Elemente des Lifestyle-Sexismus

Die folgenden Gedanken, so viel sei als Disclaimer gesagt, resultieren aus der Diskussion auf dem Portal clack.ch (»interaktiver Versammlungsort für stilsichere Frauen«), insbesondere mit dem »Quotenmann« Réda el Arbi (»zürcher aus religiösen gründen / keine politik mehr«) über Ironie, Humor und Klischees in Bezug auf Geschlechterrollen und Sexismus. Triggerwarnung: sexuelle Gewalt. 

Was Sexismus ist, ist allen klar. Warum er problematisch ist, auch. Falls nicht: Ein bisschen nachdenken.

Erstaunlich ist, dass Sexismus richtiggehend modisch geworden ist. Man kann sich heute damit profilieren, sexistisch zu sein, und erhält dafür Anerkennung. Natürlich handelt es sich nicht um den Sexismus 1.0, bei dem Männer Frauen direkt gesagt haben, was sie dürfen und was nicht. Der Lifestyle-Sexismus ist subtiler. Hier ein paar typische Bestandteile:

  1. »Man muss heute gar nicht mehr gegen Sexismus einstehen, weil ja allen klar ist, wie doof Sexismus ist.«
  2. »Frauen WOLLEN einfach keine Karriere machen und mögen es, sich sexy zu präsentieren – lasst doch einfach alle Menschen das tun, was ihnen Freude macht!«
  3. Ein paar diffuse Gedanken zur Evolutionstheorie und Biologie, zur Steinzeit, Brüsten und Vergewaltigung. Fazit: Sexismus ist naturgegeben, Widerstand zwecklos.
  4. »Das ist alles einfach ironisch.« / »Hättest du genug Humor, würdest du das auch verstehen.« / »Hier werden Klischees nicht gefestigt, sondern subversiv benutzt.«
  5. »Es braucht doch eine gewisse Spannung zwischen den Geschlechtern, dieses Knistern schafft doch erst richtige Erotik.«
  6. »Die Diskussion um Sexismus ist so 1960 / 1970 / 1980 / 1990. Da kommen keine neuen Argumente mehr.«
  7. »Die jungen Menschen leiden gar nicht mehr unter Sexismus, habe ich gehört.«
  8. »Eigentlich ist Sexismus doch Pornographie. Und Pornographie ist doch gut!«
  9. »Wärst du nicht so unlocker / prüde / verklemmt / ewiggestern / stur / dumm / uneinsichtig / rechthaberisch / selbstgerecht / unsicher / ernst / unweiblich / unmännlich / unmodisch / benachteiligt, dann hättest du mit all dem doch kein Problem!«
  10. »Mädchen können doch heute auch mit Lego spielen und Knaben mit Barbies. Alles GAR KEIN PROBLEM!«
  11. »Die meisten Frauen mögen es doch insgeheim, wenn man ihnen an den Arsch fasst.«
  12. »Es gibt doch viel dringendere Probleme als das. Afghanistan, Saudi-Arabien, Pakistan.«
  13. »Eigentlich sind es ja die Männer, die benachteiligt sind.«
  14. »Früher hab ich deine Meinung auch mal vertreten, aber nun bin ich schlauer.«
  15. »Es gibt eine Studie, bei der ein paar Halbwissenschaftler 1953 herausgefunden haben, dass…«
  16. »Diese Argumente gibt es doch schon lange, gebracht hat das doch alles nichts.«
  17. »Heute sind Menschen einfach nicht mehr so prüde, das ist dir offenbar nicht bewusst.«
  18. »Ich schau mir jetzt lieber eine sexistische Sendung im Fernsehen an, anstatt darüber nachzudenken.«
  19. »Warum musst du als Mann über Sexismus nachdenken? Können das die Frauen nicht selber?« / »Logisch, dass du als Frau über Sexismus nachdenkst, so verschafft ihr euch ja eure Vorteile!«
»Sexy Legs«. Aide VANESSAHHHHHH Flores. society6.

»Sexy Legs«. Aide VANESSAHHHHHH Flores. society6.

