Ausonischer Rhein und Insel Reichenau
In der Visio Wettini, die zwei Jenseits-Visionen des Reichenauer Mönches Wetti kurz vor dessen Tod in lateinischen Versen (945 Hexametern) abhandelt, erwähnt Wettis Schüler Walahfrid Strabo in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts den ausonischen Rhein und eben die Klosterinsel Reichenau (Augia) im Bodensee, um die herum Germanien sich erstrecke:
„(…) Rhenus ab Ausoniis quo ducitur Alpibus, aequor
Miscet, in occiduis diffusus partibus, ingens.
Illius in medio suspenditur insula fluctu,
Augia nomen habens, iacet hanc Germania circa.
Haec solet egregias monachorum gignere turmas.
Primus in hac sanc tus construxit moenia praesul
Pirminius ternisque gregem protexerat annis. (…)“
Der gesamte Text steht lesefreundlich aufbereitet in der Bibliotheca Augustana zur Verfügung. Er gilt unsern Quellen zufolge als erste völlig aufs Jenseits gerichtete Dichtung und erste literarische Erwähnung des Bodensees und der Reichenau, doch scheinen sich unsere Quellen darüber nicht allzu sicher, auch sie sprechen von “gilt als”.
Wettis Visionen zufolge muß es auf der Klosterinsel bzw in ihrer Umgebung zu Zeiten Karls des Großen deftig zugegangen sein: ihm teils persönlich bekannte geistliche, auch weltliche Würdenträger hätten hochdeprimiert im Purgatorium auf die Geißelungen der Hölle zu warten, ihre irdischen Verfehlungen zu sühnen.
Strabos Kräutergärtlein, die Inspirationsquelle für seine Hortulus-Pflanzengedichte, ist heute noch im Inselkloster zu besichtigen, das zwischen all den Gewächshäusern des zeitgenössischen Gemüseanbaus erst einmal gefunden sein will. Und so erinnern wir uns hauptsächlich daran, wie uns auf der Reichenau einstmals, umgeben von erschlagenden Gemüsemengen, das Gefühl ereilte, immer langsamer zu werden, allmählich mit den Schuhen im schweren Boden der Herbstäcker festzuwachsen und nach und nach die Gestalt eines Kürbis` anzunehmen, später eines abgeernteten Kürbisfeldes, dann wieder eines mittelgroßen, am Wegrand darbenden Kürbishaufens und als solcher, von unsäglicher Langeweile umschwemmt, welche sich an den Rändern des Sees immerhin ein wenig in seichtem Blau aufzulösen vermochte, in die immer kürzer werdenden Tage auf nie mehr stattfindende Jahreswechsel hinzudräuen, was wir damals jedoch als unangenehme Randerscheinung eines Ausflugstages ansonsten völlig ungedeutet ließen.
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