Zum Sünfzen geboren

(Dieser Text entstand etwa zum gleichen Zeitpunkt, an dem die Lärmende Akademie ans Netz ging. Ein Mitbegründer der LA war Götz Schwirtz, der ebenfalls, nachdem wir uns in Lindau verabredet hatten, einen Sünfzen-Text schrieb. Götz stieg bald nachdem wir das Forum erstellt hatten aus, die LA wurde Legende, der Rest ist Geschichte.)

Ich fange die Gedankenfliegen ein. Die Bilder wollen Bewegung in den Atemritzen. Schon lange nicht mehr Zug gefahren, mein Körper. Schon lange nicht mehr Körper, mein Körper, doch Geist mein Geist. Ich löse die falsche Fahrkarte, weil ich mich für ein Kind halte. Die Schaffnerin sagt, ich sei kein Kind. Ich frage sie, woher sie das wissen will, sie sagt, das sieht man doch, ich antworte, unsere Sinne taugen nicht, die Wirklichkeit zu erfassen. Sie glotzt mich an, ich lächle und zahle nach.
Sie wünscht mir eine gute Reise ins Unbekannte. Ich sage, danke, genau dahin treibt es mich.
Während der Fahrt lese ich den Wendekreis des Krebses weiter. Weil Miller eben Miller ist. Weil er genau weiß, was das Leben hergibt und weil er eine bewundernswerte Prosa schreibt. Nicht für die Kleinlichen, nicht für die Toten, nicht für die Bigotten, nicht für die Moralisten. Für die Lebenden schrieb er. Ich merke das. Nur so kann ich mich lebendig fühlen. Lebendig unter Toten, die nicht mal erkennen können, daß ich eben doch noch ein Kind bin, reinrassig die Welt erblicke!
Die Vibration des Zuges läßt mich vibrieren. Ich bin in einem Vibrator gefangen und ich sehe schnell aus dem Fenster, ob ich die Schleimberge dieser riesigen Vulva erkennen kann, durch die wir gerade fahren.
Wir halten pünktlich am Muttermund und ich verlasse den Samenleiter dieses künstlichen Intruders.
LÄRMEND reiße ich die Bahnhofstür auf und begegne dem streunenden Gefährten unter Lampen so groß wie die Sonne.
Und Lindau weiß nicht, was geschieht. Der Hafen zieht sich in sich zusammen, die Vögel fliegen vor uns her.
Schnell zwei Bier. Langsam weiter. Wir verirren uns, weil diese Stadt nur für uns existiert und in uns kennen wir uns nicht aus. Es genügt, daß wir wissen: Wir existieren. Wir sind der Beweis. Das Unterbewußtsein spült uns in einen Imbiß.
Schnell. Drei Bier. Einen Schnaps Eine Wurst.
Die Wirtin sagt, daß es Gott nicht gibt. Dabei höre ich ihn gerade im Radio.
Die Wirtin sagt, daß es trotzdem eine Macht gäbe. Ja, ich weiß, ich höre sie im Radio. Die Liberalen schreien von ihrer Kanzel.
Die Wirtin fragt, ob ich eine besondere Technik habe. Ich sage ja. Es geht nur um die Technik.
Die Wirtin sagt, wenn sie zwanzig wäre, würde sie mit mir gehen.
Da verstummt Gott im Radio und legt eine Platte auf.
Der Streuner sagt, daß wir Gott bald berechnen können. Streuner sagt, daß wir Gott sind. Er hat recht. Mir dämmert’ s.
Die Trunkenbolde glotzen uns an. Sie wissen, daß wir nicht zu ihnen gehören. Wir sind lebendig und der Imbiß spuckt uns wieder aus.

Zum Sünfzen, das Leben. Zum Sünfzen treibt uns unser akademisches Verhalten. Zum Sünfzen geboren. In den Sünfzen hinein. Unser Harem ist gleich zur Stelle.
Schnell viel Bier. Schnell viel Wein.
Die Mädchen lächeln und kriechen auf allen vieren zu unserem Tisch. Sie wollen sich kraulen lassen, sie wollen, daß wir ihnen erklären, wie wir es geschafft haben, aus ihren Träumen zu entkommen.
Wir sind nicht entkommen. Wir sind schon immer da!
Die Mädchen verhandeln, wer welchen Teil von uns bekommen wird. Sie werden sich nicht einig, also essen wir erst einmal etwas.
Sie fangen zu tanzen an, sie zittern am ganzen Leib. Und am Ende sagen wir, daß wir wiederkommen. LÄRMEND!
Wie sonst? Fragen sie uns und wir geben ihnen Recht.