Juni, Dreundzwanzig, Sieben

Etwa Figuren: Ich habe es beim Acheron unterlassen, jedwede abgrenzungen zu schaffen. Wichtig war es mir, ein buch jenseits aller kategorien zu erarbeiten, das in sich so immens viel material birgt, dass es diese 400 seiten mit dem zehnfachen aufnehmen können.
Ein kurzes fazit besagt, dass jeder, der das buch bisher gelesen hat, nur einen kleinen teil mit sich nehmen konnte. Doch die absicht ist nicht gewesen, den leser zu überfordern, sondern ihm ein kompendium in die hand zu geben, durch das man alles weitere begreift. Natürlich lässt sich die Mitte nicht ohne den Acheron begreifen, eine Figur wie Adam konnte ja nur auf dem fundament einer langen studie fußen, die beim Acheron immerhin zwei dekaden ausmachten.
Die zwickmühle ist sicherlich das gewohnte lesen, das industriell gefertigte buch. Es ist schon wahr: wird man von vielen lesern verstanden und sogar angenommen, muss man sich fragen, was man falsch gemacht hat. Jemand, der sich überdurchschnittlich gut verkauft, hat ein ernsthaftes problem, jemals ein großer autor werden zu können. Die wirkliche Literatur ist ein sehr elitäres phänomen.

Juni, Zweiundzwanzig, Sieben

20.45

Auch dass dem schreiben immer etwas anderes vorausgeht, das nicht schreiben ist. Eines der wörter, die man aus dem deutschen in keine andere sprache übersetzen kann ist das wort unheimlich. Man sagt also, das deutsche sei die einzige sprache, die ihr unheimliches habe; damit meint man nicht das wort, auf das es ebenfalls zutrifft. Interessant ist es, das zu wissen und es nie richtig zu verstehen.
Man sagt vom französischen, dass es die einzige sprache mit einer wirrung sei. Definieren wir das als eine heftige bewegung der seele, machen wir nichts falsch. Das mag alles übertrieben scheinen, aber vielleicht kommen wir einer sprache in ihrer unmöglichkeit besser auf die schliche. Wir können mit der deutschen sprache weiter in alles eindringen als mit jeder anderen und wir dürfen uns erlauben, das französische nicht zu verstehen.

22.31

Das schreiben vermag durch nichts anderes als durch die lektüre zu bestehen, die ihm vorausgeht.

Juni, Neunzehn, Sieben

12.05

Ich wäre gern wieder dort in diesem zimmer. Ein zimmer, das sich keiner freiwillig nehmen würde, klein und mit dieser nische. Ein einzelbett hat darin platz, nicht mehr. Zur hälfte wird es dennoch in den übrigen raum hineinragen. Das fenster liegt ebenerdig, vorbei führen breite stufen, hinauf zum weg, der damals noch nicht geteert war, hinunter zu den hängenden gärten, weiter hinunter zur Eger. Ohne zweifel das fenster einer mitte. Bevor ich es ringsherum mit alufolie ausgekleidet hatte, blickte man auf ein typisches reliefmuster, das hier überall zu finden war. Man hatte tapeten ausprobiert und es wieder verworfen, also kam alle zwei jahre der maler. Aber nicht für dieses zimmer, nur für die wohnstube und das schlafzimmer.

Es ist klar: der Surrealismus beginnt mit der kindheit. Er ist jenes lichte tor, durch das wir alle gehen können. In unserem wortkauderwelsch hat mich das eine immer gestört… was man für real hielt, bedeutet nicht das geringste im gegensatz zu dem, was real ist. Realität nämlich ist nicht wahrnehmbar, weder objektiv noch subjektiv noch mit dem arsch, aber mit den formeln Objektiver Zufall, dem die trouvaille angehört, die als Fundsache das zusammentreffen einer äußeren Kausalität mit einer inneren Finalität bezeichnet, der L’amour fou (wir kommen nicht umhin, den französischen begriff zu behalten), dem Aufheben der Gegensätze, der Poesie als magischen Akt, der Begierde (auch hier empfielt es sich, den frz. begriff zu wahren; désir; geraten wir dahin, wo wir uns als Menschen bezeichnen können, im übrigen sind wir nur mutierte schwätzer.

12.42

Es ist kein zufall, dass das sehen dem malen wie auch dem schreiben zugrunde liegt.
Weder das wort noch der satz sind das ergebnis oder machen die daseinsberechtigung der literatur aus. Alles ordnet sich in wirklichkeit auf einem grossen bildschirm an, wo das sichtbare jeglicher funktion entbunden ist, ihrer techné, wie die philosophen sagen würden, die für gewöhnlich zu viel denken, um zu sehen, und erneut ist es das kolossale eingreifen des unnützen, des ungeheuerlichen, der aussergewöhnlichen gegenwart der evidenz.

Das sichselbstgenügen der welt. Evidenz ist nicht beweis, denn einem menschen etwas beweisen zu wollen kommt dem trieb nahe, von einem hund zu verlangen, er habe die gedanken seine herrns zu verstehen (womöglich sollte der hund sogar der eigene biograph sein, was übrigens gar nicht so abwegig ist).

