Sich einmal vor den Marketingkarren spannen lassen: warum nicht? In anderen Branchen ist das Gang und Gäbe. Beautyblogger bekommen wahrscheinlich genügend Schminke zugeschickt, um ganze Häuserfassaden großflächig mit Herzchen-Streetart zu versehen – um jeden Lipgloss einen Geldschein gewickelt. Reiseblogger schreiben im reservierten Liegestuhl unvoreingenommen über 5-Sterne-Bunker, während ihnen der Hoteldirektor persönlich die Füße massiert. Und wer Unterhaltungselektronik testet, bekommt sie frei Haus von Tech-Nick himself in den siebten Stock geschleppt und verbraucht mit seinem kostenlosen Geräte-Arsenal an einem Tag vermutlich mehr Strom als Nordkorea im Winter. Wir Literaturblogger dagegen? Geben uns mit lausigen Rezensionsexemparen zufrieden. Zuletzt habe ich mir den neuen Auster schicken lassen – wie lange brauche ich für 1259 Seiten plus Rezension? Jedenfalls lange genug, um die 30 Euro für das Buch nicht als Stundenlohn gelten zu lassen. Eigentlich müsste mir Rowohlt eine Volontärin schicken, die mir den Wälzer vorliest. Während sie meine Wohnung putzt. Nackt.
Natürlich ist das nicht nur sexistisch, sondern auch Quatsch: Wer über Literatur bloggt, macht das zunächst einmal freiwillig – und vor allem macht er es gerne. Und zwar, weil echte Leidenschaft dahintersteckt. Liebe zur Literatur. Aber nichtsdestotrotz freuen wir uns über Wertschätzung, schließlich lässt sich auch der gemeine Literaturblogger gerne einmal bauchpinseln. Selbstverständlich sind Bloggeraktionen von Verlagen nichts weiter als Marketingkalkül. Denn auch wenn es eine schöne Idee für Literaturliebhaber ist: Wer sich von Hanser für Ein wenig Leben zum Lese-Retreat in eine einsame Hütte einladen lässt, macht sich damit zum Teil einer Kampagne – selbst ohne die Angst im Nacken, dass, während man liest und rezensiert, Jo Lendle als Hommage an Misery mit einem Hammer am Fußende des Bettes sitzt. Dasselbe gilt für die Einladung vom Ullstein-Verlag zum Blog@bout über ihre Autorin Ada Dorian: Anreise, Hotel und Restaurantbesuch für lau und obendrein ein Wiedersehen mit liebgewonnenen Bloggerfreunden – da lässt man sich doch gerne mal vor den Marketingkarren spannen!
Ein etwas zynischer Einstieg? Fürwahr. Aber tatsächlich musste ich mein Pulver früh verschießen, weil am Bloggerevent in Berlin nämlich rein gar nichts zynisch war. Im Gegenteil: Das kleine Team, das hinter dem neuen Imprint Ullstein fünf steht, bewies vielmehr, mit wieviel Leidenschaft und Begeisterung es sein erstes Programm auf die Beine gestellt hat. In der Vorstellung des Spitzentitels, Betrunkene Bäume von Bachmannpreis-Kandidatin Ada Dorian, schwang stets echter Stolz mit: Alle im abteilungsübergreifenden Team rund um Lektorin Ulrike von Stenglin glauben fest an den Titel und ihre Autorin. Umso legitimer ist es, dass sie alles dafür tun, um die (in diesem Programm: junge) Gegenwartsliteratur bei Ullstein fünf zum Erfolg zu führen. Der erste Blog@bout war deshalb alles andere als eine Kaffeefahrt mit Heizkissenzwang, sondern ein entspanntes, offenes und sehr freundschaftliches Treffen zwischen Literaturliebhabern auf beiden Seiten. Nach der Begrüßung und einer Führung durch das schöne Verlagsgebäude, in dem die Entstehung eines Titels vom ersten bis zum letzten Schritt am Beispiel von Betrunkene Bäume durchgespielt wurde, stellten Ada Dorian und Moderatorin Julia Korbik mit einer kurzen Lesung und etwas längeren Fragerunde den Debütroman vor. Während des anschließenden Restaurantbesuchs gab es in einer Art Speeddating auch die Gelegenheit zum kurzen Einzelgespräch mit der Autorin – eine schöne Idee, die ich, weil die Atmosphäre unter allen Beteiligten ohnehin schon sehr zwanglos war, allerdings nicht wahrgenommen habe. Auch so kam im Laufe des (durchaus ausschweifenden) Abends fast jeder mit jedem einmal ins Gespräch.
