Raum – Zeit – Rhein
(I)
In seinem Buch Der Rhein. Ein europäischer Fluß und seine Geschichte faßt Horst Johannes Tümmers die geologische Entstehung des Rheins auf Höhe der frühen 90er Jahre zusammen: „Während der 80 Millionen Jahre des Tertiärs hatten sich wichtige geologische Strukturen herausgebildet, denen der Rhein später folgen sollte.“ Der deutsche Wikipedia-Eintrag zum Tertiär verlautbart im September 2012: „Das Tertiär begann vor 65 Millionen Jahren (…)“ Zwischen beiden Zitaten liegen rund 20 Jahre, die eine Erkenntniskluft bzw -verschiebung von rund 17 bis 18 Millionen Jahren aufwerfen. Und wenn genau in dieser Kluft Außerirdische die Erde entdeckt, bewohnt und lieber spurlos wieder verlassen haben? Die Richtungen der Kluftenprogression lassen sich nur schwer bestimmen, da sie dem Humanfaktor huldigen. Bis eben galt noch dies und jenes, nun wird Göbekli Tepe freigelegt. Warten wir auf den Tag, an dem Gottes handschriftliche Tagebücher auftauchen, in denen er die Flüsse als seine Pissstrahlen notiert, fein säuberlich mit Jahr, Tag und Uhrzeit versehen.
(II)
Der Urrhein sei 10 Millionen oder 20 Millionen Jahre alt und dereinst ins Mittelmeer geflossen, steht in anderen, wandernden Quellen geschrieben. Der Rhein, wie wir ihn kennen sei ca. 10.000 Jahre alt und wahlweise zw 500 und 1000 bzw 1320 oder 1233 Kilometer lang. Strabon schrieb, der Rhein verlaufe parallel zu den Pyrenäen. Strabon kannte Flüsse, die wir nicht mehr kennen, aber hatte er sie gesehen? Wenn nicht und wenn es diese Flüsse niemals gab, so gab es sie dennoch, in Schriftzeichen gebannt. Die je aktuelle Wissenschaft gibt den Diskursstand vor, der vorgibt, daß er abgelöst werden muß.
(III)
Was sehen wir heute und was sehen wir nicht? Fraglos breitet sich Wissen derzeit rasend aus, dh, es strömt von der bewußten Stelle seines Ursprungs, und muß in Zeiten von erfolgreicher Raumfahrttechnologie und Internet in den elektronischen Arealen unseres Planeten nur aus der Steckdose gekeschert werden. Doch solange der technologische Fortschritt dem spirituellen Fortschritt vorauseilt, bleiben die eigentlichen Fragen die alten.
(IV)
Wie wäre Zeit zu messen? Mit der Uhr. Mit Bäumen. Innerhalb eines Menschenlebens. Vom Auftauchen bis zum Verschwinden eines Flusses. Indem ich ein paar Millionen Jahre die Sternkonstellationen betrachte und die Erkenntnisse auf die Ewigkeit hochrechne. Parteiisch, damit die Fördermittel weiter an die richtige Stelle fließen. Wenn der Maya-Kalender endet, ist die Zeit vorbei. Die Deutungshoheit über die Zeit muß als Machtmittel verwendet werden: 40-Stunden-Woche mit Stechuhr. Als Prinzip des Werdens und Vergehens: Werdens- und Vergehenseinheiten, -zweiheiten, -piheiten; warum überhaupt Heiten? (Heute häuten!)
Geberen, enden, werden, vergehen: alles auf e, den Nivellierungsvokal, der das a und das o ins geldene Mettel petscht, zwengt, drengt.
(V)
„Der Rhein ist an einem üblichen Dienstag um Punkt 9 Uhr entsprungen. Um 12 Uhr machte er eine halbe Stunde Mittagspause, um 18 Uhr Feierabend.“
(VI)
Zeit ohne Raum, wie soll das gehen? Raumlose Vorstellungen erscheinen generell schwierig. Zeit=pure Vorstellung oder Traum? Vom Gefühl her: eher nein. Raumentbundene Zeit: das könnte etwas Schlaffes sein, etwas Qualliges. Der Oktopus ist ein weithin unterschätztes Tier.
(VII)
Toulouse, Jardin du Grand Rond, frühe 90er Jahre. Während einer lysergischen Erfahrung öffnet sich das Raum-Zeit-Verhältnis. Zwei Kubikmeter des Parks werden von einem Geleemeer lebendiger Ewigkeit durchschwappt. Alle Zeiten überlagern sich in diesem Raumausschnitt, ohne aus ihm herauszuplatzen. Bei diesem Anblick entdecke ich die vorübergehende Fähigkeit, bis zu drei Gedanken gleichzeitig-parallel zu denken. Wenn mein Gehirn, wie die Hirnforschung vermutet, nur zu zehn bis 15 Prozent seiner Kapazität nutzbar ist, wäre ich ab spätestens 20 Prozent Nutzungsabruf reif für die Klapse.
(VIII) Pelé hebt in einer alten Aufnahme die Raumgesetze im gegnerischen Strafraum auf, Günter Netzer flankt gekrümmt durchs niederrheinische Mittelfeld.
(IX)
Außerirdischer Rhein. Rover „Curiosity“ hat im September 2012 erstmals von Wasser geformte Kiesel auf dem Mars fotografiert. „Über den Mond kriecht ein Käfer hin / die Welt hat drei Beine die ziehen / ihr eines Bein ist ein Hintern / ihr anders Bein ist ein Arm / das dritte würde gern fliehen / (…)“ (Sándor Weöres, 1913 -1989)
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