Eine morgendliche Spinnerei
Ein Morgen wie aus einem Schwarzweißfilm.
Wenn ich als Kind vor dem Fernsehgerät meiner Eltern saß, vielmehr lag, denn ich lag seitlich zum Bild auf einem braunen Sofa, das bei jeder meiner Bewegungen wie ein Schweinchen quiekte, sah ich mir mit Bestürzung Nachrichten aus den alten Tagen an, die so weit ja noch nicht zurücklagen, denn am Ende dieser Zeit, die man Kriegszeit nannte, wurden meine Eltern geboren. Ich war nicht über das erschrocken, was mir in den Bildern gezeigt wurde, sondern wie es mir offenbart wurde. Früher, so dachte ich als Kind, muss die Welt schwarzweiß gewesen sein, vielleicht weil die Menschen so viel Schuld auf sich geladen hatten, oder weil keine Farbe für die Welt da war, weil man sie erst viel später fand, in einem Abstellraum der Weltgeschichte.
Ich war mir sicher, dass die Welt meiner Großeltern eine farblose Welt gewesen sein muss, eine, in der das Blut nicht so wunderschön rot schimmerte wie in diesen Tagen. Eine Welt, die nur in Abstufungen von Schwarz existierte, ein helles Schwarz folgte einem noch helleren, bis plötzlich ein Weiß zu sehen war, manchmal ein Weiß, das wie eine Blendung wirkte, sodass man sich die Augen zuhalten musste, wollte man nicht erblinden. Ach, die armen Leute, muss es durch meinen Kinderkopf gerast sein, rund herum um mein Denkzentrum, wie eine Modelleisenbahn, die meine Gedanken wie Wattequalm ausstieß. Damals spielte mein Denken noch mit sich selbst. Es geschah auf eine Art, die ich gerne wieder beherrschen würde. (Ich sagte erst gestern zu meiner Frau: Es geht nicht um eine Art von Fortschritt, sondern um einen Rückschritt. Wir müssen wie Kinder werden. Die Kinder, die wir waren. Dann wird alles gut.)
Die armen Leute, dachte die Modelleisenbahn also in mir, sie hatten nichts, nur Luftangriffe und Entbehrungen, nicht einmal Farbe hatten sie, die muss erst später dazu gekommen sein. Kurz vor meiner Geburt. So könnte es gewesen sein.
Und heute? Ein gräulicher Grautag, einer, der wie altes Spülwasser aussieht, ein Schwarzweißtag, der noch auf seine Farbe wartet. Ich helle den Himmel mit meinen Erinnerungen auf, färbe ihn damit ein.