Weltuntergänge muss man sich als Unterführungen vorstellen.
Ganz in der Nähe hier, in einem kleinen Wald, den ich als Kind mit meinem unsichtbaren Pferd und meinem unsichtbaren Gewehr unsicher machte, findet man einen solchen Tunnel. Die Eingänge der Weltuntergänge sind schwer auszumachen, ja, man muss schon über ein scharfes Indianerauge verfügen, will man sie entdecken. (Es gibt Indianerspährohre, die mit einem Indianerauge ausgestattet sind, damit man jedes Geräusch im Umfeld von siebenhundert Kilometern in seinen Blick zwingen kann.)
Meist wird der Weltuntergang von einem Gebüsch verdeckt oder einer zufällig dort stehenden Person. Die Weltuntergänge sollen geheim bleiben. (Niemand weiß, warum das so ist. Vielleicht, um ein Verstopfen der Gänge zu vermeiden.) Niemand soll wissen, wo sie sich befinden, obwohl man leicht eine Karte kaufen kann, auf der ihre Standorte verzeichnet sind. (Die Karten werden in unseren Vergangenheiten verkauft. Man muss eine Zeitreise machen, aber will man eine solche Karte wirklich besitzen, wird es an dem kleinen Zeitumweg nun wirklich nicht scheitern. Suchen Sie den Kiosk auf, bei dem Sie in Ihrer Kindheit Ihre Süßigkeiten kauften und bitten Sie den Verkäufer, Ihnen eine Weltuntergängekarte auszuhändigen. Der Mann wird nicht zögern, denn er ist – vertrauen Sie mir! – einer der offiziellen Händler dieser Karten. Bei der Gelegenheit könnten Sie sich auch noch ein Mohrenkopfbrötchen kaufen. (Das Wort Mohrenkopf wird im späteren Text natürlich zensiert und durch das Wort Schokokussbrötchen ersetzt werden, um dem Vorwurf des Rassismus zu entgehen.)
Ist man erst in einen der Weltuntergänge eingestiegen, heißt es: Luft anhalten, klein machen, Taschenlampe anschalten. Kriechen Sie bis zum Ende des Weltuntergangs. Lassen Sie sich nicht von Spinnen, Mäusen, Ratten, Versicherungsvertretern aufhalten.
Weltuntergänge sind mit Kot gesäumt, die Wände sind meist mit obszönen Zeichnungen von Politikerköpfen übersät. Es kann sein, dass man auf eine Gruppe Halbstarker trifft, die dort unten im Weltuntergang ihr Bier trinken. (Weltuntergänge ziehen die merkwürdigsten Personenkreise an.) Man wird Sie vielleicht anpöbeln, wird versuchen, Sie auszurauben, wird Sie darauf hinweisen, dass es normal sei, hier ausgenommen zu werden, denn schließlich und endlich sei dies ein Weltuntergang.
Weltuntergänge führen zum anderen Ende der Welt. Sie werden also in Neuseeland aus dem Weltuntergang gekrochen kommen, müde, schmutzig, abgekämpft und werden sich eine Cola und eine Wurst bestellen. Wenn es Ihnen dort gefällt, schlagen Sie ihre Zelte auf. (Vergessen Sie also auf keinen Fall Ihre Zelte. Mindestens achtzehn Zelte sollten es schon sein.)
Wenn Sie die Schnauze voll haben, packen Sie Ihre Sachen (Zelte, Indianerspährohr, Karte) und krabbeln Sie in den Weltuntergang zurück.
Weltuntergänge gibt es viele. Zieren Sie sich nicht. Durchqueren Sie den, der in ihrer Nähe liegt, und Sie werden merken, dass es gar nichts Besonderes ist, einen Weltuntergang durchkrochen bzw. durchschritten zu haben.
Es ist ja auch nur ein Gang, mehr nicht.
Foto: Alfred Harth
Ganz in der Nähe hier, unter der Grenze nach Nordkorea ist so eine Welt und ihr Gang. Als Indianer von gestern traf ich dort letzten Sommer eine Gruppe Halbstarker, die ver2felt nach einer Richtung Ausschau hielten