Anders als erwartet blieb am Tag der Rückreise (neben dem Kater) kein fader Beigeschmack zurück, bloß Teil einer großen und ziemlich ehrgeizigen Kampagne zu sein, sondern vielmehr die Erinnerung an einen sympathischen und informativen Austausch unter Gleichgesinnten, die die Begeisterung für gute Literatur verbindet. Und das bringt uns schnurstracks zur anfänglichen Frage zurück: Sich einmal vor den Marketingkarren spannen lassen – warum nicht, wenn so viel Leidenschaft dahintersteckt?
Betrunkene Bäume von Ada Dorian erscheint am 24.2.2017. Meine Rezension zum Roman lest ihr schon eine Woche früher – am 17.2. – auf diesem Blog. Und wer sich etwas mehr für die hard facts interessiert: Isabella Caldart von Novellieren hat definitiv ein besseres Gedächtnis als ich – oder gleich das Notizbuch aus dem Goodie Bag eingeweiht; in jedem Fall ein lesenswerter Artikel (beziehungsweise zwei). Auch bei Fräulein Julia ist ein schöner Bericht erschienen.
Ja das ist schon ein bißchen überheblich und gefällt mir daher nicht sehr!
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Nun, es ist als launiger, sarkastischer Text gedacht. Über Humor lässt sich bekanntlich nicht streiten, auf dem Schlips treten wollte ich jedenfalls niemandem.
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Ich finde es ja interessant in welche Extreme diese Diskussionen über Rezensionsexemplare und Zusammenarbeit mit Verlage gehen können!
Da habe ich vor kurzem erst etwas über die Dankbarkeit gelesen, die ich haben sollte, wenn mir ein Verlag seine Bücher gratis zur Verfügung stellt und jetzt lese ich, die sollten mir die Füße abschlecken und mir einen Sexsklaven schicken, wenn ich mich herablasse ihre Bücher zu lesen und ich denke die Wahrheit liegt wieder einmal in der Mitte.
Es ist fein, daß die Verlage Bücher relativ großzügig an Blogger verteilen, die Neiddebatten, das das noch immer auslöst, verursachen bei mir noch immer Kopfschütteln und ich denke, die Verlage, wissen warum sie das tun und erwarten sich von mir, daß ich das Buch lese und bespreche, das tue ich auch und mehr nicht!
Ich lasse mich deshalb vor keinen Karren spannen und brauche auch keine nackte Frau dafür, die mir die Wohnung putzt, ein Bild das ich übrigens als sehr matschistisch ablehne und das ist auch hauptsächlich der Grund, warum mir der obige Artikel nicht gefällt, über das andere kann man diskutieren, aber bitte am Boden bleiben!
Ein Buch ist ein Buch, und das Lesen dauert bei mir durchschnittlich ein paar Tage und das Blogschreiben dann noch ein bis zwei Stunden, also wäre ich bei einem Stundenlohn von ein paar Cent und soviele Leute werden sich, wenn sie meinen Artikel gelesen haben, das Buch vermutlich auch nicht kaufen, liebe Grüße aus Wien!
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Liebe Frau Jancak, tatsächlich glaube ich nicht, dass unsere Meinungen allzu weit auseinanderliegen – die erste Hälfte meines Artikels ist (ob man den Humor nun teilt oder nicht) komplett ironisch zu verstehen. Nicht umsonst füge ich gleich im Anschluss hinzu: „Natürlich ist das nicht nur sexistisch, sondern auch Quatsch: Wer über Literatur bloggt, macht das zunächst einmal freiwillig – und vor allem macht er es gerne. Und zwar, weil echte Leidenschaft dahintersteckt. Liebe zur Literatur.“ Ich gehöre jedenfalls nicht zu denen, die den Anspruch haben, mit ihrem Blog Geld zu verdienen; ich freue mich über Rezensionsexemplare – und genauso freue ich mich, wenn Verlage meine (freiwillige) Arbeit anerkennen, indem sie die Artikel teilen. Oder sich die Zeit nehmen, mir auf Messen oder bei Veranstaltungen wie just in Berlin ihr Programm vorzustellen. Natürlich bin ich mir im Klaren darüber – und das kommt im Artikel auch zum Ausdruck -, dass Verlage dies nicht aus reiner Nächstenliebe machen, sondern die Kontaktpflege zu Bloggern Presse- und Marketingarbeit ist. Aber das Grundinteresse ist auf beiden Seiten dasselbe: der Wunsch, auf gute Literatur aufmerksam zu machen. Und solange das der Fokus bleibt, haben alle etwas davon. Mit besten Grüßen, Frank Rudkoffsky
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