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Dana Buchzik
Joyclub


1

Abschied beginnt immer am selben Ort: hinter der Stirn. Abschied beginnt in meinem Zimmer, Blick­richtung Vorgarten, in dem Planen über frös­telnden Blumen­beeten liegen; die Ränder unbedeckt wie die Haut eines unge­wollten Gastes, über den man eine Decke wirft in der Hoffnung, dass er bald wieder verschwindet.
  Ich bin zu Gast in diesem Tag, in diesem Abend, im zu engen Kleid auf leder­schwarzer Sofalehne. Egal, wo man ist, man entkommt der Pflicht­veran­staltung Sprechen nicht. Wenigstens der Wein hat Persön­lichkeit. Ich trinke zu viel, aber es gibt genug andere Dinge, über die ich mir Sorgen machen könnte.
  Ich erzähle Geschichten, sprenge mich mit Silben­pressluft­hammer durch die Rippen eines Fremden. Niko, mit blassblondem Haar und schmalem Gesicht. Seine Augen sind verpixelt. Grün vielleicht. Niko spricht mit metallischer Stimme und teilt Hoffnung aus, Hoffnung auf ein Herrengedeck, ein Bettgedeck für mich.
  Stunden später: Niko in der Zimmermitte, auf einem Stuhl. Es fehlt ihm an Ausrüstung; seine Knöchel sind mit seinem Burberry­schal zusammen gebunden. Altbekanntes Zucken in meiner Hand – Schlagen ist Streicheln mit Schwung. Ich genieße den Anblick seines verzerrten Gesichts, seines Mundes, der mit einer Krawatte verschlossen ist. Fingerreisen, der Gürtel­schnalle entgegen. Ich habe Schwänze nie gemocht; seiner ist keine Ausnahme. Niko weiß das.
  Hinter meinen geschlossenen Augen tanzt Juli, die Hände in ihren roten Haa­ren vergraben. Ihre Brust­warzen rutschten aus schwarzem Aus­schnitt­stoff. Charlie hielt ihr eine Ziga­rette hin, sie zog langsam, legte den Kopf in den Nacken, drehte sich nicht zu mir um. Charlies Hand an ihrem Kinn, ihrem Hals. Ich stand auf, schwankte den Toiletten entgegen. Die Schlange vorm Frauenklo uner­träglich lang – Ausweich­manöver Männer­pissoir. Ein Versuch von Durchatmen in der einzigen Kabine und später genug Platz an den verwaisten Wasch­becken. Im Türrahmen lehnte Juli, die Arme verschränkt. Ihr Lächeln: ein fraktaler Raum. Die Weite ihrer Brüste, der schmale Nabel. Der Kahlschlag zwischen ihren Beinen. Schwarzlicht pulste gegen meine Hände in ihr – das Bild friert ein.

2

Auch an diesem neuen Morgen kein neuerdings neues Leben. Niko schneidet Brotscheiben, spaltet Butter­herzen, sein Blick klebt weiß, läuft mit kurzem Schau­dern meinen Nacken entlang. Die Luft lispelt im Kaf­fee­filter. Son­nen­schmauc­hen in Mög­lich­keits­form. Ich entrinde Jo­hannis­beeren und Niko ver­schwindet kurz aus dem Bild, um Zucker zu holen. Als ich mich verab­schieden will, zieht er sein Hemd aus, streift seine Hose nach unten, Sehnen- und Muskelspiel gegen die Regeln.
  Sein Atmen ist mir unangenehm, aber es übertönt die Erinnerung. Julis Vogellaute, ihre zuckende Beine, ihre überkreuz treibenden Augen. Julis Kopf im Schleudergang, das Koks hatte Ameisen und Hirsch­käfer unter ihre Haut gesetzt, Schwarz­krabbeln und -jucken, sie versuchte, die Tiere aus ihrem Fleisch zu schälen, tünchte das Geburts­tags­kuchen­messer rot.
  Charlie trug Arztsocken und brachte ein Handtuch, ein Gästehandtuch sollte gegen einen blutenden Körper in den Krieg ziehen. Ich rieb mir die Reste vom Koks aufs Zahnfleisch und rief den Krankenwagen. Niemand hatte uns gezwungen, größer, schneller werden zu wollen. Niemand kam zu spät und im Krankenhaus spürten wir keine Beschleu­nigung mehr. Die Welt hatte uns abgehängt.