Damit man mich richtig versteht: Ich will Sexismus nicht verbieten, Rassismus auch nicht. Ich diskutiere auch gerne darüber, wenn diskutieren heißt, dass man echte Argumente austauscht, offen ist und seine Position begründen kann. Der Rahmen für eine Diskussion ist nicht das eigene Empfinden. Dass Menschen viele klar sexistische Haltungen, Handlungen und Darstellungen nicht als störend empfinden, ist gerade das Problem. Nur wenn ein Bewusstsein entsteht, was Sexismus bedeutet und wie er Betroffene trifft, verschwindet er. Die Einstellungen von Menschen und Gesellschaften zu Geschlechterrollen wandeln sich. Sie sind nicht einfach gegeben, sondern das Resultat verschiedener Prozesse. Die kann man ändern.

* * *

Offenbar spricht man in den USA bei diesem Phänomen von Hipster Sexism:

»For the media savvy [generation], irony means that you can look as if you are not seduced by the mass media, while being seduced by [it] … [and] wearing a knowing smirk«

Fleisch – ein globales Problem

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Dieses Wochenende findet in New York ein Treffen statt, bei dem die Teilnehmenden versuchen, Fleisch zu »hacken«. Damit ist nicht primär das große Forschungsgebiet gemeint, bei dem Fleisch in Laboratorien künstlich hergestellt wird oder per 3D-Drucker ausgedruckt wird, sondern Ideen, wie der Fleischkonsum reduziert werden könnte. Eine Idee ist beispielsweise, die einzelnen Geschmacksbestandteile von Fleisch zu analysieren und sie durch andere Produkte zu ersetzen. Die Idee nennt sich Foodpairing und hält bereits eine App bereit, mit der Rezepte entdeckt werden können.

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Tatsächlich schmecken ja bereits heute viele Fleischersatzprodukte, die Vegetarierinnen und Vegetariern angeboten werden, so, dass sie kaum von fleischhaltigen Produkten unterschieden werden können: Würste, Nuggets, gefüllte Schnitzel beziehen ihren Geschmack hauptsächlich von Gewürzmischungen; nicht aus dem darin enthaltenen Fleisch oder eben Ersatzprodukt.

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Was als Spielerei erscheinen mag oder als Bedürfnis einer vegetarischen Minderheit erscheinen mag, bezieht sich auf ein riesiges Problem. Die Ernährung der Bevölkerung Chinas kann als Beispiel herangezogen werden. In einem Artikel im NZZ Folio über die Fleischproduktion Chinas kann man lesen, welche Bedeutung sie für den weltweiten Handel mit Soya hat:

In China isst man vor allem Schwein. Drei Viertel des Fleischverbrauchs machen Schinken, Bauchspeck und Co. aus. […] In der Folge setzt das Land heute Superlative in der Zucht: Auf 1,3 Milliarden Fleischesser kommen im Reich der Mitte 660 Millionen Schweine. […]
Die Frage, was Chinas Schweine fressen sollen, bewegt die Weltwirtschaft. Und hat verheerende ökologische Folgen in den exportierenden Ländern: In Brasilien, dem zweitgrössten Soyaexporteur nach den USA, hat die Ausbreitung der Soyafront 21 Millionen Hektaren Regenwald vernichtet, eine Fläche halb so gross wie Deutschland. Auch in Argentinien, Paraguay und Bolivien mussten riesige Waldflächen weichen. Millionen Kleinbauern wurden in Südamerika von ihrem Land vertrieben, oft mit Gewalt. In Paraguay ist ein offener «Soyakrieg» ausgebrochen, in dem entrechtete Farmer versuchen, ihre Felder mit Waffen zurückzuerobern.

In China leben run 20% der globalen Bevölkerung, für ihre Ernährung stehen aber nur knapp 10% der weltweit verfügbaren Landwirtschaftsfläche zur Verfügung. Neben dem Fleischkonsum wird auch die Nachfrage nach Brot bzw. Weizen einen weltweit spürbaren Einfluss haben.

