur selten zur Farce, sondern führte auch zu den grausamen Kriegen gegen die eigene Bevölkerung, die so viele süd- und mittelamerikanische Diktaturen ausgezeichnet haben. Die Rolle des Schriftsteller wurde in diesen Gesellschaft immer in einer Art öffentlichen Gewissens gesehen: Indem Bolaño die Greuel der Anderen im Eigenen sucht und deren Zusammenhänge darstellt, entspricht er dieser gesellschaftlichen Erwartung. |
||
Die Nachahmer der Nazis finden sich bis in die amazonischen Urwälder verstreut. Nicht daß durch die parodistische Herangehensweise des Autors die Verbrechen geschmälert oder relativiert würden, es wird vielmehr ihre traurige Aktualität aufgezeigt. Der andere Blick, den uns diese Vision eines Außenstehenden ermöglicht, bringt uns dazu, unser zu Gewißheiten erstarrtes Wissen, neu zu überdenken: Nur wer noch wissen will, und nicht bereits schon weiß, wird auch fernab der Texte die Entscheidung gegen die Verbrechen treffen. |
||
Bolaño hat mit seiner Literaturgeschichte Borges fortgeschrieben: besteht doch die Originalität des Schriftstellers heutzutage nicht mehr darin, Neues zu schöpfen -- ohnehin wurde bereits alles geschrieben --, sondern in der Art, wie er kopiert, zitiert und Realität und Fiktion zu vermischen versteht. Der Umweg Bolaños über die Gegen-Moderne führt ihn gleichwohl zu einem postmodernen Verständnis von Schreiben und Literatur, ohne jedoch einen politischen Anspruch aufzugeben. |
||
(Timo Berger) |
||
Slavenka Draculic: Als gäbe es mich nichtBerlin: Aufbau 1999. 208 Seiten. |
||
Als nach Kroatien und Slovenien 1991 auch Bosnien und Herzegowina ihre Unabhängigkeit vom alten Jugoslawien erklären, ruft Serbien die neue Bundesrepublik Jugoslawien aus. Deren von Milosevic und Karadszic getragene Expansionspolitik stößt den bereits bürgerkriegsgeplagten Balkan in einen weiteren Konflikt: den Bosnienkrieg. |
||
Dieser ist Kontext für den jüngsten Roman der kroatischen Schriftstellerin und Journalistin Slavenka Draculic. Als gäbe es mich nicht erzählt von den traumatischen Erlebnissen der jungen Lehrerin S., die von serbischen Soldaten in ein Lager verschleppt wird. Sie gehöre der 'falschen' Religion -- dem Islam -- oder der 'falschen' Volksgruppe an, so genau fragt da keiner. Nach Monaten der Internierung kommt die Protagonistin unverhofft frei und wird zunächst in Kroatien, dann in Schweden als Flüchtling aufgenommen. Eine Zukunft scheint jedoch solange unmöglich wie Erinnerung die Gegenwart an das Unfaßbare der jüngsten Vergangenheit fesselt. Was ihr und den anderen Frauen und Mädchen in jenem Lager in den bosnischen Bergen angetan wurde war mehr als -- an sich schon schreckliche -- Vergewaltigung. Ebenso bezeichnet 'Frauenraum' mehr als einen zynischen Euphemismus für ein Soldatenbordell. Die Rede ist von einem Ort, an dem Vergewaltigung als Teil eines systematischen Plans zur 'ethnischen Säuberung' inszeniert wurde. |
||
"Wie mit dieser Vergangenheit umgehen?" -- dies ist die Frage, die Als gäbe es mich nicht vornehmlich stellt. Eine Vergangenheit, die zudem die Gestalt eines Kindes anzunehmen beginnt -- gehaßt, aber an allem unschuldig, ohne Vater aber mit vielen 'Vätern', aus Bosnien, also ohne Heimat und Sicherheit. |
||
Im Ringen, dieser Frage eine Antwort hinzuzufügen und der damit verknüpften Darstellung und Reflexion der bzw. über die Vergangenheit, öffnet der Roman Perspektiven der Lektüre. Einsichten etwa, in Arten und Stufen von Erniedrigung, in die zum Überleben im Lager notwendige Logik; in die Fragwürdigkeit von Begriffen wie 'Normalität' und 'Wirklichkeit'. Hervorzuheben ist nicht zuletzt eine Typologie des Schmerzes: Da gibt es den Schmerz, den ein Körper dem anderen zufügt und den Schmerz, den man spürt, wenn man bewußtlos wird. Schmerz einem Dritten weh getan zu haben, Schmerz, der von außen zu kommen scheint und solcher, den man nicht mehr spürt. Schmerz selbst, der Glücksempfindungen zu begleiten vermag. |
||
