
Als ich dieses Mal den Caligariplatz zur Brotfabrik quere, fällt mir ein ungewöhnliches Gefährt am Straßenrand ins Auge: Eine Gulaschkanone auf eine Autoanhänger, daran befestigt eine Werbetafel mit Handynummer: zu vermieten! Vielleicht ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Sommer nun in Berlin angekommen ist: Wenn die Werbemaßnahmen der Gulaschkanonenvermieter beginnen.
Um Zeichen, Worte, Sprache soll es auch an diesem Abend bei „Literatur in Weißensee“ gehen: Alexander Graeff hat Caca Savic in den Roten Salon geladen, deren Gedichte er als „Gebäude, das nur Fenster, aber keine Türen hat“ beschreibt: Man kann hereinschauen, aber nicht eintreten.
Ob dieser Vergleich standhält? Empfiehlt es sich überhaupt, über Texte zu sprechen, bevor das Publikum sie überhaupt kennt? Diese Fragen zerstreuen sich glücklicherweise schnell, denn es geht schon los. Was sofort auffällt und sich wie ein Widerhaken im Gehör festsetzt, ist der inhärente Widerspruch von Caca Savics Vortrag: Sie schreibt von Traumfluchten, bewegten Mündern, dem Ausbruch aus der Realität – aber sie liest diese Texte äußerlich ruhig, fast lakonisch, in einem berichtsartigen Ton, als handle es sich um Alltagserlebnisse. Diese äußere Spannung beginnt nun nach und nach mit einer inneren Spannung zu korrespondieren: Gespräche hängen an Fäden, etwas wird verschwiegen, Rausch wechselt sich mit Ernüchterung ab, etwas kommt in Bewegung, aber tritt gleichzeitig einen Schritt zurück: Vorwärts zum Rückzug. Wäre es nicht so ein schrecklich abgegriffenes Wort, könnte man von Seelenlandschaften sprechen, in denen Gebäude stehen (siehe oben!), die durch präzise Wortwahl und die Prägnanz des Vortrags wie mit dem Lineal genau abgemessen sind.
Ein gehöriger Sprung in der Dramaturgie des Abends ist an dieser Stelle Alexander Graeffs erster Beitrag, der das Leitmotiv Sprache mit einem Auszug aus seiner Novelle Prag aufgreift, in der sich eine junge Frau zwischen sinnlichem Erleben und aufgeklärtem Verstehen durch eine voll und ganz literarisch ausgestaltete Stadt bewegt. Überraschend ist, trotz der geographischen Nähe, Graeffs Rückgriff auf den Mythos vom Golem, dem Anweisungen mittels in den Mund platzierter Notizzettel erteilt werden: Auch Adrina, von der die Novelle erzählt, sei eine Art Golem, in der zweiten Bedeutung des Wortes, nämlich die der kinderlosen Frau. Der uralte Zusammenhang zwischen Sprache und der Erschaffung von Leben erhält so, über den Mythos, noch einmal eine ganz andere Bedeutungsebende.
Die Annäherung der beiden Autoren an diesem Abend setzt sich formell fort: Nach einem zweiten Gedichtblock von Caca Savic liest Alexander Graeff – eine Premiere! – vier eigene Gedichte; den Abschluss macht ein dialogischer Vortrag, bei dem die Grenzen zwischen Autor und Autorin gänzlich verschwimmen.
Die amüsanteste Äußerung über Sprache und Sprechen, die ich von diesem Abend mitnehme, ist wohl diese: „In meinem Mund gastiert ein Zirkus.“ Was wohl Lord Chandos dazu sagen würde?
Literatur in Weißensee findet jeden 3. Sonntag im Monat statt. The Daily Frown berichtet als Medienpartner über die Lesungen.
Und ab an „Notes Of Berlin“ mit der Gulaschkanone …!
Done!
Sehr schön!
Ich sollte demnächst übrigens mal meine Doppelpunkt-Taste festklemmen, wie ich nach erneuter Durchsicht feststelle: Dieser Übergebrauch ist ja schon pathologisch!