Ich bin die Nacht: Eine Münz-Variation

Die längere Erzählung Ich bin die Nacht/Du bist der Ort, deren erste Abteilung (entferntes Kapitel) in einer Skizze hier zu lesen ist, erfuhr nun bereits einige Erweiterungen und Umbauten. Ein weiterer Auswuchs ist die Geschichte der Dublone, die in dieser Erzählung eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Ein weiterer Entwurf (in Überarbeitung) sieht folgendermaßen aus:

Die Herrin des Jahrhunderts, wie sie von ihren Bewunderern genannt wurde, hätte ihm doch ganz gut für eine Liaison gestanden. Er wußte nicht, daß Madame de Stael ihn gerne in ihrer Nähe hatte, weil sie ihn für ihr Buch brauchte, das sie über Deutschland schreiben wollte, hielt Schlegel für einen typischen deutschen Professor, als Liebhaber eher für unattraktiv, pedantisch, empfindlich, aber bieder und treu. Er durfte ihren Roman Corinne ou l’italie rezensieren und mit ihren Freunden und ihrer Familie in einem rosaroten Schlößchen im schweizerischen Coppet ihren Sekretär geben. Zu seiner Ausstattung gehörte ein großzügiges Salär, mit dem er seine frühromantischen Freunde unterstützte. Die kleinen Luftküsse und Kicherlinge, die der etwas schwerfällige August hier und da parat hielt, wurden von der Baronesse jedoch geflissentlich ignoriert.
Dann aber geschah etwas bis dahin unverhofftes. Obwohl Madame de Stael ihrer Libertinage ausgiebig frönte und gleichzeitig die von August stets freundlich, aber nicht ohne kleinste Schmähungen, zurückwies, bekam sie eines Abends einen Korb von einem ihrer (zumindest so von ihr gedachten) Lebemänner und Liebhaber. Außer sich vor Zorn rauschte sie durch sämtliche ihrer Schlafzimmer und brachte die Betten, die hübsch zugerichtet waren, in Unordnung. Ob nun die Kränkung ihr an sich robustes Wesen oder ihr Venusdelta betraf, spielte keine übergeordnete Rolle. Ihr fehlte schlicht die Anerkennung und Bewunderung für einen Tag, nämlich für heute. Freilich hatte sie solche Tage schon erlebt und nicht selten den Pferdeknecht ins Heu gezwungen, der dann in – selbstverständlich lyrischer Sprache – ihre Mamellen und Mamillen zu besingen hatte. Allerdings lag das Problem auf der Hand: Pferdeknechte und Lyrik waren selten befreundet, vielmehr hätte diesem Berufsbild zu Gesicht gestanden, ein Gedicht zu fluchen statt zu singen. Trotzdem hatte besagter Knecht die Stirn besessen, ihr ins Gesicht zu sagen, sie gäbe die “Milch der Heilgen Johanna”. Aus einem nicht näher zu bezeichnenden Grunde verlor die Baronesse plötzlich jegliches Interesse, Hand, Finger – und was man sich sonst noch erdenken mag – an ihre Untergebenen zu legen.
Ob es nun das Schnauben des Windes aufgrund der aufgerissenen Tür oder ihre bebende Brust gewesen sein mag, mit dem sie auf einmal in Augusts Kammer stand und ihn anstarrte, als hätte sie ihn noch nie gesehen – man kann davon ausgehen, daß der Schriftsteller derart beeindruckt von der Erscheinung gewesen sein mußte, daß er zur richtigen Zeit das richtige Gesicht aufsetzte. Wie das mit Gesichtern so ist, sehen wir sie zuerst. Die Madame war kochblütig genug (sie wollte ja eigentlich das Bett zerwühlen), um das faksimilierte Staunen für Ehrfurcht zu halten, genau das, was sie jetzt haben wollte.
Schon einige Tage später befanden sie sich auf Hoher See.
“Denk dir, mein lieber August, diese Münze beherbergt nicht nur das feinste Gold, darin schwelgt auch noch das Blut des Prägers, der sich bei der Fertigung an der Rändelmaschine verletzte, unachtsam, weil ihm sein Liebchen von Dannen gehurtet ist, um sich in die Arme eines weniger angesehenen Bürgers, sagen wir eines Bänkelsängers mit einer riesigen Laute, zu werfen. Ein romantischer Stoff wie dieser steht keinem anderen so zu Gesicht als dir. Und weil du mich in dieser unschicklichen Situation so schicklich behandelt hast”, (denken wir uns hier aufs Geratewohl ein Zwinkern der feinen Dame), “sei dir dein Salär, das du so stattlich von mir empfängst, mit diesem Louis d’Or noch einmal aufgewertet unter der Bedingung, daß du diese Geschichte im Trüben läßt.”
“Blut?”
“Nun, es ist ein Gerücht. Aber auch, wenn es keines wäre: solange die Geschichte lebt, existiert auch ihre Wahrheit. In unseren Salinen von Salins-les-Bains fließt übrigens mehr Blut in die Sole als irgendwo in eine Münze, falls dich das beruhigt. Aber ich meinte keineswegs das Blut in der Dublone, sondern die Nacht des zerrauften Bettes!“