Dieses semantische Feld kann durch die Feinheit seiner Unterscheidungen für einen Hinweis -- eine Warnung vielleicht -- sensibilisieren, den der Roman zuweilen auf der Figurenebene thematisiert, darüber hinaus aber beständig subkutan, also weitgehend unabhängig vom jeweiligen inhaltlichen Kontext, mitlaufen läßt. Den Hinweis nämlich auf das jeder Kommunikation notwendig innewohnende Moment an Illusion: Es gibt keine Garantie dafür, daß ein Erlebnis, eine Erfahrung, etc. in einem Gedankenkontext die gleiche Bedeutung hat wie in einem anderen. Das kann sein, muß aber nicht. Und wer vermag schon zu sagen, 'was es heißt', wenn Körperteile weggeräumt werden wie Zigarettenkippen? Für wen denotieren jene Schmerztypen mehr als genaue aber irgendwie abstrakt bleibende Beobachtungen? Selbst die Protagonistin kann ihre aktuelle Lebenswelt kaum als Wirklichkeit begreifen, braucht die Zeichnungen einer Mitgefangenen, um sich im Nachhinein zu überzeugen, daß das Vorgefallene auch vorgefallen ist. Was dazwischen liegt ist Verwunderung, der Versuch des Sich-Abfindens und die Einsicht "Eigentlich sollte man sie [die Schrecken] gar nicht beschreiben. Es besteht ohnehin wenig Hoffnung, daß jemand sie versteht (S. 171)". Gerät angesichts so tief empfundener hermeneutischer Gräben das Unternehmen des Romans nicht zum Paradox? Etwas vermitteln, was sich der Vermittlung entzieht? "Entscheidend ist der Versuch" lautet wohl die Botschaft, die mit der Thematisierung der Kommunikationsillusion verknüpft ist. Genauer: Statt eines vorschnellen Verstehens oder einer Haltung, die Verstehen für unmöglich hält, gilt es mit dem Wissen um die Schwierigkeiten Möglichkeiten des Verstehens zu schaffen und zu erweitern (wie immer dieses aussehen mag, um 'richtiges' Verstehen geht es sicherlich nicht). |
||
Sprache ist auch in anderer Hinsicht ein Thema, das Als gäbe es mich nicht feinsinnig zu behandeln weiß. So, wenn die Protagonistin reflektiert, daß die Sprache des Krieges elliptisch verstümmelt sei wie die Kriegswirklichkeit selbst. Daß Wörter wie 'bitte' von einem Moment auf den anderen ausgelöscht scheinen; zuweilen aber auch, schon verloren geglaubt, ins Leben zurückkehren. Manche werden schlichtweg überflüssig, weil sie das, was nun Wirklichkeit heißt, nicht adäquat beschreiben. Im Lager braucht es kein 'morgen'. Andere Wörter machen in Imperativform Karriere und wieder anderen, oft harmlosen, eignen plötzlich schreckliche Konnotationen: "Sie reden über Folterungen mit Strom im anderen Lager. [...] Es fallen Wörter wie Elektrokabel, Säge. Allein von diesen Wörtern glaubt [S.] den Verstand zu verlieren (S. 51f.)." Neue Wörter gibt es nicht; man müßte sie erfinden! Der Wechsel nach Schweden bietet der Protagonistin dazu Gelegenheit. Wissend um das ontologische Moment von Sprache, versucht sie eine Realität zu entwerfen, in der es kein 'Lager', keine 'Erniedrigung' mehr gibt. Ein Wörterbuch wird so zum Passierschein in die Zukunft. |
||
Im Gegensatz zu den einseitig befangenen Nebenfiguren, ist die Protagonistin fähig, verschiedene Standpunkte, die ihrer Unterdrücker eingeschlossen, ethisch zu reflektieren. Und das in nahezu jeder Lage, selbst wenn Emotionen im ersten Augenblick einmal überwältigen. "Was ist für mich selbst gut und böse?", "Wie legen andere die Unterscheidung zwischen gut und böse an und warum geschieht dies so?", "Wie kann und muß Schuld differenziert werden?" -- so könnte man die Grundfragen dieses Beobachtens fassen. Erneut geht es um eine Botschaft, die über inhaltliche Zusammenhänge hinaus reicht. "Diese Menschen können doch nicht auf ewige Zeiten so weitermachen. Oder doch, wer weiß?", beginnt Ivo Andric seinen Roman Die Brücke über die Drina. Draculic scheint diesen Sätzen ihre Ambivalenz nehmen zu wollen, unter Angabe eines Pfades wie ein Aufhören überhaupt nur stattfinden kann. Nicht durch 'Auge um Auge, Zahn um Zahn', sondern ein Verhalten, wie S. es vorlebt. Insofern stellt