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Kolumne von Andreas Heidtmann
Lesung vor keinem Publikum
Von der Bedeutung institutioneller Literaturseiten
  Deutsches Literaturhaus Der Webservice Alexa gibt Auskunft über die Besucherzahlen von Internetseiten. Man sollte solche Zahlen nicht überbewerten, dennoch sind sie so aufschlussreich wie ein Blick durch unverschlossene Türen eines Veranstaltungssaals: Verlieren sich dort drei, vier Zuhörer oder sind die Reihen gut gefüllt? Niemand wird literarische Seiten mit Webauftritten von Yahoo oder MySpace vergleichen. Dass an gewissen Literaturorten, die viel auf sich halten, so gut wie nichts los ist, darf allerdings überraschen.

So begeben sich viele institutionelle Literaturseiten mit einer Mischung aus Naivität und Arroganz ins virtuelle Abseits. In einem Umfeld, das von Kooperation, Flexibilität und einem Hauch Anarchie lebt, bleiben sie Fremdkörper. Sie sind da, aber nicht wirklich dabei. Oder wie soll man es nennen, wenn eine Seite wie Literaturport im Alexa-Ranking an zweimillionster Stelle liegt – trotz eines Etats, angesichts dessen es freien Initiativen schier den Atem verschlägt. Dennoch stellen freie Literaturprojekte den LCB-Literaturport, der von der Stiftung Preußische Seehandlung kräftig unterstützt wird, weit in den Schatten.

Das Marbacher Pendant Literaturportal hat zwar zwei Buchstaben mehr, und allein für diese Domain soll es 6000 Euro hingelegt haben, wird aber genauso wenig besucht. Thumbnails von Grass, Bachmann oder Walser machen noch keinen literarischen Wert aus, möchte man den Literaturbeamten zuraunen. Noch fragwürdiger ist der Auftritt einiger Literaturhäuser, denen es mit viel Geld gelingt, in die Internet-Bedeutungslosigkeit abzugleiten. Manche Seiten sind so belanglos, dass selbst Alexa sie nicht mehr listet. Auch das Deutsche Literaturinstitut, dessen Qualität als Autorenschmiede spektakulär ist, leistet sich eine Seite, die keine Relevanz hat – Alexa-Rang: 5.617.039 (Juni 2007).

Zu den positiven Ausnahmen gehören die Literaturhäuser in Wien, in Salzburg oder in Bremen, aber auch Seiten wie Lyriklog, die Berliner Literaturwerkstatt, Litrix und einige Goethe-Institute. Sie sind kooperativ, undogmatisch und sie spielen in der Liga der bekannten Literaturwebseiten mit. Einen Besuch Wert ist auch die Seite des Bachmannwettbewerbs, die mit Originaltexten und Autorenvideos aufwartet.

Längst sind die nichtinstitutionellen Seiten – wozu die Webpräsenz vieler Literaturzeitschriften zählt – im Internet die eigentlichen Literaturorte und Kulturförderer. Längst haben sie es übernommen, eine junge, kritische, internetgewandte Surfer- und Lesergemeinschaft mit literarischen Infos, mit Buchempfehlungen und Beiträgen neuer Autoren zu versorgen, aber auch mit anspruchsvollen Experimenten oder mit Texten etablierter Literaten. Selbst Lyrik hat hier eine Heimat. Insofern müsste die steril designte Präsenz vieler Institutionen niemanden interessieren. Webauftritte indessen werden von Jahr zu Jahr wichtiger, um zum Beispiel junge Leser zu erreichen. Sie sollte man dort abholen, wo sie sich tummeln. Und das tun sie im Netz und nicht in gläsernen Prestigebauten oder Gründerzeitvillen.

Bedenkt man, dass freie Seiten wie das Literaturcafé, das Titelmagazin, Uschtrin, das Autoren-Magazin, lauter niemand bis hin zum Poetenladen teils zwanzig Mal mehr Leser täglich locken, darf man sagen, dass die Besucherzahlen umgekehrt proportional zur Fördersumme stehen. Welchen Sinn, so mag sich etwa der Besucher bei Literaturport fragen, macht es, Tausende Autorenportraits von Dichtern zu erstellen, die in jedem (Online-)Lexikon stehen? Wikipedia ist gewiss nicht vorbildlich, aber hier findet man bereits alles viel ausführlicher – und Fehler machen Institutionen nicht minder. So hatte das Literaturportal den Rhetoriker Walter Jens unter dem Nachnamen Walter und dem Vorname Jens eingeordnet. Dass selbst Konrad Adenauer bei Literaturport im Lexikon der »Autoren der Literaturgeschichte steht« – übrigens ein völlig nichts sagender Eintrag –, setzt immerhin verblüffende Akzente.

Seiten von Literaturhäusern begnügen sich meist damit, ihre Veranstaltungen aufzulisten. Die Chancen des Internets als Ort der Literaturvermittlung werden verkannt. Das Haus des Buches in Leipzig tut sich mit Fotografien seiner Gastronomie hervor. Kahle Hinterköpfe, aus der letzten Zuhörerreihe fotografiert, sollen dokumentieren, wie gut die Räume besucht sind. Warum auch sollte man sich um Leser reißen, indem man ihnen etwas Tolles, Bewegendes, Spezifisches, Niedagewesenes, zumindest Brauchbares anbietet? Das sind weder dekorative Namen noch ein Design so glatt wie der Sanitärraum eines ICE. Das könnten Beiträge zu literarischen Geschehnissen vor Ort sein, Buchkritiken, Interviews oder gut ausgewählte Links zu anderen Seiten. Tipps eben. All das, was dem literarisch interessierten Surfer weiterhilft. Oder hat es am Ende Methode, dass auffallend viele Institutionen keine freien Seiten verlinken? Wer sich als Leser auf eine der Literaturhausseiten verirrt, würde mit Hilfe solcher Links rasch erkennen, was sich an literarischen Dimensionen jenseits konventioneller Einrichtungen auftut.

So bleibt nur zu wünschen, dass die Eitelkeit in Engagement und die Borniertheit in Bemühen umschlägt. Eine Kooperation im Dienst der Leser und zum Nutzen der Autoren käme einer Revolution gleich – dafür muss offenbar die Zahl realer wie virtueller Besucher bei den Institutionen noch weiter sinken.

Andreas Heidtmann    23.06.2007

Andreas Heidtmann
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