3

Wer die Intensivstation überlebt hat, wird dafür in der Psychiatrie bestraft. Der jedes Mal gleiche und jedes Mal durchdringendere Schreck, wenn die Tür hinter mir zugeschlossen wurde. Das bemühte „Guten Tag!“ erntete im besten Fall Schweigen, der Rest war Gurgeln, waren Laute, die nicht mehr viel mit mensch­licher Sprache gemein hatten. Auf speckigen Couch­polstern apathi–sche Körper und Gesichter mit umflortem Blick. Die Zeitschriften auf den niedrigen Holztischen unangerührt, Ablenkung wurde verweigert. Die Lage war ernst.
  Juli brachte mir Scham bei, Scham vor ihrem bleichen, pusteln–übersäten Gesicht, vor meinem Ekel. Sie hatte die Wahl zwischen 42 aus­dekli­nierten Nuancen der Angst – und Medika­menten, die ihren Kopf lahm legten. Sie wählte letzteres, wählte Stupor, marode Kulissen vor gleich bleibendem Trümmer­horizont.
  Wir aßen zusammen, damit sie überhaupt etwas aß. Der Speiseraum befand sich im Dachgeschoss, eine Weißkittelfrau schenkte Verständnis und Suppe in großen Kellen aus. Jedes Heben des Löffels provozierte eine neue Flut Schweiß. Das einzige, das noch tanzte, war die Kohlensäure in unseren Wassergläsern. Auch wenn meine Hand nur auf ihrer Schulter lag, fühlte es sich falsch an. Mit mir blieb Juli die, die nicht bleiben konnte, ging ohne Gruß zurück in ihr Zimmer. Alle Freude, die sie übrig hatte, gehörte Charlie. Sie glaubte, dass wenigstens er zwischen wahr und unwahr unter­scheiden konnte, dass wenigstens seine Wahrheit zu ihren Gunsten ausfiele. Charlies Nähe ließ sich bemessen. Sauber abgepackte 60 Euro pro sauber abge­packtes Gramm weißes Gold. Freundschafts­preis gegen Freund­schafts­fick. Charlie war Julis Versprechen, das Aufschub gewährte. Seine Worte ließen sich schön radieren. Charlies Zahn­lücken­lachen, Charlies Sprachlos gewann. Julis Herz in seiner Schleusen­kammer und er eröffnete das Feuer: Die Ausrede, es nicht besser gewusst zu haben, gilt nicht. Es ist immer etwas in dir, das es besser weiß, du musst nur damit aufhören, es zum Schweigen zu bringen.

4

Wie viel Niko und ich uns nicht zu sagen haben. Wie lächerlich er aussieht, wenn er kommt, die linke Faust geballt, Arme und Beine zittern hin zu einem letzten Aufbäumen, bevor die Matratze ein weißlicher Schlag ins Gesicht trifft. Wie mich sein kindlich-glück­liches Grinsen anwidert, sein Bedürfnis nach warm gespülten Worten, wenn er sich leer gespritzt hat.
  Wie lange es zurück liegt, dass ich Juli im Schlafzimmerspiegel umstellt habe, dass ich so selbst­verständ­lich nach ihren Brüsten greifen konnte wie nach dem Dunkel zwischen meinen Beinen. Wie viel ich von ihr nicht verstand. Pfeife und Folie schliefen unter ihren BHs, an der Wand hing ein gerahmtes Bild der Atom­bomben­detonation über Hiroshima, ihre Kleidung sprach schwarz. Farblose Haut unter dem kalt getönten Wasserstrahl ihrer Stimme und ich an ihr wie Schmirgel–papier. Das mit den Drogen ist bloß eine Phase, sagte sie oft, und ich wusste, eigentlich meinte sie mich.

5

Draußen steht die Nacht, und ich schrecke aus dem Schlaf mit dem klebrigen Gefühl, noch nicht ganz zurück gekehrt zu sein, nicht in dieses Zwischenspiel aus Blut und Knochen zu gehören, nicht in dieses Stück Raum mit seinen schwan­kenden Wänden. Das Fenster steht offen, trägt Stille herein. Das Bett im Aufnahme­radius der Kamera. Auch Nikos Gesicht liegt im Dunkel. Ich höre ihm beim Schnarchen zu, verständnislos, lose Enden, die sich nicht zusammen knüpfen lassen. Ich flüchte mich in die Küche, zur Kaffee­maschine mit ihren einstudierten Geräuschen, hebe eine halbvolle Tasse an die Lippen, lege den Kopf in den Nacken, um letzte Tropfen einzufangen.
  Ich glaube, dass der Mond hinter Juli verschwunden ist. Hinter der weiß raschelnden Tüte in ihrer Hand. Dass ihr Rock sich im Wind um ihre Schenkel gewickelt hat. Dass sie erleichtert war, noch die Felder erreicht zu haben. Getreide­quadrate, die in Gegenrichtung rutschten, ein Himmel, der zwischen ihre Ohren fiel. Kein Nabellecken zum Trost, der Atem ein gelbfeuchtes Straucheln und die Wolkentücher begrüßten sie wie einen Freund.

6

Ohne Juli legen die Tage eine Spur von Vergessenem aus, verblassen der 60-Watt-Sternenhimmel, den ich bei ihr zurück gelassen habe, die späten Fliegen auf Erdbeer­resten, der Lampion­mond. Der Teppichboden, der mit Erde, Blüten­resten und staubigen Zetteln übersät war. „Memo an mich: schlafen gehen.“
  Die Tage sollen nicht mehr mit der Frage nach ihr beginnen. Ich will nicht mehr nach Entschuldigungen suchen für das, was sie an sich versäumt hat. Julis Suche nach dem Glück stand im umgekehrten Verhältnis zur Fähigkeit, es finden, es ertragen zu können. Ich frage, ich suche nicht mehr.
  Vor drei Monaten ist Juli in einem Weizenfeld gestorben. Seitdem habe ich meine Wohnung nicht mehr verlassen, habe versucht, mich taub zu machen, sage ich trocken und presse den Hörer ans Ohr. Die Telefonate, die webcam reichen nicht mehr. Ich will Berührung, keine Konjunktive. Ich weiß nicht, wer ich bin, Niko, und ich befürchte das Schlimmste, aber ich möchte mich kennen lernen und nicht dich. Meine Worte kleben wie Sand an den Zähnen. Niko schweigt.
Dana Buchzik  2011    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht    Seite empfehlen  Diese Seite weiterempfehlen

 

 
Dana Buchzik
Prosa