Berliner Rhein (4)
“Warum fließt der Rhein nicht durch Berlin?”, fragte seinerzeit Alfred Kerr – und gab gleich selbst die Antwort: “Berlin liegt an der Panke.” Jede Weltstadt braucht eben ihren Weltfluß. Auf einen weit zurückliegenden, dafür eklatanten Berliner Rheinismus hingewiesen wurden wir indessen bezeichnenderweise bei einer vollherbstlichen Bootsfahrt auf Spree und Landwehrkanal: „Berlin müßte eigentlich Köln heißen“, klangs ungefähr bei Moabit aus dem Bordlautsprecher, der schon die ganze Zeit interessante Informationen hervorpustete, welche wir stochastisch aus dem berlinerweißebeschwipsten Seniorenmassensächseln des Unterdecks und den widrigen Wetterschüben des Oberdecks filtrierten, ähnlich jener Dame Melitta Bentz, die ihrerzeit (also etwa eine Dreiviertelstunde früher, was unsere Bootstour betraf, aber noch vor dem Ersten Weltkrieg) für ca. 78 Pfennige eine selbstentwickelte Methode des Kaffeefilterns am rechten Ufer zum kaiserlichen Patent angemeldet hatte, nachdem sie zuallernächst mit persönlich nageldurchlöcherten Blechdosen und dem Löschpapier ihres Sohnemanns experimentiert gehabt haben soll. Eine Investition, die sich für Frau Bentz und Nachkommen rechnete und rechnet, in Reichsmark, D-Mark und Euro, ein Paradebeispiel simpel konstruierter Nachhaltigkeit, den Deutschen auf Filterkaffee einzuschwören. Unsere Investitionen hingegen bestehen aus reinen Kopfgeburten und werfen lediglich zweifelhafte Geistesfrüchte ab: hätten wir tatsächlich heute – wie zw den beiden Frankfurts – zw Köln/Spree und Köln/Rhein zu unterscheiden, stellten sich unzählige Fragen nach und Szenarien möglicher Verwerfungen, Verwechslungen, Verwirrungen zwischen den preußischen und den rheinländischen Kölnern, welche aber doch eben alle Kölner wären, was sie vermutlich verbrüderte. Ungleich verbrüderte zwar. Aber kein aber. Rheinländer jedenfalls hätten, verkündete der Bordlautsprecher, bei der heutigen Museumsinsel ein Cölln gegründet (und aus rheinischen Beweggründen genauso und nicht anders genannt), das vor 750 und mehr Jahren mit dem angrenzenden Berlin fusionierte. Warum Berlin nun aber doch Berlin heiße und nicht Köln, ließ der Bordlautsprecher offen. Ohnehin ist der rheinische Geist dieser Stadt, falls er jemals in den märkischen Sümpfen geherrscht haben sollte, längst verweht. Und stattdessen der berlinische (Berlin soll ja nichts anderes als Bärchen bedeuten) an allen Ecken vorhanden, welcher im polymeren Post-Post der schweifenden Zeiten seine reine Selbsteinbisüberschätzung suchend bisweilen gummiberlinische Tarngestalt annimmt, in welcher Form wir ihn denn auch dann und wann bereits häufig erblickten, als streuenden gar außerhalb Berlins, gar in rheinischen Regionen – ein Beweis für die These, daß alles mit allem zusammenhängt? Oder umgekehrt? Ist ein heutiges Köln innerhalb der Tore Berlins wirklich so unvorstellbar? Wo Berlin doch Istanbul und Venedig (um nur zwei weithin bekannte Städte der mittleren Umgebung zu nennen) gewissermaßen einschließt (zumindest abbildet), und Köln und Istanbul über das reine Partnerstadtverhältnis hinaus einige frappante Kongruenzen aufweisen, die dann ja auch, angefangen bei historischen Ost-West- oder West-Ost-Brüchen und -Brücken, in Berlin zählen dürften? (Erhellende Antworten werden erbeten und können direkt unter diesen Eintrag hinkommentiert werden.)
Stichworte: Alfred Kerr • Berlin • Frankfurt am Main • Frankfurt an der Oder • Istanbul • Köln • Landwehrkanal • Melitta Bentz • Moabit • Panke • Rhein • Spree • Venedig