Erstmal vorn am Tresen.
"Namäh??!"
Die Sprechstundenhilfe, die einen so herzlich am Tresen empfängt und erstmal wissen will, wie man heisst, hat den gleichen harten osteuropäischen Akzent wie ihre Chefin, Hautärztin Frau Dr. Pomczik. Ein Akzent, der wie zugeschraubt klingt, fast so, als sprächen beide Frauen polnisch, aber man versteht jedes einzelne Wort, es ist nämlich Deutsch.
Endlich sitz ich im Behandlungszimmer.
"Wo ist Muttah?!"
Frau Doktor Pomczik ist dabei, meinen entblössten Oberkörper zu untersuchen. Ihre großen Augen sausen hoch und runter, von rechts nach links, ohne Lupe und doch hochprofessionell. Eine erfahrene Hautärztin. Nur das mit Mutter kapiere ich nicht. Hat sie etwa meine Mutter gekannt? Und wenn ja, woher weiss sie, dass ich ihr Sohn war?
"Wo ist Muttah?!" wiederholt Frau Doktor, eine kleine taffe Person, deren graues Haar so wirr vom Kopf steht, als habe ihr jemand eine Packung Spaghetti direkt aus dem Kochtopf über den Schädel gekippt, nach 20 Minuten Kochzeit, schön weich die Nudeln. Weiche graue Nudeln.
"Ah, hier ist Muttah!!" Sie zeigt mir die Stelle, nach der sie gesucht hat. Der Herd der Röschenflechte.
"Nennt man Muttah", sagt sie.
Die Mutter befindet sich unterhalb meiner Achselhöhle, ein schuppiges Areal Haut, vier, fünf Zentimeter groß. Von nun an muss ich alle drei Tage in die Praxis kommen, die nicht weit entfernt liegt vom Kannenhof, und mich einer 10minütigen Bestrahlung mit ultraviolettem Licht unterziehen.
"Ich hatte auch mal Röschenflechte früher", erzählt Frau Doktor, während sie die Hände desinfiziert, "aber viel mehr als Sie, viel viel mehr. Ganze Körpa voll. Und wurde immer noch mehr. Und als es am schlimmsten war, hatte meine kleine Schwester Hochzeit in Polen, und ich war Brautjunfa. Hatte schönes Kleid an mit tausend Rüschen, aber überall an Dekolette quillt verdammte Rösenflechte raus."
Sie richtet das UV-Licht aus, programmiert die exakte Bestrahlungszeit und verabschiedet sich zur Anmeldung, wo schon der nächste Kassenpatient wartet.
"Namäh!?"