|
||||||||
Home Themenübersicht / Sitemap Notizen Webmaster | ||||||||
![]()
Teil 1: Die Bedrohung der Privatsphäre (Privacy)Letzte Ergänzungen: Juni 2012 Definition Privatsphäre: Vertraulichkeit, Authentisierung, Anonymität und Pseudonymität
Autoren: Philipp Schaumann und Christian Reiser Dieser Teil des Artikels zu Privatsphäre beschäftigt sich mit den eher theoretischen Aspekten des Schwindens der Privatsphäre und was das für jeden von uns und für die Gesellschaft bedeutet. In Teil 3 gibt es dann viele Beispiele für den rapiden Verlust an Privatsphäre. Privatsphäre (engl.privacy) ist komplexes Konzept mit vielen Aspekten. Im angelsächsischen Recht wird es seit 1890 definiert als 'right to be let alone' (Warren und Brandeis). (Hier der Originalartikel The Right to Privacy.) Seit ca. 1980 werden, hauptsächlich im europäischen Raum, mehrere Dimensionen beschrieben: psychologische Privatsphäre (die psychologisch empfundene Intimsphäre), physische Privatsphäre (z.B. die Unversehrtheit der Wohnung), interaktionelle Privatsphäre (Kontrolle über Interaktionen und Kommunikation) und informationelle Privatsphäre (Vertraulichkeit von Informationen über eine Person). Wenn Internet-Nutzer gefragt werden, ob und wodurch sie ihre Privatsphäre bedroht fühlen, so werden dort vor der Bedrohung der informationellen Privatsphäre Sicherheitsprobleme wie Viren, Würmer und Spyware, und auch das Spam-Problem genannt ('right to be let alone') und e-Crime-Bedrohungen wie Identity Theft. Der Rest des Artikels beschäftigt sich hauptsächlich mit informationeller Privatsphäre. Zwei wichtige Aspekte von informationeller Privatsphäre, die manchmal separat betrachtet werden müssen, sind Vertraulichkeit und Anonymität. Ein Treffen der Anonymen Alkoholiker ist anonym (niemand muss sich mit wirklichem Namen vorstellen), aber es ist nicht vertraulich. Die Treffen sind öffentlich zugänglich und jeder kann zuhören. Und evtl. erkennt der Zuhörer sogar jemand am Aussehen. Vertrauliche Gespräche sind sehr oft nicht anonym, im Gegenteil, eine strikte Authentisierung des Kommunikationspartners ist oft ein Kernaspekt der Vertraulichkeit. Vertraulichkeit und Anonymität sind 2 wichtige Aspekte für den Schutz der Privatsphäre, welches davon im konkreten Einzelfall entscheidend ist, variiert. (Auf einer anderen Seite mehr zu den Themen Anonymität und Pseudonymität) Was bedeutet für die Autoren informationelle Privatsphäre? Unsere Definition ist: "Ich kann bestimmen, wer was von mir weiß". Das heißt, meine Forderung nach Privatsphäre heißt nicht unbedingt, dass ich etwas zu verbergen habe, sondern dass ich eine Kontrolle darüber haben möchte, wem gegenüber ich was preisgebe. Menschen brauchen private Bereiche, um sich öffnen zu können. Diese Definition führt sehr schnell dazu, dass man jeder Person mehrere Privatsphären zuordnen kann: Mein Partner darf nämlich ganz andere Sachen von mir wissen, als mein Chef und der wieder andere als meine Freunde und die wieder etwas anderes als die allgemeine Öffentlichkeit. Und manche Sachen möchte ich ganz allein für mich behalten. (Hier die Definition in der wikipedia).
Wir "bezahlen" immer öfter mit der Handelsware private DatenDieser Artikel On the Web, privacy has its price bringt einen wichtigen Punkt: Wir allen haben uns mittlerweile ganz stark daran gewöhnt, mit Daten aus unserer Privatsphäre zu bezahlen. Wie werden denn sonst die vielen kostenlosen Dienste finanziert an die wir uns so gewöhnt haben: kostenlose Suchmaschinen, kostenlose Webmailer, kostenlose Zeitungsartikel, etc. Nein, dies ist kein Hinweis darauf, dass der Kommunismus doch gesiegt hat. Fast alle diese Dienste leben davon, dass sie uns Anzeigen zeigen und zwar Anzeigen, die möglichst gut zu unseren Vorlieben und Interessen passen. Woher weiß der Betreiber der Website, was unsere Interessen sind? Indem er/sie schaut, was wir uns auf der Website so alles anschauen. (An anderer Stelle erkläre ich, warum "benutzer-bezogene" Werbung durchaus nicht immer harmlos ist.) Prüfen Sie sich selbst. Einige Dienste gibt es mit und ohne Werbung, z.B. Hotmail. Für eine recht geringe monatliche Gebühr können Sie hotmail auch ohne Werbung nutzen, tun Sie das? Vermutlich nicht. Es ist vermutlich kein Zufall, dass Google (ex-)CEO Eric Schmidt ein Befürworter der vollkommenen Offenheit ist (siehe etwas weiter unten). Und Google mit seiner Legion von kostenlosen Diensten ist der Weltmeister im Sammeln und Auswerten von privaten Informationen, bis zu den Inhalten ihrer Emails (falls sie gmail nutzen). Hier eine Zusammenstellung, was Google so alles sammelt. Persönliche Daten sind heute eine wichtige Handelsware und bestimmen den Wert eines Unternehmens. Die Methoden zur Unternehmenswertberechnung für ein Internetunternehmen drehen sich neben dem tatsächlich erzielten Umsatz um drei Kriterien: die Anzahl der Benutzer, wie viel Zeit sie auf der Website verbringen und - am wichtigsten - wie viele Daten sie von sich offenlegen. (Spur der Speicher in der FAZ).
Ein beliebtes Scheinargument: Ich habe nichts zu verbergenDie nächste Überlegung ist dann: Warum gibt es eigentlich Sachen von denen ich nicht möchte, dass sie einer gewissen Person oder Gruppe bekannt werden? Manche Leute sagen an dieser Stelle schnell
Oder, wie Google CEO Eric Schmidt in einem Fernseh-Interview erklärte: "If you have something that you don't want anyone to know, maybe you shouldn't be doing it in the first place." Er ist der Meinung "it's important" that all . . . information could be made available to the authorities." Warum diese Einstellung grundfalsch und sogar gefährlich im Zusammenhang mit Google+ ist, das erkläre ich auf meinen Seiten zu Anonymität und Pseudonymen.
Mit dem Argument "ich habe nichts zu verbergen" hatte der Polizeichef von Houston angedacht, man könne doch Geld für Polizisten sparen, wenn in öffentlichen Bereiche, und warum eigentlich nicht auch in den Wohnungen, Kameras aufgestellt würden" - Gegenfrage an ihn: "Sie hätten also kein Problem, wenn bei ihnen im Bad und im Schlafzimmer eine Kamera wäre??? Bei den allermeisten Menschen ist das aber nicht der Fall, obwohl die Tätigkeiten, die die Menschen an diesen Orten ausüben, in 99,99% aller Fälle vollkommen legal sind." Eine Variante dieses Arguments ist die Post-Privacy Bewegung, die ich weiter unten im Detail behandele.
Thema AnonymitätAnonymität ist ein spezieller Aspekt beim Schutz der Privatsphäre. Anonymität bedeutet, dass ich öffentlich handeln kann, ohne meine Identität preis zu geben. Es ist damit eines der Mittel Privatsphäre zu wahren. Anonymität entsteht z.B., wenn ich in einem Geschäft, in dem mich niemand kennt, bar bezahle und nicht über die Bankomatkarte meine Identität preis gebe. Wirkliche Anonymität ist kaum zu erreichen, in der Realität kommen unterschiedliche Abstufungen vor. So hinterlassen wir auch beim Surfen im Internet reichlich Spuren (viele Details siehe Link). Eine viel detailliertere, erheblich weiterführendere Betrachtung zum Thema Anonymität und ihrer Funktion findet sich auf meiner separaten Seite zum Thema. Dort geht es vor allem darum, dass eine menschliche Gesellschaft mit vollständiger Anonymität gar nicht funktionieren kann.