Die Frage nach dem Fleischkonsum, die in Europa eine Art Lifestyle-Entscheidung zu sein scheint, ist in Wahrheit ein globales Problem, von dem abhängt, ob alle Menschen ernährt werden können oder nicht. »Schwein ist einfach zu züchten und hat keinen starken Eigengeschmack. Chinesen schätzen daran, dass man es so vielseitig zubereiten kann«, sagt ein chinesischer Experte. Gerade deshalb sollte es möglich sein, dafür Ersatzprodukte zu finden.

Kurz erklärt: robots.txt

Im Zusammenhang mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage, die von Google eine Entschädigung für die kommerzielle Weiterverwertung ihrer Produkte fordern, ist immer wieder die Rede von robots.txt. Das Verständnis für die Funktionsweise dieser Datei hilft, einen Kernpunkt in der Debatte um das Leistungsschutzrecht zu verstehen. Zudem enthüllt ein Blick auf den Einsatz von robots.txt in der Schweiz Erstaunliches.

robots.txt ist eigentlich eine einfache Textdatei, die auf einer Webseite abgelegt wird. Damit hängt aber ein standardisierter Ablauf zusammen, den die wichtigsten BetreiberInnen von Suchmaschinen einhalten: Die Informationen der Datei werden genutzt, um bestimmte Bereiche der Seite vor Suchmaschinen zu schützen.

Steht in robots.txt beispielsweise folgender Eintrag:

User-agent: *
Disallow: /Privat/Familie/Geburtstage.html

So darf keine Suchmaschine die Seite »Geburtstage« durchsuchen. Entsprechen werden die dort gemachten Angaben mit Google, Bing etc. nicht gefunden.

Würden nun Presseverlage auf ihren Seiten folgenden Eintrag wählen, dann wäre die ganze Seite für alle Suchmaschinen blockiert:

User-agent: *
Disallow: /

Das heißt: Es ist mit wenigen Zeichen möglich, Google daran zu hindern, Inhalte in seinen Suchergebnissen und anderen Diensten darzustellen. Natürlich kann man es als stoßend empfinden, dass der Standard Google eine Erlaubnis gibt – sinnvoll wäre, dass man aktiv einen Eintrag vornehmen muss, um in Suchergebnissen zu erscheinen (also anstatt »disallow« in robots.txt eintragen zu müssen, »allow« einzutragen).

Webmaster können die robots.txt-Datei verstecken, wenn sie nicht möchten, dass öffentlich bekannt ist, welche Bereiche der Homepage nicht durchsucht werden dürfen.

Das ist eigentlich schon alles. Schauen wir nun die robots.txt-Dateien der Schweizer Verlage an.

Blick.ch versteckt robots.txt.

blick.ch, nzz.ch, azonline.ch und weltwoche.ch verstecken nur einige technischen Seiten, die temporäre oder redundante Seiten beinhalten könnten.

User-agent: *
Disallow: /widget/
Disallow: /suche
Disallow: /stats
Disallow: /*cvajaxnews=true*

Sitemap: http://www.blick.ch/sitemap.xml
Sitemap: http://www.blick.ch/sitemap-image.xml
Sitemap: http://www.blick.ch/sitemap-googlevideo.xml
Sitemap: http://www.blick.ch/news.xml

Download

nzz

asfdInteressant aber die robots.txt von Newsnetz. Hier werden neben den Todesanzeigen drei spezifische Seiten ausgeschlossen: Zwei davon, eine über Carl Hirschmann und eine über einen SVP-Spender, der angeklagt worden sei, sind nicht mehr erreichbar und wurden offenbar gelöscht. Die dritte betrifft die Bank Reichmuth. Der Lead lautet:

Die Luzerner Privatbank sollte letztes Jahr 100 Millionen Kredit für eine Maschinenfirma beschaffen, gegen die nun die Bundesanwaltschaft ermittelt. Jetzt drohen auch zwei Schweizer Banken Millionenverluste.