Sie sehen, ich verstehe diese spezies nicht. Da schleppt man einen beutel biologie durch die zeit (oder durch den raum?), um lange lange zu suchen, wo man ihn vergraben wird.

Juni, Dreizehn, Sieben

13.29

Die textverschwendung eindämmen, das inflationäre bloggen einstellen. Mich weniger für das weblog interessieren, schlagzahl verringern, etwas in diese richtung tun. womöglich keine grösseren textkörper mehr einstellen, nur noch die entstehung dokumentieren, etwas in diese richtung überlegen, mich mehr um ein „tatsächliches“ publikum kümmern, menschen mit intelligenz ausfindig machen, andere menschen, die nicht dem mainstream angehören.
Ich fürchte, der zeitgeist hat das alles erledigt. Es sieht beinahe so aus, als besäßen die gesuchten niemals internet. Das allein ist tragisch genug. Diejenigen, die nicht vernetzt sind, sind jedoch nicht diejenigen, die ich suche, denn ich suche nicht, ich stehe ausschließlich hier herum und denke voller ekel an die welt. Dann auch wieder nicht. Es müsste einem scheißegal werden, keine andere alternative. Vermutlich habe ich schlecht geschlafen.
Und wieder Adam. Soll ich ihn wirklich im Podcast verpulvern? Antwort: aber ja, wenn das der erste schritt in die egalität ist, dass es nämlich nichts bedeutet, ihn geschrieben zu haben, ihn vertont zu haben, dass es eben nichts bedeutet, mit ihm sonstwas anzustellen, dass man nämlich denkt, es ist noch platz zu verfügung und platz zu haben, bedeutet immer, etwas zu verramschen. Möglicherweise wäre darüber nachzudenken, den ramsch an sich zu kultivieren, möglicherweise sollte man auch nur zum Schierling greifen. Die zweitbeste lösung. Die beste wäre: gar nicht geboren zu sein. Silen.

14.55

Wie Adam sich daran erinnert, dass sie das Zimmer verlassen und er ihr voller Inbrunst seine Gedanken widmet, wie Adam also beweist, daß er eine unsichtbare begleiterin hat und an einem sehr alten bahnhof einem zugpassagier begegnet und wie ihm dann der spuk eines tragischen pärchens zu gesicht kommt, wie Adam mit dem zugpassagier spricht und dieser ihm absonderliches erklärt, Adam mit dem bus fahren will und von einer dame mit einem lattenrost dazu inspiriert wird, sich nach seiner tür zu sehnen, wie Adam schließlich dem traumvolk in einem theater begegnet, sich an Paris erinnert und von Babylon schwärmt.

16.03

Es beginnt stets reizvoll der tag. Man erwacht und hört die vögel und sieht nach den blumen, die jetzt allmählich ihre blüten zeigen und man trinkt den ersten kaffee und man hört die musik durch lichte räume schallen und denkt, man wäre in der welt. Aber man ist nicht einmal ein teil von ihr. Am anderen menschen können wir all unsere zweifel austragen, der welt ist das egal.

21.48

Zur klärung der perversion: Grass wurde durch den Nobelpreis zumindest psychologisch auf die stufe von Marquez, Asturias, Paz, Neruda, Faulkner oder auch Pinter gehoben. hätte er ihn nicht bekommen, stünde er, wiederum psychologisch, auf der stufe von Borges, Cortàzar, Joyce, Kafka, Proust… ich will damit sagen, einer menge mehr. Die Nobelpreisträger muss man betrachten wie die im krieg gefallenen.

Juni, Zwölf, Sieben

19.05

Es ist wurscht, was man schreibt, man muss jeden zu wort kommen lassen. Dann erst dürfen wir entscheiden.

19.11

Studienfaktor: sinnlosigkeit. Mir entgeht alles, und das schöne ist: jeder weiß es, nur ich nicht. Das habe ich nachgeholt. Literatur macht blöd, man hört auf zu leben, zumindest so, wie ich das betreibe. Ich glaube, ich scheiß drauf, aber ich muss es mir gut überlegen. Es ist der Rimbaud-Punkt, an dem man nichts mehr zu sagen hat, weil gesagt wurde, was gesagt werden wollte. Die literatur, das ist freilich ein riesengroßer schwindel, so als hätte die welt literatur überhaupt noch nötig. Das interesse am anderen, der schreibt, der von mir aus auch schreibt oder der zumindest so denkt, als könne er eines tages schreiben oder als hätte er einst geschrieben, hebt das auf, was dann, wenn es praktiziert wird, nichts übrig lässt außer tote gedanken, wie ein stinkendes, zermalmtes tier auf dem asphalt – jedes zurückholen des gedankens, des geschriebenen gedankens ist der nächste pneu.

19.37

All diese erscheinungen sprechen eine sprache und alles seiende trägt botschaften in sich, die so schwer zu verstehen sind, daß wir unendlich lange bräuchten, um sie zu entschlüsseln.