Die Pinte war das Domizil der SHARkS, Ende der 70er Jahre einer der letzten Rocker-Gangs im Bergischen Land. Rocker mit einer Einschränkung: kaum ein SHARk war alt genug für den Motorradführerschein, es gab nur ein paar lumpige Fünfzigkubikmaschinen. Aber Kutten gab es, jede Menge Kutten.
Was macht eine Rocker-Gang mit Kutten, aber ohne Karren? Saufen und sich kloppen, richtig. Pünktlich zum Wochenende gab es wüste Schlägereien in und vor der Pinte. Entweder die Jungs prügelten sich untereinander oder man hielt zusammen und verbimste die verhassten Hippies aus dem nahegelegenen Jazzkeller.
“Freaks aufmischen”, hieß es Samstagabends. Es war ein bißchen wie in den frühen 60er Jahren an den Stränden von Brighton und Hastings, wo sich Tausende von Mods und Rocker gegenseitig die Köpfe eingeschlagen hatten, einfach so, aus Langeweile und Übermut und weil die Mods Parka trugen und keine Pomade im Haar hatten und damit jeden echten Rocker auf die Palme brachten.
Dagegen war die Randale zwischen Pinte und Jazzkeller natürlich Klingelpütz mit Anfassen, zumal Karlos und ich ja selbst Hippies im Herzen waren. Benzini allerdings war kein Hippie. Ich seh ihn noch vor mir, wie er im Jazzkeller, bewaffnet mit einem abgebrochenen Stuhlbein, auf ein paar arme Langhaarige eindrischt, “VAFFANCULO!” röhrend. Er konnte wirklich auf den Putz hauen. Manchmal hatte sogar ich Schiss, dass ich was aufs Maul kriegte, wenn ich in seiner Nähe stand, einfach so, im Schlachtengetümmel. Da weiss man ja nicht immer, wem die Faust gilt und wohin sie trifft.
Genau wie die SHARkS waren auch die Bullen Stammgast in der Pinte, am Wochenende jedenfalls. Die Wache auf der Goerdelerstrasse war nicht weit, und wenn Anwohner wegen Ruhestörung anriefen, rückte die Schmiere gleich mit Schäferhunden und Mannschaftswagen aus. Wenn man uns eingesammelt hatte, saßen wir dichtgedrängt in den Wannen und grölten auf dem Weg zur Wache, nach der Melodie der populären Kindersendung Kli-Kla-Klawitter,
FAHR MIT IM GRÜN-WEIS-SEN BUL-LEN-BUS
WIR HA-BEN SEHR VIEL PLATZ
WIR NEH-MEN JE-DEN MIT.
Das schmeckte den Bullen natürlich nicht, dass wir im Chor sangen, aber was sollten sie machen, Singen war in Deutschland noch nie verboten. Schon mal gar nicht in Solingen, Stammsitz der ältesten Männerchöre der Republik. Da darf man ja wohl mal ein Ständchen bringen, Herr Wachtmeister!
Die Pinte hatte neueröffnet unter der Leitung von Hassan, einem aufgeweckten Türken, und seiner blonden deutschen Braut, die den Bierverkauf mächtig ankurbelte, Tanja, eine blutjunge intelligente Schlampe. Präsident der SHARkS, die in kombinierten Leder-und Jeans-Kutten mit BALLROOM BLITZ-Aufnähern rumliefen, war der kleine Sonny, ein ruhiges cleveres Kerlchen, das seine Jungs im Griff hatte. Er war gerade mal sechzehn und trug schon einen gewaltigen Bierbauch. Respekt. Sonnys Wort war Gesetz.
Karlos, Benzini und ich hatten innerhalb der Pinte einen Sonderstatus. Wir waren keine Rocker, wir waren keine Freaks, wir waren keine Punks, wir waren eigentlich gar nichts, wir waren einfach wir drei. Das hatten wir besonders unserem ersten Auftritt in der Pinte zu verdanken. Zu dritt am Tresen, von zwanzig SHARkS umzingelt, die sich gegenseitig schubsten und auf die Füße traten, um besser sehen zu können.
Ich hatte gegen Benzini irgendeine dumme kleine Wette verloren und nun galt es, meinen Wetteinsatz einzulösen: den kleinen Finger der linken Hand. Ab damit! grölte Benzini. Hassan hatte zunächst gezögert, auf unsere Drängen ein Brotmesser aus der Küche zu holen, doch irgendein Messer hätten wir eh klar gemacht, es waren genug Messer im Umlauf, das war Hassan klar, und so reichte er, wie gefordert, ein langes Brotmesser über den Tresen. So behielt er wenigstens den Überblick. Auch Präsident Sonny gab sich die Ehre. Er und Karlos kannten sich von Kindesbeinen an, was unsere Aufnahme in den Rocker-Kreis ungemein erleichterte.