Es liegt nahe zu vermuten, dass sich Tamedia durch außergerichtliche Einigungen mit Klägerinnen und Klägern dazu entschlossen hat, diese Seiten für Suchmaschinen zu sperren. Erstaunlich ist aber, dass dies so öffentlich einsehbar ist. (Ich danke für diesen Hinweis Martin Steiger.)

tagi

Delegiertenversammlungen – eine Kritik

Delegiertenversammlungen haben in der Schweiz Tradition – bei Verbänden wie bei Parteien sind sie ein lange genutztes Mittel, Entscheide zu fällen und die Partizipation der so genannten Basis zu gewährleisten. Üblich ist dabei folgendes Vorgehen:

  1. Delegierte werden bestimmt – meist demokratisch. 
  2. Sie besuchen die Delegiertenversammlung.
  3. Dort wird teils über bekannte, teils über neue Geschäfte bestimmt.
  4. Die Delegierten fällen ihre Entscheide ohne Rücksprache oder ohne Auftrag mit den Menschen, die sie vertreten.

Zwei politische Entscheidungsfindungen der letzten Wochen lassen mich daran zweifeln, dass diese Art der Vertretung sinnvoll ist: Die Delegiertenversammlung der SVP fasst überraschend und gegen den Entscheid der Fraktion die Nein-Parole zum Tierseuchengesetz – offenbar auch deshalb, weil viele Delegierte an ihrer Stelle Stellvertretungen an die DV entsandt haben, die nicht gewählt waren. Die SP fasste an der Delegiertenversammlung den Entscheid, das Referendum gegen die Asylgesetzrevision nicht zu unterstützen – obwohl mittlerweile acht Kantonalparteien, die Stadt-Sektion der größten Städte sowie die JUSO einen anderen Entscheid gefällt haben.

Delegiertenversammlung der SP.

Delegiertenversammlung der SP.

Nun könnte mich mein Eindruck täuschen und die Entscheide der Delegiertenversammlungen sind korrekt: Sie bilden ab, was die Parteimitglieder für richtig halten. Aber weiß man das? Kann das bestehende System gewährleisten, dass eine saubere Repräsentation stattfindet?

Meiner Meinung nach gibt es zwei Alternativen, die besser sind:

  1. Die Sektionen, die Delegierte entsenden, entscheiden auch über Sachgeschäfte. Die Delegierten informieren einander allenfalls über Hintergründe, sie fällen jedoch keine eigenen Entscheidungen. Auf eine Repräsentation wird verzichtet. Dieses System hat den Nachteil, dass die Sektionen viel Aufwand damit haben, Entscheidungen zu fällen und diese rechtzeitig mitzuteilen. Zudem müssen die Sektionen in einem Schlüssel gewichtet werden.
  2. Delegated Voting, auch bekannt als Liquid Democracy. Hierbei haben die Mitglieder der Wahl, ob sie selber an einer Versammlung teilnehmen wollen oder ihre Stimme delegieren wollen – und auch, an wen. Ich kann bei bestimmten Themen jemand anderes für mich entscheiden lassen, oder auch je nach Abstimmung meine Stimme jemand anderem übertragen. Das funktioniert am besten, wenn es mit digitalen Technologien gestützt wird – was jedoch sehr aufwändig ist.

Hier ein Video, das Liquid Democracy erklärt:

 

Sozialisation durch Adventskalender

Genießen muss erlernt werden – wie der Umgang mit Wünschen, ihrer Erfüllung, mit Bedürfnissen und Begierde. In der kapitalistischen Gesellschaft gibt es einen grundsätzlichen Widerspruch, der durch die Sozialisation überwunden werden muss: Menschen werden durch ihr Streben nach Wunscherfüllung motiviert und getrieben, sie dürfen sich aber darin nicht verlieren, um produktiv zu bleiben. Sie müssen lernen, ihre Wünsche diszipliniert zu erfüllen, ihre Befriedigung aufzuschieben, ihre Begierde zu zähmen. Begierde muss konstruktiv sein, nie destruktiv. Faust, dem Mephisto zur Seite steht, wird zum Junkie, für den nach jedem High die Suche nach dem nächsten Schuss kommt:

So tauml’ ich von Begierde zu Genuß,
und im Genuß verschmacht ich nach Begierde.
– Faust I, Wald und Höhle