Der schleichende Verlust an Privatsphäre, den wir beobachten, entsteht teilweise dadurch, dass wir uns die Anonymität abkaufen lassen. Dies geschieht z.B. über Vorteile, die ich bei der Benutzung einer Kundenkarte bekomme oder wenn ich mir durch die Speicherung eines Cookies das erneute Login auf einer Website ersparen kann. Dabei wird manchmal eine Pseudo-Anonymität angeboten. D.h. es findet keine wirkliche Verifizierung meiner Identität, z.B. durch Vorlage eines Ausweises statt, sondern ich kann mir einen "Nickname" ausdenken. So ein Nickname ist nur eine Pseudo-Anonymität, weil mit einigem Aufwand, z.B. durch Rückverfolgen der IP-Adresse im Internet und Anfrage beim Internet-Provider sehr wohl die wahre Identität, nämlich die Rechnungsadresse, gefunden werden kann, siehe die Klagen der Musikindustrie gegen Musik-Downloader. Auch ich tausche für den Vorteil von mehr Bequemlichkeit wirkliche Anonymität gegen eine Pseudo-Anonymität ein. Ich surfe von zu Hause statt von einem Internetcafé aus und habe z.B. amazon.de, der NY Times, google.at, standard.at und anderen erlaubt, Cookies zu setzen. D.h. ich muss darauf vertrauen, dass die Mitarbeiter aller dieser Firmen kein Interesse daran haben, meine Surf-Gewohnheiten weiterzugeben und dass auch die Behörden darauf nicht zugreifen wollen. Ansonsten müsste ich mir die Mühe machen, einen Anonymisierungsservice wie z.B. AN.ON oder JAP zu nutzen (was absolut keine technische Herausforderung darstellt, die Installation ist in 10 Minuten erledigt, die Nutzung extrem einfach). Dabei gilt jedoch zu bedenken, dass dieser Service wirklich nur Anoymität herstellt, keine Vertraulichkeit. Bruce Schneier eklärt das hier sehr anschaulich am Beispiel der Anoymen Alkoholiker: TOR und Onion-Routing. Wie leicht solcher Verkehr abgehört werden kann wurde demonstriert, indem jemand systematisch den Verkehr eines der sog. Tor-Endknoten ausgewertet hat. Und es wurde gezeigt, dass sogar SSL-Verbindungen dort routinemäßig abgehört werden. Interessant ist aber auch, wie die Privatsphäre durch Social Networking im Internet freiwillig aufgegeben, bzw. zumindest stark gefährdet wird. Viel mehr dazu an anderer Stelle. Zum Teil wird uns die Anonymität auch genommen ohne dass wir dafür etwas zurück bekommen, z.B. wenn ich eine Zeitung nur dann online lesen kann, wenn ich registriert bin. Wie mein Leben aussehen würde, wenn ich konsequent anonym sein wollte, ist in dieser Satire an anderer Stelle der Website beschrieben. Wie schwierig anonymes Auftreten im Internet ist, zeige ich im Artikel zu Data Mining und De-Anonymisierung.
|
||||||||
Was bedeutet Verlust an Privatsphäre für den Einzelnen und für die Gesellschaft?
These 0: Ein Verlust an Privatsphäre gefährdet Innovation auf allen Gebieten (Kunst, Wissenschaft, Technik) und damit auch unseren typisch westlichen individuellen LebensstilEs ist eine Tatsache, dass Außenseiter, Querdenker und andere Unbequeme in allen Gesellschaften schief angesehen werden. Wer sich nicht an die "herrschende Moral" anpasst, wird schnell diskriminiert. Wir gehen davon aus, dass es für den Einzelnen einen Verlust an Handlungsmöglichkeiten bedeutet, wenn alles was er oder sie tut, möglicherweise anderen bekannt wird. Das bedeutet, dass er/sie vermutlich manche der möglichen Handlungen vermeiden wird, sich einengen, einschränken wird. Wenn ich z.B. vermute, dass die Kenntnis meiner Religionszugehörigkeit negative Konsequenzen auslösen könnte (z.B. am Arbeitsplatz), so werde ich mir evtl. verkneifen, diese Religion offen zu leben (ich werde z.B. auf eine äußere Demonstration durch Fasten oder durch das Tragen von sichtbaren Zeichen wie Kreuz oder Kopftuch verzichten). Das heißt, ich erlebe einen Verlust meiner Freiheit, meiner Verwirklichungsmöglichkeiten als Individuum. Ich spüre dann einen Druck, mein Verhalten mehr nach der Mehrheit der Bevölkerung auszurichten. Ich passe mich mehr an die "herrschende Moral" an, ich werde "Mainstream". (An anderer Stelle dieser Website wird dieser Druck zur Anpassung und sein Gegenstück, das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit ausführlicher diskutiert. Dabei werden Fälle behandelt, wo der Betroffene sich nicht verstecken will, sondern das Recht haben möchte, seine Persönlichkeit in der Öffentlichkeit zu entfalten, z.B. seine sexualle Veranlagung nicht zu verstecken, sondern in einer öffentlichen Hochzeitszeremonie auszuleben. Auch dieser Wunsch ist natürlich absolut berechtigt.) Wenn man aber seine Eigenheiten lieber nicht in der Öffentlichkeit ausleben möchte, so bedeutet ein Verlust an Privatsphäre eine Eingeschränkung seiner Selbstverwirklichungsmöglichkeiten. In unserem modernen westlichen Lebensstil, wo heute jeder versucht, sich als Individuum nach seinen Wünschen und Vorstellungen zu verwirklichen spielt zumindest die Möglichkeit, etwas im Verborgenen tun können, eine wichtige Rolle. Niemand möchte als gläserner Mensch durch die Welt gehen, von dem jeder alles weiß. Eine weitere Erosion der Möglichkeiten zu Anonymität und damit Privatsphäre wird ziemlich sicher Auswirkungen auf die Gesellschaft haben, wie wir sie im Westen seit dem späten Mittelalter kennen und leben. Die Autoren dieses Textes gehen davon aus, dass Innovationen ganz oft von Querdenkern eingeleitet werden, von Menschen, die verschrobene Ideen haben und sich nicht an den Stil der Mehrheit anpassen wollen. Dies betrifft die Musik oder die bildende Kunst (neue Stilrichtungen, neue Kunsttechniken) genauso wie Wissenschaft und Technik. Wer weiß, ob Giordano Bruno und Galileo Galilei je ihre Thesen veröffentlicht hätten, wenn die Behörden sofort erkannt hätten, dass hier jemand quer denkt und den herrschenden Ideologien gefährlich werden könnte. Das Entwickeln von neuen Ideen braucht ganz oft etwas Heimlichkeit. Ein Querdenker muss sich zurückziehen können, muss seine Ideen entwickeln können, ohne dass ihm/ihr ständig gesagt wird "so macht man das aber nicht, so geht das aber nicht!". Das gleiche gilt, wenn ich damit rechnen muss, dass alles was ich im Internet recherchiere oder lese getrackt wird und gesammelt (sei es durch Like- oder Google+-Button oder durch die allgegegenwärtigen Werbekonzerne wie DoubleClick oder Alexa). Mehr dazu findet sich in einem sehr guten Artikel "The Perils of Social Reading" (PDF) der gut darlegt, warum "frictionless sharing" wie von Mark Zuckerberg gefordert (alles was wir tun ist per Default mit anderen geteilt) weder reibunglos ist (es erfordert nämlich zusätzliche Arbeit das Sharen in den Fällen zu verhindern in denen wir es nicht für gut halten) und auch kein wirkliches "teilhaben lassen" (im Sinne einer bewussten Empfehlung statt der Datenflut die auflistet welche Artikel andere gelesen haben - so wie das einige Zeitungs-App heute schon als Grundeinstellung tun). Wenn wir nicht aufpassen, dann wird irgendwann die Möglichkeit des Nicht-Sharens nämlich nicht mehr angeboten, dann gibt es nur noch die Möglichkeit, den ganzen Service nicht zu nutzen (was evtl. genauso wenig klappt wie wenn jemand sagen würde, ich möchte ganz normal sozial integriert sein, aber mit dem Internet möchte ich nichts zu tun haben). Wenn alles was ich je gesagt oder getan habe, bis an mein Lebensende gegen mich verwendet werden kann, so hat das erhebliche Auswirkungen auf das Klima einer Gesellschaft ("chilling effect", sagt die englische Literatur dazu). Es entsteht ein Klima, wie wir es aus Berichten von Diktaturen kennen. Daniel J. Solove verwendet als literarisches Beispiel hierfür nicht das oft verwendet "1984" von George Orwell, sondern "Der Prozess" von Franz Kafka. Er bezieht sich auf das alptraumhaftes Labyrinth einer surrealen Bürokratie mit unklaren Anschuldigungen, gegen die man sich nicht verteidigen kann, weil sie nie wirklich dargelegt werden. Ähnliche Erlebnisse berichten Mitbürger, die sich gegen falsche Kredit-Ratings (Bonitätsauskünfte) wehren wollen.
