warum macht man denn mit dem Rhein so viel Musik?

“(…) Gottogott müde. Und zu nichts Lust. So egal alles. Und aus meiner Müdigkeit wächst nur eine Neugierigkeit, wie es wohl weitergeht – hallo, Frau Wirtin, schnell noch einen Humpen – warum macht man denn mit dem Rhein so viel Musik? Nebenan bläst einer Mundharmonika, seine Stirn ist verschrumpft wie ein ganzes Leben. Und gestern war ich mit einem Mann, was mich ansprach und für was hielt, was ich doch nicht bin. Ich bin es doch noch nicht. (…)
Ich habe einen Schwips – ich will, daß ihm immer eine Freude wird und daß er es merkt und daß er nicht merkt, daß ich will, daß er`s merkt. Wien, Wien, nur du allein, Wien, Wien – da saßen wir bei dieser Musik aus Radio. Ach, so schön. Das gibt`s nur einmal, das kommt nicht wieder – das ist zu schön, um – Wien, Wien, nur du allein – Wien, Wien, bis du ein Rhein – denn man macht Musik mit dir – in diesem Moment fühle ich mich wie ein Dichter, ich kann es auch reimen, aber bis zu einer Grenze natürlich, – und da werde ich ein Reim – Wien, Wien, nur du allein – Gott, ich habe so`n Schwips – er hat mir immer Kognak eingeschenkt, ich vertrag keinen Kognak – um jetzt zu mir zu kommen und mich vornehm davon zu befreien, müßte ich ins Badezimmer, das geht durch sein Schlafzimmer, ich geh ja nicht mehr gerade und wache jetzt mit meiner neuen Moral – im Bett Karussell fahren ist ja kein reiner Genuß. Aber deutlich gesagt: es widerstrebt mir, mich übergeben zu gehn durch das Schlafzimmer eines Mannes, welchen ich liebe. Also schreibe ich lieber. (…)”

(aus: Irmgard Keun, Das kunstseidene Mädchen)


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