Idee Tom Bulmer, Society6

Idee Tom Bulmer, Society6

Adventskalender sind ein schönes Beispiel für die kapitalistische Sozialisation. Hinter jeder Tür verbirgt sich eine partielle Erfüllung einer Begierde, die aber immer eine Leere hinterlässt, die nur die nächsten Türen stopfen könnten, wenn nicht schon klar wäre, dass sie alle nur die Zeit bis zum absoluten Genussfest, Weihnachten, überbrücken. Immer wieder liest man lustige Kolumnen, die sich um die Fantasie drehen, den ganzen Adventskalender auf ein Mal zu öffnen. Die Fantasie zeigt, wie schwer die Disziplinierung fällt, das Erlernen des ewigen Aufschubs und das Portionieren des Genusses.

Um genießen zu können, braucht es immer ein Opfer, das Opfer des Verzichts, des Aufschubs. Nicht umsonst sind die Kinder die erfolgreichsten in unser Gesellschaft, die Genuss am längsten aufschieben können, gezeigt hat das ein Experiment, in dem Genussverzicht zu mehr Genuss führen könnte: Man präsentiert Kindern wenig Schokolade oder Marshmallows und verspricht ihnen viel mehr, wenn sie nur mit dem Verzehr warten. Dann misst man, wie lange sie das aushalten.

Natürlich darf man fragen, ob das nicht die Natur des Genusses ist, ob menschliche Begierde nur so und nicht anders funktionieren kann. Oder ob das überhaupt schlimm ist. Ich weiß es nicht. Manchmal wünschte ich mir, dass Menschen einfach tun, wozu sie Lust haben. Ihre Begierden nicht zähmen, ihre Lusterfüllung nicht disziplinieren. Aber natürlich bin ich gerade im Adventskalenderstress und sollte nicht übergeneralisieren…

Ringier und die Qualität

In einem ausführlichen Interview darf heute der Ringier-Konzernchef Marc Walder in der Sonntagszeitung begründen, warum Ringier gedenkt eine Paywall einzuführen und für ein Leistungsschutzrecht eintritt. Am Schluss spricht er über das iPad seiner Tochter und formuliert einen doppelten Vergleich:

Wenn Eltern für solch einfachste Apps bereit sind, zu zahlen, dann wird auch die Bereitschaft da sein, für guten Journalismus im Netz zu bezahlen. Inhalte der SonntagsZeitung oder der NZZ oder des «Blicks» sollten mit Sicherheit so viel wert sein wie ein lustiges Samichlausliedli auf einer Kinder-App.

Damit sagt er, der »Blick« liefere »guten Journalismus«. Gerade in der Frage des Leistungsschutzrechts geht es um einen staatlichen Eingriff, der sicher stellen soll, dass qualitativ hochwertiger Journalismus nicht durch die Kopien von Google entwertet würden. Auch bei der Einführung von Paywalls ist das schlagende Argument, dass Leserinnen und Leser für Qualität zu zahlen bereit seien.

Nun gibt es natürlich mehrere Möglichkeiten, Qualität zu definieren, wie im Umgang mit dem »Jahrbuch Qualität der Schweizer Medien« vom Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich immer wieder deutlich wird. Journalistinnen und Journalisten – so meine Beobachtung – definieren Qualität immer stärker im Hinblick auf die Resonanz bei den Leserinnen und Lesern oder der Erwartungen der Konzerne, statt, wie Kurt Imhof vorschlagen würde, durch »Vielfalt, Relevanz, Aktualität und Professionalität«.

In einer Kritik an der AZ kritisiert der Blick-Chefredaktor, Ralph Grosse-Bley, die Übernahme von Bildern durch die AZ:

Wir finden es toll, dass auch den AZ Medien die Fotos gefallen – und staunen über die Selbstbedienungs-Mentalität. […] Auch im Internet haben Journalisten, zum Beispiel Fotografen, Rechte. Nicht alles ist für alle gratis.