Für Österreich gibt es jetzt (Ende 2008) ein positives OLG Urteil zum Thema Datenschutz und Bonitätsdaten. Wer in Österreich Bonitätsdaten erhebt, speichert und weitergibt, muss diese Informationen auf Wunsch des Betroffenen innerhalb acht Wochen löschen. Eine Begründung ist für dieses in Paragraph 28 Absatz 2 Datenschutzgesetz 2000 vorgesehene Widerspruchsrecht nicht erforderlich. Außerdem müssen Bonitätsdaten aktuell gehalten werden.
Zu bedenken ist, dass dieses Ausleben der Individualität in der Menschheitsgeschichte eine recht neue Idee ist, die erst seit der Aufklärung hier in Europa zu einem so hohen Stellenwert gekommen ist. Vorher und auch heute in anderen Teilen der Welt, z.B. Asien, gab es entweder recht wenig Privatsphäre (Leben in Horden, kleinen Dörfern, mit 3 Generationen in einem Haus) oder der Verlust wäre nicht so drastisch wie heute empfunden worden. Anderseits gab es früher notfalls die Möglichkeit, das Dorf zu verlassen (was viele Außenseiter getan haben). Diese Flucht aus der Überwachung ist heute kaum noch möglich, alles was im Internet oder in Behördenakten über uns zu finden ist, wird uns immer verfolgen (auch unbedachte Äußerungen in einem Blog, verfasst in jugendlichem Alter). Weitere ausführliche Gedanken, wie Überwachung sich auf die Gesellschaft auswirkt, finden sich in der Wikipedia. Das Thema berührt auch den Schutz der Intimsphäre, der nicht unbedingt nur im Bereich der Sexualität relevant sein muss, sondern alles betreffen kann, was jemand vor anderen Menschen verbergen möchte. Jeder Mensch hat irgendwo eine Intimsphäre, einen Bereich, der nur ihm selbst gehören darf und der für das geistig seelische Wohlbefinden und auch für die Möglichkeit zu innovativem Denken wichtig ist.
|
||||||||
These 1:Die Privatsphäre wie wir sie traditionell kennen, nämlich die Tatsache, dass es vieles gibt, von dem niemand anderer etwas weiß, geht unwiederbringlich und unaufhaltsam verloren. Schnüffel- und Observierungstechnologien die zur Verfügung stehen, werden auch genutzt, wir bekommen den Teufel nicht wieder in die Flasche zurück, auch wenn wir das noch so gern hättenScott Mc Neal, Chef der Computerfirma Sun Microsystems: "You have zero privacy. Get over it." Privatsphäre hat für die Autoren 4 große Aspekte:
Beispiele, wie diese einzelnen Aspekte laufend mehr bedroht werden, findet sich in einem separaten Text: Der laufende Verlust der Privatsphäre. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass es nicht nur um eine einzelne Datenbank geht, sondern dass (speziell in den USA, aber immer öfter auch bei uns) die Verknüpfung der Daten eine neue Qualität des transparenten Bürgers darstellt. Und das die Existenz von Datensammlungen, sie es bei Internetprovidern, Telefonanbietern oder bei Google, Begehrlichkeiten auf diese Daten weckt. Die Geschichte zeigt, dass bei entsprechendem Anlass schnell Gesetze geschaffen werden, die erweiterte Zugriffe ermöglichen. Mehr dazu unter Private Datenbanken. Das britische "House of Lords Commitee" ist in einer Studie zum Schluss gekommen, dass die fortschreitende Überwachung und Sammlung von persönlichen Daten in den Großbritannien die Demokratie gefährdet und sie warnen vor einem Überwachungsstaat. Hier ihre umfangreiche Studie mit der sie das belegen: Surveillance: Citizens and the State (pdf). Ebenfalls aus Großbritannien kommt ein Bericht des "Information Commissioner's Office" (ICO) der besagt, dass dort persönliche Daten in nie gekanntem Ausmaß "verloren gehen" (data breaches). Ein drastisches Beispiel für die Bespitzelung von Bürgern durch einen Staat zeigt diese Auflistung der Daten über einen US-Bürger. Gegenargument: "Öffentlich verfügbar" hat graduelle AbstufungenDie Behauptung, dass eh schon so viel in der Öffentlichkeit ist dass es jetzt auch nicht mehr drauf ankommt enthält einen drastischen Denkfehler. Es gibt sehr wohl einen Unterschied zwischen "Daten, die irgendwo öffentlich sind" und "Daten, die aktiv verteilt werden". Das heißt, "öffentlich publizierte Daten" ist kein Entweder-Oder, sondern ein graduelles Problem. Ein gutes Beispiel sind die Status-Updates in Social Networks. Fast alle diese Netzwerke haben heute einen solchen automatisierten Benachrichtigungsdienst. D.h. jede Änderung in einem persönlichen Profile wird sofort allen Kontakten mitgeteilt. Diese Feature kann zwar zumeist auch deaktiviert werden, aber fast überall wurde es "heimlich" eingeführt und erst danach konnten die Benutzer das wieder abschalten. In der Praxis macht es durchaus einen Unterschied, ob nur diejenigen von meinen "Friends" die aktiv auf meine Page schauen von einer Status-Änderung wissen, oder ob alle meine Kontakte eine Minute später automatisch darüber informiert werden dass ich z.B. meinen Beziehungsstatus von "in Beziehung" auf "Single" geändert hatte (und dann nach einer Versöhnung 2 Tage später wieder zurück). Ein konkretes Beispiel: Ich poste in einem öffentlichen Forum meines Social Networks eine Frage. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass ich diese allen meinen Kontakten auf die Nase binden will (zum Beispiel, weil das Forum es automatisch auf meine Pinwand bringt und der Benachrichtungsdienst dies wiederum an alle meine Kontakte meldet. Ohne diese Meldung würde es nur diejenigen sehen, die aktiv in dieses Forum gehen. Noch ein Faktor der graduellen Verfügbarkeit von veröffentlichten Informationen: Wenn etwas in der Zeitung gedruckt wurde, so war es "öffentlich verfügbar". Jedoch war diese Verfügbarkeit sehr eingeschränkt. Im Gegensatz zu den meisten heutigen öffentlichen Informationen war es
Im Internet sind diese 3 Begrenzungen der Öffentlichkeit nicht so leicht einzubauen. Aber es ist durchaus möglich:
Was Menschen wirklich suchen ist "Kontrolle" über ihre DatenDies führt zu einer möglichen neuen Definition von Privatsphäre: Privatsphäre zu besitzen wäre dann nicht primär ob von mir nur wenige Daten öffentlich einsehbar sind, sondern das Ausmaß der Kontrollmöglichkeiten über die von mir in der Öffentlichkeit verfügbaren Daten. Der Trend geht ganz stark dahin, dass es zumindest für junge und sozial aktive Menschen sehr schwer sein wird, ohne Internet-Präsenz auszukommen. Ob ich aber weiterhin eine Privatsphäre besitze und schützen kann liegt dann in den Kontrollmöglichkeiten über diese Präsenz. Wer darf was von mir sehen und auch zu welchem Zeitpunkt. Ein paar gute Beispiele wo Benutzer von Social Networking sich diese Kontrolle zurückholen versuchen finden sich auf meiner Seite zu Privatsphäre im Social Networking. Dieser Aspekt spiegelt sich auch in dem ständigen Bemühen der Betreiber, dem Benutzer Kontrollmöglichkeiten weg zu nehmen (unter dem Vorwand, dass es eh zu kompliziert für den Anwender sei und dass er/sie vor sich selbst geschützt werden müsste). Ein gutes Beispiel für den vermeintlichen Schutz der Anwender vor sich selbst ist das Erschweren des Ausstiegs aus Social Networks Platformen, gut demonstriert am Beispiel Facebook: Facebook: Konto löschen schwer gemacht.
