Carl Ohne und seine Watschis

Und wieder einmal hat sich Carl Ohne Watschis bringen lassen. Klein sind sie, und jung. Kinder eben. Frisch aus der Umgebung entführt. Man hat sie ihm gebracht. Hat sie an seinem Bett abgestellt. Gefesselt und geschnürt. So mag er sie am liebsten. Seine Watschis.

Ohne setzt sich im Bett auf. Betrachtet sie. Die Angst in ihren Augen lässt ihn lächeln. Ganz warm wird es ihm um sein Herz. Zumindest, wenn dort, wo man allgemein den Herzplatz vermutet, sich ein solches befinden würde. Wäre sein nicht vorhandenes Herz ein Tisch, er würde drauf tanzen. Meine Watschis, ganz allein meine. Er leckt sich die Lippen. Trommelt mit den Händen nervös auf der Bettdecke.

Dann beginnt er.

Vorhaltungen macht er ihnen, denn dafür sind sie ja hier. Er beschuldigt sie, ihm keinen schönen Nachttraum beschert zu haben. Seine Pupillen springen wild auf und ab. Die Stimme bebt, lässt ganze Satzhochhäuser einstürzen. Die Watschis ziehen die Köpfe ein. Sofort tritt einer von Ohnes Leuten an die Watschis heran und fordert sie auf, sich den Vorwürfen watschihaft zu stellen.

Ohne holt aus. Er hält den Watschis die gesamte Menschheitsgeschichte vor. Zum Sündenfall sollen sie sich äußern. Jetzt! Hier und heute.

Ach, wenn es doch nur ginge, wenn sie nur könnten. Die Watschis haben den Mund mit einem Tuch verstopft bekommen.

Meist konfrontiert Carl Ohne seine Watschis mit den Vorwürfen eine halbe Stunde. Dann geht es ihm ein wenig besser. Er wird sie sich später, gegen Mittag vielleicht, wieder bringen lassen. Bis dahin werden sie in einem begehbaren Watschischrank verstaut. Sein Haus läuft allmählich über mit ihnen. Um Platz zu schaffen, werden manche von ihnen in einen Freizeitpark verfrachtet. Dort müssen sie Achterbahn fahren und lachen, bis sie sich an nichts mehr erinnern können. Ist die Hirnwäsche erfolgreich gewesen, setzt man sie an der großen Autobahn aus. Die meisten werden überfahren. Man hat auch schon von welchen gehört, die am Rand der Autobahn Siedlungen gegründet hätten. Legenden, die nicht weiter stimmen müssen.

Carl Ohne grinst beglückt. Ohne seine Watschis würde das Leben keinen Sinn machen.

Er lässt einen Lakaien in die Hände klatschen, um dem Lakaien, der für sein Frühstück zuständig ist, ein Zeichen zu geben, sich um Brot und Butter zu kümmern. Carl Ohne legt Wert darauf, dass sein Klatschen täuschend echt imitiert wird. Gelingt dies dem Lakaien nicht, lässt er ihm die Hände abhacken.

Aufgaben, so Carl bei einer seiner täglichen Ansprachen, müssen sehr gut oder gar nicht erledigt werden. Er verlange nicht viel, nur Perfektion.

Carl Ohne ist kein guter Mensch. Das muss er auch nicht sein, ist er doch der Verbrecherkönig von Gulda, auch wenn er lieber der Verbrecherkaiser des Universums wäre. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden.

Ein Räuspern des Handklatschlakaien lässt Carl beim Atmen innehalten.

Verbrecherkönig und Lakai sehen sich mit aufgerissen Augen an. Beide wissen, was zu tun ist.

Der Lakai verbeugt sich und begibt sich mit langsamen Schritten zum Harakirizimmer.

Was für ein wundervoller Morgen, denkt Ohne. Und dann denkt er noch, obwohl es auch dafür einen Lakaien gibt: Wäre mein nicht vorhandenes Herz ein Tisch, ich würde darauf tanzen.

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