Einige Feststellungen zur Qualität und Originalität der Riniger-Produkte – ungeordnet und exemplarisch:

  1. Online übernimmt blick.ch Youtube-Videos und gibt sie als eigene Videos aus – mit eigener Werbung versehen.
  2. Der Ringier-Newsroom übernimmt mit dem Kürzel »ZVG« (zur Verfügung gestellt) Bilder aus Facebook.
  3. Nach dem Carunglück im Wallis zeigte der Blick Bilder von verstorbenen Kinder, die von ihnen selbst auf Facebook veröffentlich worden sind. Der Presserat zog eine Rüge in Erwägung.
  4. Helmut-Maria Glogger, Verfasser einer täglichen Kolumne im Blick am Abend, äußerte sich in einem Interview wie folgt zum Presserat: »[E]ine Rüge vom Presserat ist heute ja eine besondere Auszeichnung.« Der Presserat überprüft lediglich, ob eine klare Richtlinie, nämlich die »Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten« eingehalten worden sei. Chefredaktor Grosse-Bley: »Wir machen die Zeitung nicht für den Presserat«.
  5. Der Presserat hat 2012 folgende Verletzungen der Richtlinien durch die Blick-Produkte festgestellt: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. Ringier verzichtet dabei nicht nur häufig auf eine Stellungnahme, sondern druckt die Entscheide auch nicht.
  6. Der Blick fährt eine scharfe Linie gegen Asylsuchende – auch auf Kosten der Wahrheit. So titelte der Blick am Abend letzte Woche, 60% aller Asylsuchenden seien HIV-positiv. »100 Prozent der Überschrift sind falsch«, stellt der BildBlog richtig – 60% der HIV-positiven Asylsuchenden aus der Sub-Sahara-Region haben sich in ihren Herkunftsländern angesteckt.
Ausriss Blick am Abend, bearbeitet von BildBlog.

Ausriss Blick am Abend, bearbeitet von BildBlog.

Würde man Qualität einfach als das Einhalten klarer Standards definieren – dann wäre es wohl für Ringier schwierig, schon nur diese Standards anzugeben. Die des Presserats gelten für Ringier offensichtlich nicht mehr, die Verantwortlichen zeigen keinerlei Interesse daran, sie einzuhalten. Natürlich misst sich der wirtschaftliche Erfolg nicht an der Sorgfalt der Journalistinnen und Journalistin oder gar an ihrer Berufsethik. Aber die großen Herren an der Spitze und im Hintergrund solcher Produkte, ob sie nun »eine der grosszügigsten und weitsichtigsten Persönlichkeiten« seien (Michael Ringier), eine, die »begeistert« (Frank A. Meyer) oder einfach »pflichtbewusst« (Walder) – sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, ihre gesellschaftliche Verantwortung bewusst zu ignorieren und andere an Regeln zu messen, die sie selber nicht bereit sind einzuhalten.

Klischees, Geschlechter und Gewalt

Heute hat sich um einen Blogpost von Meret Steiger auf Clack.ch eine längere Diskussion auf Facebook ergeben, in der es um Geschlechterrollen, Klischees und die Einstellung der heutigen Jugend zu diesen Themen ging.

Im Text verfolgt die Ich-Erzählerin die Fantasie, wie es wäre, heute ein Mann zu sein:

Als Mann würde ich schon gut eine halbe Stunde später aufstehen. Meine Outfits würden sich immer auf Jeans & T-Shirt beschränken, die Haare hätte ich so kurz, dass es kein Frisieren braucht, und das Make-Up erübrigt sich sowieso. Nicht, dass ich jetzt als Frau nicht ohne Make-Up aus dem Haus gehen würde. Nein, ich finde mich ja auch ungeschminkt ganz nett, aber ich fühle mich einfach sicherer. Und sexier. Und überhaupt.

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Damit geht die Autorin implizit davon aus, das Leben sei für Männer generell anders als für Frauen. Die Frage, warum das so ist, umgeht der Text aber. Er ruft zahlreiche Klischees auf, die er aber einfach zu bestätigen scheint: Wäre das Ich ein Mann, dann wäre es so, wie Männer in bestimmten Klischees halt sind. Die Bemerkung, dass nicht alle Männer diesem Klischee entsprechen, darf dann nicht fehlen.