|
||||||||
Zurück nach oben
Mit welchen Reaktionen reagieren die Menschen auf diesen Verlust an Privatsphäre, d.h. dem Verlust an Handlungsmöglichkeiten? Wie versuchen sie sich gegen diese Verunsicherung zu schützen?Wir sind auf eine ganze Reihe möglicher Reaktionen gekommen:
Eine sehr schöne literarische Darstellung wie sich ein Weiterschreiten der Überwachungen auswirken könnte, findet sich in dem empfehlenswerten Buch Ausgespäht und abgespeichert von Simon & Simon:
|
||||||||
Zurück nach oben
These 2:Viele Menschen legen zwar verbal Wert auf die Wahrung ihrer Privatsphäre, aber viele Menschen lassen sich diese auch abkaufen, z.B. im Austausch gegen Bequemlichkeit oder leichtem finanziellen Vorteil, z.B. durch Nutzung einer Kundenkarte beim Einkauf.Eine internationale Studie hat untersucht, wie viel den Leuten der Schutz ihrer Privatsphäre wert ist (englisch, 450K). Die Untersuchung, bei der Studenten gefragt wurden, für welche Bequemlichkeit (Zeitersparnis) oder welche Geldsumme sie persönliche Daten hergeben würden. Dabei kamen die Forscher zum Schluss, dass die Bevölkerung in dieser Hinsicht in 3 Gruppen zerfällt: Die Mehrheit (in den USA 72% und in Singapur 84%) lassen sich die Vertraulichkeit ihrer Daten nur schwer abkaufen ("privacy guardians"). 20% der US-Teilnehmer und 8% der Singapur Teilnehmer wurden als "information seller" eingestuft. Wenn man ihnen genügend bietet, haben sie keinerlei Probleme mit der Datenfreigabe. 7% der Teilnehmer aus beiden Ländern "verkauft" ihre Daten eher gegen Bequemlichkeit, z.B. dass der zukünftige Zugriff auf die Website oder der nächste Einkauf schneller abläuft. Eine ähnliche Studie zeigt Asymetrien zwischen dem Wunsch nach Privatsphäre und der recht hohen Bereitschaft, private Daten auch gegen sehr geringe Belohnungen preis zu geben. Dies ist in der Studie gekoppelt mit einer recht naiven Einschätzung dessen, was vermutlich mit den persönlichen Daten passieren wird.
Aktualisierung März 2012: Viele Menschen sind auch in Österreich bereit, mit der Bankomatkarte im Supermarkt zu zahlen. Das bedeutet, dass die Einkäufe der jeweiligen Person zugeordnet werden können. Die gleiche Funktion haben auch all die vielen Kundenkarten, die in vielen Geschäften angeboten werden. Gegen gewisse Vorteile (Rabatt) liefert der Kunde eine Statistik seiner Einkäufe ab und erlaubt meist auch gleich noch, dass ihm auf sein Verhalten zugeschnittene Informationen zugesendet werden. In 2010 wird dann in Deutschland sehr schön gezeigt, wie die Informationen auf den Kundenkarten dann mit den Kontoinformationen zusammengeführt werden können und sehr gut zugeordnete Profile ergeben. (In der NY Times war 2011 ein Artikel zur Frage, was jemand tun kann, der zwar die mit der Kundenkarte verbundenen Rabattvorteile haben, aber seine Daten nicht verkaufen will: eigentlich gar nichts - entweder/oder. The Ethicist - Card Games: "...you accept payment for your data — 25 cents off bananas, or a two-for-one deal on conditioner. If you think your privacy is worth more than that, you are free to pay full price"). An anderer Stelle verwende ich die Entscheidung zur Bezahlung mit Plastikkarte versus Barzahlung als Beispiel, wie solche Entscheidungen zur Reduzierung der eigenen Privatsphäre dann auch Auswirkungen auf die anderen Menschen hat. Dabei geht es um das Thema Externalitäten, d.h. die "Kosten" entstehen nicht (nur) bei dem, der die Handlung setzt. Das nächste Beispiel ist Road Pricing. Dabei wird entweder für jedes Fahrzeug für die Benutzung einer bestimmten Wegstrecke eine Gebühr erhoben (z.B. Italien, Frankreich, USA) oder wie in Ö. und D. nur für die LKWs. Dabei gibt es oft 2 Optionen: In D. und Ö wird die Gebühr immer automatisch erhoben (und ein Bewegungsprofil erstellt) oder, wie in den anderen Ländern, hat der Bürger die Option ein entsprechendes Gerät zu kaufen und durch die automatisierte Durchfahrt zu fahren oder sich anzustellen und bar zu zahlen. Solange die Möglichkeit zur Barzahlung noch besteht, kann man es vermeiden, dass der Betreiber eine genaue Aufzeichnung meiner Bewegungen auf der Straße erhält, aber irgendwann werden die Schlangen an den Bargeldkassen so lang, dass es schon viel Prinzipientreue braucht, um ohne Zorn die anderen Autos durch die automatischen Durchfahrten brausen zu sehen. Ein Bewegungsprofil entsteht auch durch die Nutzung von Diebstahlsicherungen auf GPS-Basis, wie sie jetzt immer öfter angeboten werden (und 2011 zum Teil zur Standardausrüstung gehört). Sehr effizient, wie man hört, aber der Aufenthaltsort des Fahrzeugs ist immer bekannt. Ein starkes Beispiel für die Ungezwungenheit, mit der viele Menschen mit der Privatsphäre umgehen, sind auch die vielen lauten Telefonate in der U-Bahn, bei der viel Privates erfahren werden kann (bzw. muss). Auch dies ist ein Beispiel für diese Abwägung: verschiebe ich das Gespräch auf später und führe es diskret oder nutze ich die Zeit in der U-Bahn und lasse die Mitreisenden teilhaben. Die Grenzen der Privatsphäre haben sich ziemlich weit verschoben, siehe die Big Brother Shows und für den verbalen Bereich die Talk Shows am Nachmittag. D.h. einer Reihe von Menschen ist es egal, ob die ganze Welt in ihre Privatsphäre eindringen kann, bzw. sie genießen es, in der Öffentlichkeit zu stehen und ihre 15 Minuten Rampenlicht zu genießen. März 2005, im Rahmen eines Sicherheitkongresses in England, wurden Theaterbesucher nach persönlichen Informationen gefragt. Köder waren ein Schokoladenosterei und die Möglichkeit, in einem Preisausschreiben etwas zu gewinnen. Hier die Ergebnisse:
Einer der Teilnehmer bekam nachträglich Bedenken und bat darum, seine Informationen zurück haben zu können. ;-) Und die Autoren müssen zugeben, dass sie auch nicht ganz so streng mit ihren persönlichen Daten umgehen. Wir sind beide in Xing eingetragen, einem "Business Network". Das ist letztendlich das gleiche im Business Bereich, was die Websites wie friendster.com, Facebook und MySpace im privaten Bereich tun. (Tipps zur besseren Kontrolle unserer Präsenz auf solchen Websites gibt es unter Social Networks und Privatsphäre). Was man auf Xing sehr gut sehen kann ist die Technik des "taggings". Alles, was eine Person über sich schreibt, ist eine Verknüpfung zu allen anderen Personen, die das gleiche geschrieben haben. Dadurch entsteht ein Netz von Personen, die mit der gleichen Uni zu tun haben, die in der gleichen Firma waren, etc. Amazon.com hielt diese Idee immerhin für so interessant, dass sie die Website 43things.com gekauft haben. Wie schwer es ist, Anonymität zu erzeugen zeigen Untersuchungen, bei denen 87% aller Amerikaner durch die Verknüpfung von Geburtsdatum, Geschlecht und Postleitzahl eindeutig identifiziert waren. Noch ein Aspekt: Es scheint, dass die jüngste Generation kaum Probleme damit hat, weitgehend in der Öffentlichkeit zu leben. Viel mehr Details dazu in meinem Beitrag zu Social Networks und Privatsphäre. Ross Anderson hat auf seiner Website eine sehr interessante Sammlung von Artikeln zu Ökonomie, Privatsphäre und Anonymität (engl.), mit Hintergründen und Untersuchungen über das "Sich-abkaufen-lassen" der Anonymität. Aber auch ohne dass wir Geld oder eine andere Gegenleistung bekommen sind wir oft bereit, intime Informationen preis zu geben. Hier ein Link zu einem interessanten Test zu Vertraulichkeitsbewusstsein.
