„genug“ – Beiträge für Heft 18 der schreibkraft gesucht
Genug!
Noch haben wir gar nicht genug am Konto, schon ist das große Geldverdienen vorbei! Die Vorzeigeunternehmen des Finanzkapitalismus schlittern reihenweise in die Pleite und versenken ganze Staatshaushalte gleich mit. Der naive Glaube an das Perpetuum mobile der Marktwirtschaft, das „Immer-Mehr“, das permanentes Wachstum garantieren soll, scheint ins Wanken zu geraten.
Natürlich ist „mehr“ im Regelfall heiß begehrt. Mehr Geld, mehr Freunde, mehr Autobahnkilometer. Was gäbe es daran groß auszusetzen? Doch schon auf den zweiten Blick sieht man: Mehr Geld bedeutet Inflation, mehr Freunde (selbst wenn sie tipptopp in Myspace verwaltet werden) bedeuten mehr Stress, und mehr Autobahnkilometer müssen auch irgendwie erhalten werden. Und dennoch gibt’s von fast allem mehr: Menschen, Autos, Mobiltelefone (in Westeuropa etwa mehr als Einwohner), EU-Mitglieder, Gesetze, Krankheiten, Bücher, Weinsorten, GPS-Geräte, Gewalt in der Familie, Lebensmittelmotten, Hundstrümmerln auf der Straße, Radio- und Fernsehsender und Kunstbiennalen. Besonders auf dem Gebiet des Konsums gibt’s seit einiger Zeit kein Halten mehr: Wo etwa noch vor wenigen Jahren lediglich zwischen rot, weiß, Bouteille oder Doppler unterschieden wurde, herrscht nun hyperdifferenzierte Vielfalt. Dasselbe gilt für Öl (ein Hoch dem fünfjährigen Marillenbalsamico), Essig, Käse, Milch oder Wasser – ein weites Feld für Distinktionsgewinnler aller Art.
Genug?
Am anderen Ende des Spektrums allerdings sind immer größere Gruppen von Menschen von der Teilhabe an wesentlichen Teilen des oben skizzierten Lebens ausgeschlossen. Nicht nur das: Etliche haben nicht mehr genug zum Leben und schlittern in die neue Armut. Gibt es also tatsächlich genug für alle? Sind ausreichend Ressourcen verfügbar, um eine ausgewogene Verteilung von Grundversorgung, Wohlstand, Demokratie, Menschenrechten oder Bildung zu gewährleisten? Oder wird die Kluft zwischen den Superreichen und dem Prekariat immer größer. Davon unabhängig: Gibt es nicht auch tausend Dinge, von denen man nie genug haben kann, ja soll – Liebe, Zuneigung, Wissen, erneuerbare Energie, Gleichberechtigung oder einfach gute Luft? Doch selbst bei Letzterem herrscht Meinungsvielfalt, empfahl doch eine Journalistin der „Kronen Zeitung“ einst den von Feinstaub geplagten Bürgern mancher Stadt, einfach weniger zu atmen! Alles letztendlich eine Frage des Weltbilds: Die einen wollen volle Konten, die anderen viel Freizeit; die einen begrüßen Zuwanderung, die anderen fürchten sich davor; die einen leben puritanisch, die anderen sehen in der Verschwendungssucht eine hoch sympathische Devianzstrategie; der eine konstatiert: „Es reicht!“, die anderen verpassen ihm den Denkzettel dafür. Und überhaupt: Ist nicht schon die Forderung „genug!“ eine unsympathisch-kulturpessimistische, ja reaktionäre Strategie?
Genug Zeit für Texte: Einsendeschluss 30. November 2008
In dieser Ausgabe der schreibkraft wird protestiert, polemisiert, diskutiert, analysiert und differenziert – schicken sie uns also bis 30. November 2008 ihre Pamphlete, Kampfschriften, Beobachtungen und Reportagen. Schreiben Sie über Fülle und Völlegefühl, Benzinpreise, Müllproduktion und Spammailflut oder wovon Sie sonst so die Schnauze voll haben. Schreiben Sie über Sesselkleber in der Politik, über Ihre große Schwäche, über Sammelleidenschaft (egal ob sie Überraschungseiern, Schallplatten, Gartenzwergen oder Happy Hippos gilt), McJobs, das Bildungssystem oder schwachsinnige Marketingrhetorik. Und – vor allem – lassen Sie uns wissen, ob Sie von all dem genug haben oder noch viel mehr wollen!
Bisher unveröffentlichte Texte zum Thema bis maximal 18.465 Zeichen bitte an: schreibkraft@mur.at. Die Redaktion trifft aus allen eingesendeten Texte eine Auswahl. Veröffentlichte Texte werden honoriert. Wir arbeiten sehr, sehr langsam, also wundern Sie sich bitte nicht, wenn Sie monatelang nichts von uns hören. Irgendwann kommt bestimmt eine Antwort.
Eine Bitte an alle, die uns trotz unseres begrenzten Platzes für Literatur literarische Texte zusenden: Bitte schicken Sie uns nur ein, höchstens zwei Prosatexte von längstens je 18.000 Zeichen. Wenn Sie uns Lyrik schicken, dann reichen maximal 5 Gedichte zur Begutachtung. ACHTUNG: Einsender, die uns wahllos mit einem Querschnitt Ihres bisherigen literarischen Schaffens überfluten, werden ab sofort ignoriert. Denn davon haben wir eigentlich schon genug.