Ein merckwürdiges Exempel

“Kayser Henricus IV.
(…) Endlich invitireten sie uns an einen gewissen Ort am Rhein=Strohm, um daselbst bey unserer Zusammenkunft einige Divertissements zu haben. Vorher hatten sie an diesem Ort bey dem Ufer des Rheins ein neues Schiff erbauen und solches fürtrefflich auszieren lassen. Als wir nun dahin kamen, wohl aufgenommen, und uns allerhand angenehme Veränderungen gemacht wurden, baten sich endlich diese Herren von mir aus, daß ich mir möchte gefallen lassen, ihr neu erbautes Schiff auf dem Rhein zu besehen. Ich fand keine Ursach, ihnen solches abzuschlagen, und begab mich auf dasselbe. Als sie mich nun solcher Gestalt in ihrer Gewalt hatten, stiessen sie vom Ufer mit dem Schiffe ab, und ruderten mit aufgespannten Seegeln, so viel möglich, eiligst fort. Ich erschrack hierüber, und fragte: Wo sie mit mir hinwolten? Die Antwort war; Ich würde mir gefallen lassen, mit ihnen nach Cölln zu schiffen. Dieses kam mir erschrecklich vor und ich besorgte, sie möchten mich gar ums Leben bringen, oder doch sonst etwas böses wider mich vorhaben. Ich war daher auf meiner Hut, und suchte Gelegenheit aus ihren Händen zu entkommen, wenn es auch gleich mit der grösten Gefahr meines Lebens geschehen solte. Ich sahe also die Gelegenheit ab, und ehe sie sich es versahen, sprang ich in den Rhein, um durch Schwimmen an das Ufer zu kommen, und mich solcher Gestalt von ihnen zu befreyen. Ich wäre gantz gewiß ersoffen, weil ich in Kleidern war, und dadurch verhindert wurde, zu schwimmen, wenn nicht der vorhergedachte, auf dem Schiffe mit befindliche Egbertus, auch in den Rhein gesprungen, und mich, da ich schon untersincken wolte, beym Schopff gekriegt, nach dem Schiffe gezogen, und solcher Gestalt noch mein Leben gerettet hätte. Ich muste also mit ihnen nach Cölln seegeln, und sie hielten mich hinfort in solcher Aufsicht, daß ich in ihren Händen nicht besser als ein Gefangener war. Meine Mutter erstaunete, als sie von allem, was mit mir vorgegangen war, Nachricht erhielt, und ließ mich durch einige Deputirte wieder abfordern. Diese Herren aber, so mich nun einmal in ihrer Gewalt hatten, liessen ihr sagen: Ich wäre bey ihnen in guten Händen, und sie könten es nicht länger ertragen, daß eine Frau über sie herrsche und das Reich verwalte. Sie wolten hinfüro bis zu meiner Majorennität schon selbst dafür sorgen. Meine Mutter, die alles bishero mit grosser Weisheit und Klugheit administriret hatte, chagrinirete sich hierüber so sehr, daß sie auf einmal die Vormundschaft niederlegte, sich, allen Haß und Feindschaft der Welt zu vermeiden, in ein Closter begab, und dem Welt=Getümmel eine stille und andächtige Ensamkeit vorzog. (…)

Kayser Henricus III:
Ihr habt, mein Sohn, einen sehr gefährlichen Sprung in den Rhein gethan, und würdet ohnfehlbar haben ersauffen müssen, wenn nicht die himmlische Allmacht für euch gesorget, und den Egbertum erwecket hätte, euch aus dem Wasser zu ziehen. An euch hat man also auch ein merckwürdiges Exempel, daß der Himmel ein wachsames Auge auf seine Gesalbte habe, und sie oft wunderbarlich aus der augenscheinlichen Lebens=Gefahr zu erretten wisse. (…)”

(aus: Johann David Jungnicol – Merckwürdige und in einer angenehmen Ordnung vorgetragene Staats- und Kayser-Gespräche: Worinnen bey der stillen Gesellschafft im Reiche derer Todten, alle Römische Kayser, Wie sie vom Anfange der Monarchie an, in der Regierung auf einander gefolget, aufgeführet, und so wohl die ihnen selbst begegnete merckwürdig und sonderbare Begebenheiten glaubwürdig erzehlen, Als auch dasjenige, was unter ihren Regierungen, in denen Landen des Römischen Reichs, und in anderen Reichen, sich remarquables begeben, beygebracht, und mit untermischten Raisonnements, auch ihre notable Müntzen und Wahl-Sprüche angeführet, Und zum Beschluß bey jedem Stück die Neuigkeiten aus denen Reichen und Staaten, auch aus der gelehrten Welt, adjungiret werden, Band 2; 1749)


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