Aktualisierung August 2010:
|
||||||||
Zurück nach oben
These 3:Der Trend zu immer mehr Verlust an Privatsphäre durch sich weiterentwickelnde Technologien wird sich nicht nur nicht aufhalten lassen. Technologien, die in 10 Jahren zur Verfügung stehen werden, sind heute noch kaum vorstellbarWenn wir uns anschauen, wie viel sich in den letzten Jahrzehnten technologisch verändert hat, so ist es sehr wahrscheinlich, dass noch viel mehr auf uns zukommen wird. Die Miniaturisierung von Kameras und Mikrophonen schreitet immer weiter voran, derzeit ist die Stromversorgung noch das größte Problem, aber wenn dies einmal gelöst sein wird, werden winzigste Kameras und Mikrophone, die drahtlos ihre Informationen über Bluetooth oder ähnliche Technologien weitergeben, für jeden Privatbürger erschwinglich sein. Penny-Cams werden solche Zukunftsprodukte oft genannt, weil sie billig sind und so klein wie eine Münze. Hier einer der vielen Spy Shops im Internet.
Aktualisierung Juni 2011:
|
||||||||
Zurück nach oben
These 4:Die Überwachungstechnologien sind heute so weit verbreitet, dass sie oft auch von Privatleuten eingesetzt werden. Durch diese breite Verfügbarkeit wird jeder potentiell überwacht, das schließt auch die Obrigkeit selbst ein. Andererseits sind sensible Daten in Privathänden oft noch erheblich schlechter zu regulieren, als in staatlichen Händen.Beispiele für letzteres finden sich immer öfter, je mehr sich solche Technologien verbreiten
Ergebnis ist, dass jeder Polizist schon heute damit rechnen muss, dass einer der Zuschauer seiner Amtshandlungen mit einer Handy-Kamera alle seine Aktionen in der Öffentlichkeit dokumentieren wird. Außerdem gibt es schon heute Organisationen, die es sich zum Ziel setzen, durch Technologien die Behörden möglichst vollständig zu überwachen. Eine dieser Organisationen, witness.org, verteilt Kameras in der 3. Welt, um Übergriffe dokumentieren zu können. Die Theorie der Vertreter dieser These ist, dass sich auf diese Weise ein Gleichgewicht einstellen wird, bei dem zwar die Behörden sehr viel über die Bürger wissen, andererseits die Behörden auch sehr stark in der Öffentlichkeit agieren (welcher Beamte kann sicher verhindern, dass in 10 Jahren nicht ein Bürger eine dieser winzigen zukünftigten Penny-Cams in seinem Amtszimmer versteckt und ihn ständig bei der Arbeit beobachtet) Die Autoren glauben jedoch nicht, dass ein wirkliches Gleichgewicht je entstehen wird. Die Mittel der Obrigkeit und von Firmen sind einfach sehr viel stärker als die der Privatleute, obwohl sich bei der Technik immer mehr eine Egalisierung einstellt. Der Polizist muss zwar damit rechnen, dass er bei seinem Agieren in der Öffentlichkeit fotografiert wird, aber eine Rasterfahndung kann ich als Privatmann eben doch nicht veranstalten (zum Glück, denn das könnte ja auch von den Kriminellen missbraucht werden). Bei großen Firmen mit großen Datensammlungen kann dies jedoch durchaus anders sein (eine ganz andere Frage: was passiert mit diesen Datensammlungen bei einem Konkurs? Der Konkursrichter ist nicht mehr an die Versprechen des Unternehmens gebunden). Ein weiterer Gedankengang: Wenn es im 3. Reich bereits Handys gegeben hätte, wären dann die KZs verhindert worden? Ich denke nicht, aber ich glaube andererseits, dass mit einer Datenbank wie die ZMR-Daten in Österreich die Verfolgung der Juden noch viel effizienter durchgeführt worden wäre (obwohl auch damals schon kräftig EDV, in Form von Lochkartenmaschinen, eingesetzt wurde. So hatten viele KZs eine Datenverarbeitungsabteilung (letzter Abschnitt im Link).) Ganz stark wird das Argument der gegenseitigen Kontrolle durch totale Transparenz durch Open Society Paradox vertreten. Der Autor des gleichnamigen Buches behauptet, dass nur totale Offenheit "accountability" erzeugt. "accountability" bedeutet, dass jeder für sein Handeln verantwortlich ist und auch zur Verantwortung gezogen werden kann. Er ist mehr darüber besorgt, dass wir weiterhin die Möglichkeit haben, unseren Lebensstil frei wählen zu können, als dass die anderen wissen, welchen Lebensstil ich führe. - Wir sind jedoch nicht sicher, dass dies wirklich ausreichend sein wird, wenn wir einmal davon ausgehen, dass es immer wieder Tendenzen gibt, die so gewonnenen Informationen auch dazu zu verwenden, dass der Lebensstil eingeschränkt wird, entweder durch direkte Verbote oder über "weichen Zwang". Ein gutes Beispiel für den Einsatz von Kameras zur Kontrolle der Polizei schildert Bruce Schneier: Die Kameras werden automatisch immer aktiv, bevor eine der neuen und umstrittenen Taser Waffen eingesetzt werden kann und dokumentieren damit den Einsatz dieser nicht unumstrittenen Waffen.
