Raum – Zeit – Rhein (3)
(XIII)
Wie die Wahrnehmung des Ineinandergreifens technologisch beschleunigter Lebenskomponenten sich mit der Beschleunigung ändern wird, so wird auch der Charakter eines Werks, das aus dieser Wahrnehmung entsteht, sich im Vergleich zu Werken vorheriger Epochen ändern. Anbetrachts des rasanten Bedeutungsanstiegs etwa der Freiheits-, Überholtheits- und Massenaufkommensfaktoren (die jeweils einzeln näher zu betrachten wären) moderner Werke: wäre es nicht geradezu pervers, noch “abgeschlossene” Arbeiten zu präsentieren? Fragment (besser: Ausschnitt!), Patchwork (besser: Kaleidoskop!), Cut-up (besser: Synthese!), Recycling (besser: Fusion!) analoger und digitaler Ströme wären werkimmanente Symptome einer sich auftürmenden, von Beginn an ultratransparenten Zeitwelle, deren Transparenz sie so über-übersichtlich fragil gestaltet, daß ihr steter Zusammenbruch einerseits vor lauter Transparenz garnicht wahrgenommen werden kann, andererseits wieder stabilisierend wirkt (was ohne Unterlaß bricht, ist noch nicht kaputt). Bei aller Schärfenverschiebung und High Definition: zugrunde liegt die weiterhin gegebene, von diversen Denkströmungen teilüberbügelte Archaik im Angesicht des schlicht-dialektischen Systems der Klarwerte Null und Eins und der mit ihnen möglichen Progressionen.
(XIV)
Die literarischen Methoden des Sammelns, Sortierens, Anhäufens und Schichtens, eine Technik, deren sich rheinsein zum Wachstum bedient und aus der es sich gleichzeitig speist, hat im November 2012 in Loos-en-Gohelle in Nord-Pas-de-Calais eine Entsprechung im sogenannten Terrilismus gefunden, den wir gemeinsam mit dem französischen Kollegen Dominique Sampiero und dem polnischen Fotografen Arek Gola entwickelten, wobei sich Terrilismus auf das französische Wort terril, zu deutsch Abraumhalde, bezieht. Abraumhalden bestehen aus mehreren (Abfall-)Produkten des Bergbaus, darunter Kohle, Schiefer und andere Gesteine, die weiter verwertet werden können, z.B. im Straßenbau oder als künstliche Berge (Wander-, Ski- und Gleitschirmsport). Nicht selten entzünden die Halden sich selbst und beginnen innerlich zu glimmen und schwelen (wobei neuartige Minerale entstehen); sie vermögen Rauch auszuatmen und seltene Vegetationen und Tiere anzuziehen.
Stichworte: Arkadiusz Gola • Dominique Sampiero • Loos-en-Gohelle • Nord-Pas-de-Calais • Rhein