Benzini machte sich mit dem Messer an meinem kleinen Finger zu schaffen. Meine Hand lag schnittbereit auf der Theke. Video killed the Radio Star lief in der Musikbox. Die Fratzen der SHARKs, wie aufsteigende Ballons um uns herum, Gejohle. Benzini säbelte, mit mäßigem Druck, ich zog gepeinigt einen Flunsch. Bis Karlos plötzlich dazwischen sprang. Er ruderte mit den Armen: “HASSAN, TU MAL EIN BUTTERFLYMESSER! DAS KANN MAN JA NICHT MITANSEHEN HIER!” Damit nahm er den Burschen nicht nur die Sicht, er zog auch das Interesse auf sich, während ich ein zuvor aufgebissenes Tütchen Ketchup aus der Jacke holte und mir über den kleinen Finger schmierte. Als Karlos den Blick wieder freigab, war meine Hand voller Blut und ich schrie auf.
“Aufhören!” rief Hassan, der den Gimmick mitgekriegt hatte, aber auch das war ihm alle Mal lieber, als den Krankenwagen rufen zu müssen. “Aufhören! Das reicht!” Auch die SHARKs waren bedient. “Eh!” stieß einer den teuflisch grinsenden Benzini an, “du schneidest dem Lockenkopf ja den Arm ab!” Scheinbar widerwillig ließ Benzini von mir ab, und ich verschwand mit Hassans schwerblonder Braut Tanja in die Küche, wo sie mir einen Verband anlegte, damit es echt aussah.
Von diesem Abend an zollte man uns Dreien Respekt in der Pinte. Nur Hassan blieb skeptisch. Einen Deckel genehmigte er uns nie.
Ich erinnere mich, dass Pepe uns einmal in die Pinte besuchte, und wie er nur mit dem Kopf schüttelte, er konnte es nicht begreifen. “Mann, wo seid ihr denn hier gelandet..!”
Die Wurlitzer-Musikbox wurde regelmäßig neu bestückt. Hier hörte ich zum ersten Mal das wunderbare “Pop Muzik” von M. Eine einzige Single blieb als Dauerbrenner drin und durfte niemals ausgetauscht werden: “Heartbreak Hotel” von Elvis.
“Heartbreak Hotel” war die Hymne der SHARks. Hatte jemand “Heartbreak Hotel” gedrückt und die ersten Takte setzten ein, WELL SINCE MY BABY LEFT ME, kam Götze aus irgendeiner Ecke angewatzt, rutschte auf Knien zur Mitte und griff zu einer der ersten Luftgitarren der Rock’n Roll-Historie. Es sah aus wie ein Metzgermesser, das er gestenreich unter seiner Weste hervorzog und mit dem er im Takt zu Heartbreak Hotel alles kurz und klein schlug, und obwohl er nur den Luftmetzger gab, tat man gut daran, den Ausgang im Auge zu behalten, denn Götze war unberechenbar, Götze, der wahre Punk, nixentätowiert und die halbe Zeit im Knast, eine ehrliche versoffene Haut, die spätestens nach Mitternacht sämtliche Knochen über der Wurlitzer-Box ausstreckte und einen Stiefel Gin-Osaft ganz alleine auskotzte.
(In den späten Neunzigern hab ich Götze zufällig in Wuppertal getroffen. Er stand auf der Platte und hatte sich kaum verändert. Als ich vorbeiging, grüßte er schön.)
Schlagwörter: Heartbreak Hotel, Kutten, Sharks
22. September 2012 um 10:59 vormittags |
schöne milieuschilderung, mit charakteren, die man heute vermisst, im realen leben.
in der fiktion erinnerten sie mich an die kneipenhelden eines frank schulz, etwa in dessen wunderbarem roman “kolks blonde bräute”.
für jemanden wie mich, der anders sozialisiert aufwuchs, kommen solche beschreibungen wie blicke durchs schlüsselloch gleich: aufregend fremd und zugleich anziehend.
wohltuend auch, wie die sprache dicht an den figuren bleibt und nie diffamierend eingesetzt wird.
grüße, uwe
26. September 2012 um 1:24 vormittags |
die jugend von heude vertellt nur noch plattdütsch im lexxikonn..
26. September 2012 um 9:25 vormittags |
hier den stinkefinger geb ich euch..
während sonny im klo nach seiner uhr forschte
oder wars nen schlagring
ein rotes
voller angst
und denn war der ganz normal und nett
darf ich helfen..hihi