Aktualisierung 2011: Mittlerweile hat fast jeder Passant ein Kamera-Handy und kann jederzeit Fotos machen, aber spektakuläre Gegenreaktionen gegen die Omnipräsente Überwachung sind daraus kaum entstanden. Andererseits macht die gegenseitige Überwachung der Bürger große Fortschritte: Private Überwachungskameras sind winzig klein und sehr preisgünstig und sehr bald werden die Smartphones in der Lage sein, die Personen die in der Straße fotografiert wurden auch im Internet zu finden, dank der vielen Fotos auf den Social Networks, die bereits mit Identitäten verknüpft sind. Mehr dazu unter Face Recognition - Gesichtserkennung.
|
||||||||
Zurück nach oben
Versuche, die Anonymität im Internet wieder herzustellenDie NY Times hatte im Jan. 2006 einen Artikel über die Versuche, die Anonymität auch im Internet wiederherzustellen. Das Hauptwerkzeug sind dabei sog. Proxy-Server. Das sind Rechner, in die sich der Internet-Surfer verbindet und die dann für ihn eine neue Verbindung zu seinem eigentlichen Ziel herstellen. Aber auch dadurch wird nur eine teilweise Anonymität erreicht, eine Protokollierung der dabei stattfindenden Umsetzung würde die Identität aller Teilnehmer wieder herstellen. Solche Proxy Server stehen, z.B. zum Schutz von chinesischen Internet-Postern, auch öffentlich zur Verfügung: "Elsewhere on the Web, the Electronic Frontier Foundation (www.eff.org) helps maintain Tor, a communications network that helps make Internet communications anonymous, and it appears to be accessible from within China. Peacefire.org offers a program called The Circumventor that lets anyone turn a Windows-based machine into a proxy, allowing others to use it to circumvent local Internet restrictions.
Ein weiterer NY Times Artikel am 28. Jan. berichtet über Aktivitäten und Tipps, um in den Suchmaschinen möglichst wenig Spuren zu hinterlassen (siehe dazu auch meine Notizen). Sie berichten, dass die Zeitschrift Wired und searchenginewatch.com Tipps zum Thema Privatsphäre und Suchen-im-Web geben. Zur Problematik der Nutzung von Anonymisierungsservices siehe weiter oben und an anderer Stelle viel mehr über unsere Spuren im Internet, mit oder ohne Anonymisierer.
Aktualisierung 2011:
|
||||||||
Zurück nach oben
These 5:Die Menschen werden lernen (müssen), in der immer stärkeren Transparenz zu leben - die Post-Privacy BewegungSeit der Steinzeit bis vor ganz kurzer Zeit lebten die Menschen in übersichtlichen Horden oder Dörfern. Jeder wusste jedes über jeden anderen. Dies wurde akzeptiert und die Menschen haben gelernt, damit umzugehen. Eine der Lösungen ist eine erhöhte Toleranz, so dass das private Verhalten nicht mehr zum Skandal wird. Wenn die Homosexualität eines Politikers keinen Skandal erzeugt, so ergibt sich kein Interesse, diese Tatsache „aufzudecken“. So haben sich in Europa derzeit eine ganze Reihe von Spitzenpolitikern als homosexuell geoutet, ohne dass dies ihrer Popularität Abbruch tat. Der bundesdeutsche FDP Vorsitzende Guido Westerwelle, der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit, der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust sind Beispiele deutscher Politiker, denen ihre öffentlich gelebte Homosexualität nicht in der Popularität geschadet hat. Das bedeutet aber nicht, dass nicht in anderen Zusammenhängen das Bekanntwerden der gleichen sexuellen Neigung zu einem Problem werden kann, z.B. wenn der jeweilige Arbeitgeber, aus welchen Gründen auch immer, dies nicht toleriert. D.h. es hängt von den Umständen, z.B. von meinem Beruf ab, ob ich für meine sexuellen Neigungen den Schutz der Privatsphäre benötige oder nicht.
Aktualisierung Herbst 2011:
Und an dieser Notwendigkeit hat sich leider nichts geändert. Die Tyrannei der Mehrheit ist aber nicht der einzige Grund, es sind auch die "Störungen" von Einzelnen, z.B. gestörte "Verehrer" die zum Stalker werden, die abgewiesenen Liebhaber mit der Einstellung "wenn ich sie nicht haben kann, dann soll sie keiner haben" und alle, die Gewalt in der Ehe irgendwie entkommen sind. Die sind über die riesige Datenbank die das Internet mit Social Networking und Diskussions- und Selbsthilfeforen heute darstellt sofort aufzufinden wenn sie z.B. gezwungen werden (wie Facebook und Google+ das versucht), mit ihrem "richtigen Namen" aufzutreten. Der Autor schildert sehr viele Beispiele wo das Aufdecken eines Pseudonyms bis zum Tod des Opfers geführt hat. Auch die jetzt überall eingeführte Gesichtserkennung kann zur Entdeckung führen (z.B. durch "getaggt werden" durch andere).
Hier ein Hintergrundartikel zu Thesen 3 bis 5: Davin Brin in Salon.com Ergänzung Jan.2007:
Dezember 2008: Die Sozialforschungsfirma "Pew Internet & American Life Project" hat 1000 Internet-Kenner gefragt, wie das Internet und die Welt in 2020 wohl aussehen werden: Future of the Internet III (pdf). Eine der Fragen betraf dabei das Thema, wie die Menschheit in der Zukunft mit der fast vollständigen Transparenz ihres Lebens umgehen werden. Dabei waren die Antworten ziemlich genau halbiert zwischen den Optimisten, die glauben, diese Transparenz führt zu Toleranz und Verständnis und den Pessimisten. Hier einer der Optimisten:
Und jetzt 2 Pessimisten:
Ich persönlich tendiere zu den Pessimisten bei diesem Thema.
