Entdeckt man sich im Spiegel, zuckt man zurück, weil man nicht glauben kann, was man erblickt. Bin ich das, fragt man sich. Ganz nahe tritt man an den Spiegel heran, weil man zwar in sich drinsteckt, sich aber nicht von außen wahrnimmt. (Selten, nur selten tut man das. Wir wollen es doch für Sie hoffen. Und sollten Sie doch zu der Spezies gehören, die sich berufsbedingt betrachten muss, dann werden Sie mir vielleicht davon berichten können, wie fremd man sich wird, wenn man dem äußeren Selbst ausgeliefert wird.)
Laufe ich mir über den Weg, stolziere ich plötzlich durch das Netz z.B. an mir vorüber, weil ein Bild von mir irgendwo veröffentlicht wurde, dann beuge ich mich über mich und inspiziere mich. Ganz nahe will ich mir kommen, daher rücke ich mir mit einer Lupe auf den Leib, an dem, wir sind doch längst von allen Seiten versaute Wesen, mir stets ein Makel auffällt, denn ich so aber belasse, weil ich mir die meiste Zeit über recht egal bin. Nicht gänzlich. Eine dicke fette Lüge wäre es, wenn ich das erzählen würde. Die Haut, die ich zu Markte trage, wird mit Kleidung (auch mit literarischer) verhängt, in der ich mich wohlfühlen muss. Der Bauch muss ordentlich weggepackt werden. Kleidung ist mir ein Koffer, in dem ich stecke, um nach draußen zu gehen und zu verreisen.
Ich kann mich oft nicht verstehen, obwohl ich mich in einem dauernden Selbstgespräch befinde. Viele Entscheidungen, die ich treffe, werden später von mir bereut.
Um also endlich einmal zu erfahren, wer das ist, der da in mir ist, beuge ich mich über meine Bilder, nähere ich mich meinem Spiegelbild. Es ist, als würde mich ein Fremder anstarren. Der dort zu sehen ist, so denke ich, der bin ich nicht. Das ist ein Anderer, einer, der in meine Rolle schlüpft und Dinge für mich erledigt. Ich bin mir ausgeliefert. Muss nehmen, was kommt.
An Tagen, an denen ich meinen Weg kreuze, zucke ich zusammen. Ich freue mich, weil es mich noch gibt, gleichzeitig bekomme ich Angst vor dem, was er noch tun wird, der behauptet, er wäre ich.
Ich sollte mir aus dem Weg gehen. Das könnte immerhin eine Möglichkeit sein, nicht mit mir zusammenzuprallen, nicht mit mir in Streit zu geraten.
Ja, das ist es. Ich werde mir eine Auszeit gönnen, einen Urlaub vom Ich. Werde aus mir auslaufen, werde an der Reling stehen und mir zuwinken, der ich mit einem Taschentuch am Hafen stehe, bis von mir nichts mehr zu sehen ist, bis ich samt Kreuzfahrtschiff Teil der untergehenden Sonne werde.
Und dann am Morgen, ich fühle mich bereits ein wenig erholter, werde ich an Deck treten und mir die anderen Gäste betrachten. Erschrocken werde ich feststellen, dass da nur ich bin. Ich in unzähligen Variationen. Ich beim Frühstück mit mir als Dame. Ich als Kapitän, der mich an die Schulter fasst, um mich mit den Worten zu begrüßen: “Willkommen auf der MS Ego!”
Ich würde schreien, glauben Sie mir, würde ich es zulassen. Aber so wie ich mich kenne, werde ich mich knebeln und mir ins Ohr flüstern: “Ganz ruhig, ganz ruhig, endlich können wir uns ein bisschen besser kennenlernen. Wir sind hier immerhin bis zum Lebensende zusammen unterwegs.”
Und dann schreie ich doch, auch wenn es keinen Sinn macht.