Als gäbe es mich nicht tatsächlich ein Plädoyer für Menschlichkeit dar, wie der Klappentext es will. Zu überlegen bleibt, ob ein lückenlos mögliches Sympathisieren mit der Hauptfigur -- und eben diesen Effekt hat deren Charakterisierung -- diejenige narrative Strategie ist, die humanistische Botschaft so eindringlich zu vermitteln wie sie es verdient. Warum nicht zeigen, daß auch S., als Lehrerin die intellektuell Fähigste der Frauen, nach all der Erniedrigung fähig wäre zu morden, ganz so wie sie es ihren Mitgefangenen attestiert? Während der Roman vorführt, könnte der/die LeserIn im anderen, im Dostoiewskischen Fall aktiv werden, also selbst ethische Reflexion leisten. Oder ist das zuviel des Vertrauens? |
||
Es ist ein aktuelles Buch, das Draculic geschrieben hat. In einer Zeit, in der die Physik des Balkans mit der Kosovokrise und jüngst auch mit der politischen Neuordnung Kroatiens nach dem Tode Tudjmans täglich zur Debatte steht, in der in Den Haag erstmals Verbrecher des Bosnienkriegs verurteilt werden, in der es in vielen weiteren Konfliktregionen fast selbstverständlich zu Vergewaltigungen kommt. |
||
Ob der Roman gleichsam als literarisches Werk von Bedeutung sei, ist schwieriger zu sagen, zumal eine Antwort mehr von den Erwartungen abhängt, die eine/r an die Literatur stellt. Vielfalt an narrativen Techniken, Ausdehnung, Verknappung, Ironie, etc. sind Draculics Sache in diesem Buch jedenfalls nicht. Der ältere und ebenfalls auf kroatisch schreibende Alexandar Tisma kleidet die ähnliche Geschichte Veras in Der Gebrauch des Menschen in eine solche Sprache. Hier dagegen wird auf das verzichtet, was der Kunst bisher noch als Mittel gegen Schmerz und Sinnlosigkeit zur Gebote stand: auf Trost durch einen bestimmten Begriff von Schönheit. Allerdings führt der Verzicht nicht so weit wie bei einer Maguerite Duras, die mit ihrer 'geschickt nachlässigen' Schreibweise (Hiroshima mon amour) den Eindruck erweckt, als sei nicht einmal der Versuch der Bearbeitung der Mühe wert. Was Draculics Sprache auszeichnet ist ein Oszillieren -- wenn auch ein nicht gleichmäßiges -- zwischen diesen Polen: Formale Einfachheit und dokumentarische Nüchternheit, durchsetzt mit Momenten von großer metonymischer und metaphorischer Stärke; Selbstreflexionen meist, die erstere Aspekte an Verstörungspotential mit Leichtigkeit übertreffen. Etwa wenn S. den Fötus in ihrem Bauch einen Tumor, eine Krankheit nennt, mit dessen Entbindung auch die Vergangenheit aus ihr herausfließen werde. |
||
Als literarisches Werk sucht Als gäbe es mich nicht da anzusetzen, wo selbst gründliche und differenzierte Kriegsberichterstattung oft kapituliert -- vielleicht kapitulieren muß: vor dem individuellen Schicksal der Opfer. Manchmal tritt der Krieg mit dem Öffnen der Haustüre in ein Leben ein. Manchmal hat er schon früher begonnen: wenn man mit einem Etikett versehen wird. S. erlebt ihren ganz persönlichen Krieg, indem sie das Kind gebären muß, das zu gebären sie gezwungen ist. |
||
Trotz dieser individuellen Perspektive wird deutlich, daß es dem Roman nicht in jeder Hinsicht um Einzelschicksale geht. Wenn Ingeborg Bachmann die Kafkasche Fragmentation von Namen dahingehend auslegt, daß es nicht mehr so leicht sei, etwas gewissermaßen naiv zu benennen, haben die auf einen Buchstaben reduzierten Opfernamen und Kriegsschauplätze hier eine erweiterte Funktion. Es geht nicht nur um 'benennen können', sondern auch und zuerst um 'benennen wollen'. 'S.' oder 'F.' oder 'M.' kann jeder sein, Bosnier, Serbe, Kroate, etc.; ebenso, wie mit 'B.' keine geographische Lage festgelegt sein will. Vielleicht läßt sich Krieg auch nicht so einfach wegzappen, wenn er nicht 'woanders' stattfindet. |
||
Als gäbe es mich nicht -- ein empfehlenswertes Buch, das die eingangs genannte Frage inhaltlich offenläßt und dennoch eine Antwort findet. |
||
(Christoph Bock) |
||
[ druckbares: HTML-Datei (20 kBytes) | PDF-Datei (51 kBytes) ] |