Ergänzung Dez. 2008:
Aktualisierung August 2010:
Sie analysieren dann weiter:
Die Post-Privacy Bewegung
Aktualisierung Dez. 2011: Hier ein Zitat einer anderen Vertreterin der Bewegung mit ihrer gesellschaftlichen Vision:
Das ist eine naive Einstellung. Wir behaupten, dass es viele Gründe gibt, warum ich nicht möchte, dass jemand (oder eine Firman oder der Staat) etwas über mich weiß. Dafür führen wir folgende Punkte auf, warum ich etwas vor gewissen Personen oder Personengruppen geheim halten möchte:
Besonders schützenswerte Themenbereiche sind u.a.:
Noch ein wichtiger Aspekt: Viele Menschen sind, was Auftritte in der Öffentlichkeit betrifft, in einer privilegierten Situation, andere wiederum müssen sich aus guten Gründen bei Auftritten in der (Internet-) Öffentlichkeit sehr einschränken. Wer z.B. als Lehrer arbeitet wird sich evtl. überleben, ob die Eltern der Schüler ihr Profil auf einer Dating-Website sehen dürfen, speziell wenn der/die betreffende nicht nach hetero-sexuellen Partnern sucht. Wer ohne Aufenthaltsberechtigung in einem fremden Land lebt, der kann kann sich das Privileg, offen aufzutreten ohne Schaden zu nehmen gar nicht leisten. Auch in vielen Berufen ist man sehr eingeschränkt was die Möglichkeiten zum "Leben in der Öffentlichkeit" betrifft. Hier ein ganz drastisches Beispiel das zeigt, wie wichtig der Schutz der Privatsphäre, in diesem Fall im Internet, sein kann. Eine Mutter mit Tochter schafft es, sich aus einer Missbrauchsbeziehung zu befreien, der Täter muss ins Gefängnis, kommt aber nach Absitzen der Strafe wieder frei. Die Mutter hat Angst dass der Täter sie findet, sie zieht in eine weit entfernte Gegend. Die Tochter im Teenager-Alter möchte wie ihre Freundinnen eine Seite in einem Social Network. Gemeinsam werden die Privatsphäre-Einstellungen sehr eng gewählt. Dann ändert Facebook Ende 2009 die Grundeinstellungen auf "alles Public". Die beiden hätten die Möglichkeit gehabt, die Privatsphäre-Einstellungen wieder zu erhöhen, wenn sie gewusst hätten, was da passiert war. (Dies Beispiel ist übrigens aus dem sehr lesenwerten Artikel von Danah Boyd "Making Sense of Privacy and Publicity".) Andererseits kann es sehr wohl ein begründbares Interesse der Gesellschaft (z.B. in der Form des Arbeitgebers) geben, Informationen über solche, an sich privaten, Themenbereiche zu haben. Andererseits kann es (nicht nur für das Unternehmen sehr problematisch sein, wenn ein Alkoholabhängiger allein Nachtdienst hat und dann evtl. nicht in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen (und damit evtl. sogar andere gefährdet - das ist keine theoretisches Beispiel). Auch andere Risiken können sich aus solchen "Privat-Problemen" ergeben: ein Spielsüchtiger, der ständig in akuter Geldnot schwebt und in der Buchhaltung in Versuchung geführt werden könnte oder jemand, der aufgrund privater Schwächen erpressbar ist und als Systemadministrator Zugang zu allen Firmengeheimnissen hat. Deswegen gibt es für Arbeitgeber ja auch die Möglichkeit, vor dem Einstellen eines neuen Mitarbeiters ein Führungszeugnis oder eine Kreditauskunft zu verlangen (und damit die Privatsphäre des Kandidaten oder Mitarbeiters zu verletzen). Dies sollte aber unserer Meinung nach nur dann geschehen, wenn wirklich in der jeweiligen Position ein Risiko bestehen würde. Auf jeden Fall verbleibt für das Unternehmen ein Restrisiko, das nicht beseitigt werden kann, denn viele potentielle Probleme aus dem Privatleben erscheinen ja in einem Führungszeugnis erst nach der Verurteilung und sie verschwinden dann später wieder nach Ablauf der Verjährungsfrist. Gesetzliche Regelungen für Privatsphäre und Vertraulichkeit in bestimmten Bereichen gibt es übrigens schon recht lange. Seit 1215 ist mit einem Konzilsbeschluss das Beichtgeheimnis geregelt, auch das Briefgeheimnis und die ärztliche Schweigepflicht haben eine längere Tradition. Warum "Nichts zu verbergen" ein Scheinargument ist, erklärt auch der US-Jurist Daniel J.Solove I’ve Got Nothing to Hide« and Other Misunderstandings of Privacy. An anderer Stelle mehr zu diesem Artikel und zum Thema Umgang mit den vielen vertraulichen Informationen im Social Networking.
|
||||||||
Zurück nach oben
Unterschiedliche Sichtweisen zum ThemaAktualisierung August 2008 Der Science Fiction Autor Cory Doctorow - From Myspace to Homeland Security: Privacy and the Totalitarian Urge, der viele Aspekte und den Kern des folgenden Textes in einem fast 1-stündigen Vortrag darstellt (englisch, 57 MB). Seine Aussage zusammengefasst ist:
Zu gegenteiligen Schlüssen kommt ein Artikel im New York Magazine - Kids, the Internet and the End of Privacy. Die Autorin argumentiert, dass evtl. die Kinder und Jugendlichen bereits einen Weg gefunden haben, mit der vollkommenen Transparenz ihres Lebens umzugehen und dies als Tatsache zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Die Online-Welt mit ihrer Transparenz ist ein integraler Bestandteil ihrer realen Welt, die Kontakte, die dort entstehen, bringen ihnen (auch) viele Vorteile und in der Zukunft könnte es sein, dass es egal ist, ob man als Jugendlicher mal einen ziemlichen Blödsinn gemacht hat (sie verweist auf Paris Hilton mit ihren Sex Tapes, die für sie nicht das Ende, sondern der Anfang ihrer Karriere waren):
Andere Erklärungen für das oft paradoxe Verhalten der Menschen wenn es um Privatsphäre geht bietet die Psychologie und Ökonomie des menschlichen Verhaltens. Hier einige Thesen und Forschungen von George Loewenstein in seiner Präsentation Searching for Privacy in all the Wrong Places (ppt). Der erste Ansatz ist der Endowment Effect. Dabei geht es darum, dass ich den Wert von etwas höher einschätze wenn ich es bereits habe, als wenn ich es erst erwerben möchte. In Versuchen werden Teilnehmern nach einer Zufallsauswahl Objekte geschenkt, dann kommt ein Angebot, dies umzutauschen, z.B. eine Tasse gegen einen Kugelschreiber. Die allermeisten schätzen den Wert dessen, was sie zufällig bekommen haben höher als das wogegen sie eintauschen könnten. Auf die Privatsphäre übertragen: Menschen hassen es, die Privatsphäre zu verlieren (sofern ihnen dieser Besitz überhaupt bewusst ist). Aber wenn sie erst mal verloren ist, passen wir uns schnell an und das Wiedererlangen (in der alten oder einer anderen Form) wird nicht als so wertvoll gesehen, dass sich ein Aufwand wie die Installation einer neuen Software (Anonymisierung) oder die Nutzung stärkerer Passworte, von Smartcard, u.ä. lohnen würde. Zur Anpassung wird als Beleg angeführt, dass Jugendliche, die Gliedmaßen verloren haben nach einer Anpassungszeit subjektiv die gleiche Lebensqualität bzw. Glück berichten, wie andere Jugendliche. Der zweite Theorieansatz nennt sich Hyperbolic Time Discounting. Dabei geht es darum, dass jeder Vorteil heute viel schwerer wiegt als ein erwarteter Vorteil in der Zukunft. Die Vorteile, die "heiße" Fotos auf Facebook heute versprechen wiegen schwerer als mögliche Nachteile bei einer späteren Bewerbung für einen Job, wo diese Fotos dann auch vorliegen werden. Hier mehr zu Privatsphäre und Social Networking. Ebenfalls relevant sind die paradoxen Effekte, die ein Hinweis auf Vertraulichkeit hat, berichtet an anderer Stelle. Und hier viele weitere Literaturstellen zu Privacy, Security and Human Behaviour.
|
||||||||
Zurück nach oben
These 7:Es bleibt wichtig, sich zu wehrenNatürlich muss man das alles nicht einfach so hinnehmen. Es gibt Möglichkeiten zur Gegenwehr auf verschiedenen Ebenen. Da ist zum einen die weiter oben erwähnte Möglichkeit zur Nutzung von Anonymisierern. Viele wehren sich, indem sie bewusst Datenschrott erzeugen, wenn sie wieder mal gezwungen werden, sich unter der Angabe vieler Detailinformationen irgendwo zu registrieren, um sich ein PDF runterzuladen oder Zugang zu einer Online-Zeitschrift zu bekommen. Aber es gibt auch die politische Ebene. Da hatten oder hätten z.B. viele Organisationen (z.B. Standesorganisationen) die Möglichkeit, gegen die Implementierung der Vorratsdatenspeicherung ihre Bedenken vorzubringen (Aushöhlung von bisher verbrieften Schutzrechten, z.B. für Ärzte, Therapeuten, Journalisten, Rechtsanwälte, Seelsorger). Dann gibt es noch den Aspekt, dass man nicht bei jeder Aktion mitmachen muss, bei der man Daten über sich gegen Geld oder Bequemlichkeit verkauft, z.B. durch die Nutzung einer Kundenkarte oder Treuekarte im Supermarkt, wenn der Supermarkt (unnötigerweise) darauf besteht, den korrekten Namen und Anschrift zu bekommen und nicht nur ein viel sinnvolleres Pseudonym. Mehr zur Nutzung von Pseudonymen unter dem Stichwort Anonymität. Dort wird auch diskutiert, was es an technischen Möglichkeiten und gesellschaftlichen Bestrebungen heute gibt, den Menschen die Kontrolle über ihre Daten zurückzugeben. Solche Bestrebungen sind auf jeden Fall sinnvoll und zu unterstützen.
