Forschungsstelle „Populäre Kulturen“
Wer auf die Frage, wie unsere Gesellschaft sich selbst beschreibt, nach Antworten sucht, kommt am Populären nicht vorbei. Was wir über unsere Gesellschaft wissen, so ließe sich ein prominenter Befund Niklas Luhmanns variieren, wissen wir dank unserer Teilnahme an populärer Kommunikation. Die CIA oder Frauengefängnisse kennen wir aus TV-Serien, das Leben in römischen Feldlagern oder mittelalterlichen Dörfern aus Romanen und deren Reenactments, die Lage im nahen Osten und dem Maghreb aus sozialen Medien, klassische Musik aus der Werbung und Allgemeinbildung aus der Quizshow. Was hohe Resonanz hat, was populär in dem Sinne ist, dass es nicht nur Eliten, Spezialisten, Subkulturen erreicht, sondern große Teile der Gesellschaft inkludiert, bestimmt in entscheidender Weise über die Selbstbilder, die wir von uns und unserer Kultur entwerfen. Genauere Bestimmungen des Populären, seiner Funktionen und Formen, Medien und Verfahren sind demnach ein wichtiger Beitrag zur Erforschung unserer Gegenwart.
Die Forschungsstelle „Populäre Kulturen“ zielt auf die Beschreibung und Analyse zentraler Phänomene, Verfahren und Funktionen unserer Gegenwartskultur und der von ihr hervorgebrachten Selbstentwürfe seit den 1960er Jahren. Formen des Populären nehmen seitdem der Sache und der sowohl akademischen als auch feuilletonistischen Würdigung nach einen zentralen Raum in der westlichen Kultur und teilweise über sie hinaus ein. Das gilt nicht nur für alle Kunstsparten und Medien, sondern betrifft auch wichtige Bereiche der Alltagskultur, des Politischen und der Ökonomie. Unsere gemeinsamen Forschungen verfolgen das Ziel, zur Konturierung und Analyse dieses Bereichs wichtige übergreifende Beobachtungsunterscheidungen, Kategorien und Untersuchungsleitlinien herauszuarbeiten, die es ermöglichen sollen, Untersuchungen über eine einzelne Disziplin hinaus zu führen. Dies ist auch deswegen nötig, weil die ‚Pop-Moderne‘, in deren Gravitationsfeld viele hoch-resonante und anschlussfähige Selbstbeschreibungen unserer Gesellschaft und ihres Personals verfertigt werden, eine Epochensignatur anzeigt und die jüngste Vergangenheit und aktuelle Gegenwart in allen ihren Sektoren, Funktionsbereichen und Diskursen betrifft.
An der Universität Siegen sind viele Forscherinnen und Forscher anzutreffen, die sich in unterschiedlichen Disziplinen den Phänomenen der populären Kultur widmen und sich mit der theoretischen Konzeptualisierung der Gegenwarts- und Populärkultur befassen. Die Forschungsstelle „Populäre Kulturen“ möchte als Oberthema daher der Frage näher nachgehen, ob es mit Blick auf das Populäre theoretische Ansätze gibt, die besser zu ihm passen als andere – oder ob es eine Theorie geben müsste, die nur vom Populären her konzipiert worden wäre, die sich ihm sozusagen ‚anschmiegen‘ würde. Daneben will sie Einzelstudien fördern und aufeinander beziehen. Für diese Studien soll die Reichweite des Begriffs der populären Kultur nicht stark begrenzt werden. Fragen historischer Volks- und Klassenkultur sollen hier ebenso zur Sprache kommen wie solche moderner Massenkommunikation und (teils avantgardistischer) Popkultur.
Diese Offenheit hat den systematischen Grund, dass auf diese Weise die historisch sehr unterschiedlichen Formen in den Blick genommen und aus ihrer Verschiedenheit komparativ Rückschlüsse und Beobachtungskategorien differentieller Art gewonnen werden können. Von »pop« und »pop culture« etwa ist in Amerika und England erst seit Mitte der 1950er Jahre die Rede – darum drängt sich die Frage, was diese Popkultur überhaupt noch mit der romantisch konzipierten Volkskultur zu tun hat, bereits begriffsgeschichtlich geradezu auf.
Nicht nur, um solche Fragen zu beantworten, wird die Forschungsstelle „Populäre Kulturen“ kooperative Zugänge fördern, die jede einzelne Disziplin überfordern würden. Da die populäre Kultur – nach allen vorliegenden Definitionen (von denen es viele gibt) – stets eine Kunstgattung übersteigt und nie der Fachbegriff einer wissenschaftlichen Richtung oder universitären Fakultät gewesen ist, ist es naheliegend, sich dem Phänomen als interdisziplinäres Netzwerk unterschiedlicher Forscherinnen und Forscher anzunehmen.