Die Kritik am Text wurde mit einer Reihe von Argumenten zurückgewiesen: Der Text sei »ironisch«, »humorvoll«, er spiele mit Klischees. Wer ihn kritisiere, verlange einen philosophischen Gehalt von einer witzigen Fantasie; wiederholte überholte Gender-Argumente aus den 90er-Jahren. Diese Bemerkungen stammen alle von Reda El Arbi, dem »Lektor« von Meret Steiger. Er schreibt auch:

ich hab keine schwierigkeiten, mich selbst zu definieren und meine persönlichkeit an den clischées vorbei zu entwickeln. vielleicht kann ichs drum lustig finden. aber vielleicht verträgt der möchtegern emanzipierte mann [gemeint: phw] ja keine ironie.

Wer sich also an Klischees störe, so das Argument, stehe nicht über ihnen und sei von ihnen stärker beeinflusst als die, die sie humorvoll aufrufen.

Ich bin anderer Meinung. Klischees ermöglichen – da bin ich einverstanden – Identität. Wer ihnen entspricht, gewinnt an Sicherheit. Sie sind überzeichnet formulierte Normen und haben eine ganz ähnliche Funktion: Nämlich die zu bestätigen, die der Norm genügen, und die auszugrenzen, die das nicht tun.

Zu denken, es gäbe heute eine Generation junger Menschen, in denen Geschlechter-Klischees nur noch lustig sind, nicht aber die Lebenswelt von Jugendlichen prägen, scheint mir reichlich naiv. Junge Frauen und junge Männer könnten alles tun, was sie sollten, kann man nur so lange behaupten, wie man nicht mit denen von ihnen spricht, die den Klischees nicht genügen. Den lauten Frauen, die sagen was sie wollen, sich durchsetzen und sich in Szene setzen. Die anderen ins Wort fallen, fluchen; Kleider und Frisuren tragen, die sie bequem finden und essen, worauf sie Lust haben. Oder Männern, die sich gerne in Fremdsprachen unterhalten, Gedichte verfassen und sich die Augenbrauen zupfen. Homosexuellen Jugendlichen, bisexuellen, transsexuellen. Solchen, die sich mit der Norm eine monogamen Beziehung nicht anfreunden können. Oder solche, die weder die Vorstellung eines produktiven Arbeitslebens noch die einer eigenen Familie für erstrebenswert halten. Die werden sagen können, wie ärgerlich die Klischees sind und wie stark sie sich auswirken.

Meret Steiger schreibt:

Wenn ich in den Ausgang gehen würde, dann wäre ich endlos dreist. Ich würde allen Mädchen an den Hintern fassen und so charmante Sprüche wie «Du, ich, auf meinem Teppich?» und «Waren deine Eltern Diebe? Die haben die Sterne für deine Augen geklaut. Äh. Baby, wart!» loslassen. Ich würde alles anbaggern, was Brüste hat. Ganz ehrlich, wäre ich ein Mann, ich würde mich nicht daten wollen. Ich wäre eine wandelnde Testosteronschleuder. Mit One-Night-Stands und so, ohne jede Reue. Ich wäre wohl der Typ Mann, der nach einem Blowjob fragt, ob er gut war. Kein Scherz.

Um zu erkennen, dass das Klischee, Männer seien sexuell übergriffig, gewalttätig und erniedrigten Frauen beim Sex, eine Auswirkung auf die Realität hat und dazu führt, dass gewisse Männer sich tatsächlich so verhalten und junge Menschen sexuelle Gewalt gegen Frauen als einen normalen Teil ihres Alltags betrachten, muss man nicht Anhängerin oder Anhänger feministischer Theorien sein.

Also nein, ich kritisiere Klischees nicht, weil ich mir »der Einzigartigkeit meiner Persönlichkeit nicht sicher genug« bin. Ich kritisiere sie, weil sie vielen Menschen das Leben zur Hölle machen. Ich kann es wegstecken, deswegen humorlos, unlocker und ewiggestern genannt zu werden. Auch das ist ja schließlich ein Klischee: Dass die Kritischen einfach keine Freude am Leben haben.

* * *

Hier noch, wie man mit Klischees großartig umgehen kann – ein Blog, in dem Zitate von Slavoj Žižek mit gifs von Ke$ha verknüpft werden:

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