|
||||||||
Zurück nach oben
Resumé und theoretische AnsätzeDer Schutz der Privatsphäre ist eine sehr ambivalente Angelegenheit. Soziale Kontrolle schränkt die persönlichen Freiheiten ein, kann aber auch dazu dienen, schädliches Verhalten zu verhindern oder einzuschränken. Die Balance dazwischen ist nicht einfach. Die technologischen Möglichkeiten schränken, ob wir wollen oder nicht, die Privatsphäre immer mehr ein. Dies wird auf die Dauer nur sehr schwer aufzuhalten sein. Die Gesellschaft muss sich dieser Tatsache stellen und darum kämpfen, genügend Freiräume zur Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen zu erhalten. In einem recht interessanten Papier Cost of Privacy Breaches (pdf) werden auf Seite 3 einige in der akademischen Welt (in den USA) verwendete Definitionen für den Verlust von Privacy erwähnt: es geht dabei hauptsächlich um die Preisgabe von Informationen, wenn wir in ein Verhältnis zu einem Unternehmen oder einer Behörde treten und um die Verletzung unserer Erwartungen, die wir vom Umgang des Datenempfängers mit "unseren" Daten haben. Diese Verletzung kann durch Sicherheitsprobleme entstehen (durch interne oder externe Angreifer), durch Schlamperei oder auch durch bewusste Geschäftsentscheidung (z.B. die Informationen zu Geld zu machen). Darüber hinaus kann die Privatsphäre aber auch verletzt werden, ohne dass ich in ein Verhältnis mit einem anderen trete, z.B. durch eine Überwachung. Dazu bringe ich an anderer Stelle viele Beispiele. Das Papier Privacy's Other Path (pdf, englisch) erläutert die unterschiedlichen rechtsphilosophischen Ansätze, die sich beim Thema Privatsphäre in den USA und England ergeben haben. In den USA wurde die Entwicklung geprägt durch sehr einflussreiche Schriften von Samuel Warren und Louis Brandeis 1890, die auf die Entwicklung der Kompaktkamera und einer Presse, die an nun möglichen Schnappschüssen von Prominenten sehr interessiert war. Hier wurde die Privatsphäre definiert als das "Recht, allein gelassen zu werden", d.h. ein Recht des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft. Dieses "allein gelassen zu werden" bezog sich bis dahin hauptsächlich auf Zugriffe durch die Regierung (siehe 4th Ammendment zur Verfassung, Schutz gegen Durchsuchung der Wohnung und Beschlagnahme) und beruhte vermutlich auch darauf, dass viele der US-Bürger mit den europäischen Regierungen ihrer Heimatländer schlechte Erfahrungen gemacht hatten. In England dagegen gab es eine Tradition der Vertraulichkeit in Beziehungen (z.B. zwischen dem Adel und Bürgertum und ihren Bediensteten, bzw. Arzt und Patient, etc.), von denen Verschwiegenheit erwartet wurde. Dies diente vor allem sehr erfolgreich dem Schutz vor Erpressung durch die Bediensteten (im Gegensatz zur Verleumdung geht es bei der Erpressung durch einen Schaden durch die Veröffentlichung wahrer Informationen). Dieser Ansatz in England betrifft zwar auch die Privatsphäre, hat aber zur Problematik, dass ein Fremder ein Photo aufnimmt, nicht viel zu sagen. In den USA gibt es bis heute noch rechtsphilosophische Probleme bei der Vertraulichkeit. Ein Veröffentlichungsverbot zu begründen fällt schwer, wenn die Tatsache selbst nicht geheim ist. Es fehlt das Konzept der "informationellen Sebstbestimmung" und der Zweckbindung von Informationen. Die Tatsache, dass jemand im Supermarkt einkaufen war und was dabei alles im Einkaufskorb war, ist kein Geheimnis. Unser Datenschutzgesetz grenzt aber trotzdem die Nutzung dieser Daten und die Weitergabe eng ein. In den USA werden diese Daten als öffentlich betrachtet und da sie normalerweise nicht sensibel sind, ist ein Weiterverkauf kaum einzuschränken. Zum anderen gibt es in den USA auch immer wieder einen starken Konflikt mit dem 1st Ammendment, das dem Recht auf freie Meinungsäußerung einen sehr hohen Stellenwert einräumt. Als vertraulich geschützt sind in den USA nur speziell im Gesetz definierte Ausnahmefälle, z.B. das Gesundheitswesen im HIPPA-Gesetz oder bei den Banken. In das englische Recht ist eine Erweiterung des Privatsphärebegriffs über die Vertraulichkeit hinaus erst 1998 durch die European Convention on Human Rights gekommen, in der "respect for his private and family life, his home and correspondence" festgeschrieben sind. Erst danach hat es in England Prozesse gegeben, wo sich (vor allem) Prominente gegen die Veröffentlichung privater Fotos gewehrt haben. In dem Papier Privacy as Contextual Integrity (pdf, englisch) entwickelt die Autorin ein Konzept, in dem sie 5 Ziele des Schutzes von Privatsphäre postuliert.
Das heißt, die Autorin sieht unterschiedlichen Funktionen und Rollen der Privatsphäre. Das Ausmaß, wie diese sich gegenüber anderen Rechten, wie z.B. der freien Meinungsäußerung, der Pressefreiheit, dem Recht auf Entfaltung von Geschäftstätigkeiten, etc. abgrenzt, soll ihrer Meinung nach davon abhängen, was für Erwartungen ein Bürger sinnvollerweise an den Schutz der Privatsphäre hat. Dadurch ist automatisch gegeben, dass sich diese Abgrenzung im Laufe der Zeit ständig weiter entwickeln wird.
|
||||||||
Zurück nach oben
Verwandte ThemenEine Glosse zum Verlust an Privatsphäre Interessant ist auch, wie die Privatsphäre durch Social Networking im Internet freiwillig aufgegeben, bzw. zumindest stark gefährdet wird. Mehr dazu auf meiner anderen Website. ![]() Und hier noch ein Gedankenexperiment zum Thema Privatsphäre. Ein sehr interessanter Artikel aus dem Bereich der Soziologie zu Hintergründen von Überwachung und Kontrolle in der Arbeitsumgebung. Hier die englische Version Post-Privacy or the Politics of Labour, Intelligence and Information mit vielen Links und Fußnoten zu mehr Material.
Ein umfangreiches Dokument zu Emergence of a global infrastructure for mass registration and surveillance mit zahlreichen Informationen aus dem gesamten Bereich (engl., PDF, 1,2 MB). Es gibt außer der statewatch.org, von der dieses Dokument ist, eine Reihe anderer, die sich bei dem Thema "schleichender Verlust der Privatsphäre" engagieren. Das wären z.B. statewatch.org in Europa, Privacy International (PI) und die American Civil Liberties Union (ACLU).
Der Klassiker in der Literatur zum Thema Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung ist natürlich 1984 von George Orwell. Wichtig ist auch der andere Klassiker Schöne neue Welt von Aldous Huxley, bei dem eine dunkle Zukunftsvision gezeigt wird, die ohne Überwachung auskommt, aber die Menschen mittels Drogen leicht regierbar macht.
Ein Film, der mögliche Folgen von Überwachungsdossiers aufzeigt, ist Der Schläfer. Es geht um eine Bespitzelung eines iranischen Wissenschaftlers durch seinen Arbeitskollegen auf Auftrag des BND (deutscher Bundesnachrichtendienst). Zitat aus einem Interview mit dem Regisseur Heisenberg:
Wer Schwierigkeiten mit den auf dieser Website erwähnten Begriffen und Abkürzungen hat, dem sei das Glossar der Informationssicherheit empfohlen (pdf, > 1MB).
Philipp Schaumann, http://sicherheitskultur.at/
Copyright-Hinweis:
|