Juli, Dreiundzwanzig, Sieben

14.57

Weiter an der zweiten Figur zur mitte der unendlichkeit.

Als das damals in die nächste runde mit Anja ging (Das Leben ist nicht immer ein Fest, Flaming Bert), kam es, dass ich längst bei Gabrielle wohnte, besser gesagt, war ihr zimmer eine ausgebaute garage, bevor wir in das kleine theater zogen (Hahn auf dem Mist). Sie war gerade eine woche in Italien, was sich sehr gut traf, denn Anja war in dieser zeit aus Saarbrücken wieder zu gast bei Didi, ein opfer des Contergan, der jedoch mit seinen stummelarmen percussion spielte und auch ein speziell angefertigtes auto fuhr. Anja war auf interessante weise pervers, das habe ich in den entsprechenden geschichten gar nicht richtig herausgearbeitet, dass sie eine nymphomanin war, konnte ich mir zur damaligen zeit noch leisten, heute wäre das wohl mein sexueller untergang…
Nun, Gabrielle war also in Italien und ich wusste nicht, wie von Kühlsheim nach Osterburken kommen. Aber ich musste Anja wiedersehen (seit der fünftagesfeier war ein halbes jahr vergangen – Hahn auf dem Mist).
Zu meinem überglück hatte sie eine kleine Honda im schuppen stehen, 125 ccm – diese schnappte ich mir und ratterte los.
Es passt thematisch hervorragend. Vor zwei tagen entdeckte ich die coverversion der Beach Boys – Little Honda von Yo La Tengo, gerade als ich über gleichbedeutender passage sitze.

Juli, Zwanzig, Sieben

Kotelett erinnert den speiser an seine urzeitliche neigung, das fleisch gleich aus dem lebenden tier zu beissen. Sehr umständlich diese situation: mann rennt dem ren hinterher und versucht es mit einem brandeisen vorzugaren, noch im lauf, im schritt… und beisst dann dort hinein.
Das Kotelett macht es uns einfacher, es hält still und hat den „erinnerungsknochen“ zum schneidezahnigem abnagen. Das stimuliert einige tiefen stellen im grosshirn, im primitivhirn, wenn wir wollen, im althirn, klar, im meisterhirn, im sündengrau.
Ich werde wohl deshalb so gerne Kotelett essen, weil ich ein triebliebhaber bin. Nie esse ich es mit besteck, ich nehme es sofort zur hand und arbeite mich wie ein schwachsinniger zum elysium des homo heidelbergensis vor. Lassen sie es sich ruhig zwei cm hacken, machen sie frischen thymian drauf und nehmen sies vom lamm.

17.29

Weiter an der zweiten figur der mitte der unendlichkeit.

Ich sass mit Helmut gemeinsam im Holzwurm, er hatte gerade geöffnet. Bei Helmut musste ich die nächsten wochen verbringen, denn Patty hatte mich nun endgültig hinausgeworfen. Sie stand oben an der tür, ich stand unten am treppenplateu. Sie flennte, weil ich diesmal wirklich ging. Rauswurf war ein verbaler waffengang und der störte mich nicht weiter. Manche male jedoch sind zu viel. Dieses eine mal war es zu viel. Ich rief Helmut an. Der kam. Und Patty flennte. Natürlich hatte sie es nicht so gemeint, aber ich… und ging.

(Patty auch im Acheron als Patty und Amanda, im Hahn auf dem Mist als Patrizia und Patty)

Im Holzwurm bestellten wir eine pizza und dann wurden wir alleine gelassen, waren die einzigen gäste und warteten ein biblisches Zeitalter ab, bis das essen mit züngelnder entschuldigung auf uns kam. Das wäre hinzunehmen gewesen, aber die pizza schmeckte wie etwas sehr sehr schlechtes; kurzum: sie schmeckte wie eine schlechte lauwarme pizza, denn sie war eine schlechte lauwarme pizza.
Zu dieser zeit war es noch nicht so schlimm, als dass ich, wenn mir das essen nicht schmeckte, den teller durch das ganze lokal warf und ausser mir herumbrüllte… und auch heute ist es nicht mehr so. Ich bemerkte lediglich, dass dies eine ungeheuer schlechte pizza sei und ich sie nur in mich hineingewürgt hätte, weil ich aussergewöhnlich knurrenden hunger verspürt habe. Der jetzt weg ist, weil mir schlecht ist.
Statt dass die maid jedoch auf ihre knie nieder sank und echte reue zu protokollieren aufgab, fragte sie spitz, ob ich es denn besser könnte.
Nun war ich freilich empört (bevor ich pychologie studierte, wollte ich eigentlich gourmet werden und besuchte ein jahr lang die hauswirtschaftsklasse – nicht zuletzt wegen einer gewissen umtriebigkeit). Ich sagte ihr, dass es nicht schwer sei, so einen geschmacklosen fladen zu verbessern und sie erwiderte, dass sich dies hervorragend träfe, weil sie nämlich keinen koch hätten. So kam es, dass ich ein zimmer bekam (Das Leben ist nicht immer ein Fest – Acheron, Hahn), geld verdiente und mein bett befleischte.

Bis es jedoch soweit war, kam es zu damals bei uns Bohemiens üblichen, sehr ausschweifenden, orgien, über die ich vermutlich noch zu schreiben habe.

21.52

fangen wir es langsam an. das schreiben wird immer bei mir bleiben, das ist klar. dennoch werde ich meine ambitionen zurückschrauben. dadurch dass wieder einmal grössere umbrüche in meinem leben anstehen, ist noch nicht abzuschätzen, was das heisst.
vor allem bleibe ich eins: der literaturpunk. ich kann dieses graue gesocks nicht ausstehen.

22.32

„Tis old town been home long as I remember
This town gonna be here long after I’m gone.
East side west side take a close look ’round her
You been down but you’re still in my bones.“

– The Michael Stanley Band

Juli, Vierzehn, Sieben

Erbarmen! Zum ersten mal in meinem leben habe ich schlechten spanischen Tempranillo getrunken, leider in unaussprechlichen massen. Mein kater ist eine legende, er beschäftigt eine arbeiterkolonne in einem steinbruch. Von sprengen wollen die nichts wissen, die hämmern lieber.
Was geschieht nun? Ich greife die nächste zeit lieber wieder zu den franzosen.

Während ich also versuche, diese zeilen hier einzustaken, gehen geheimnisvolle dinge vor sich.

Juli, Acht, Sieben

01.04

Als ich noch nicht einmal zwanzig war, prophezeite mir Patrizia Berwarth, die auch im hahn auf dem mist erwähnt wird, dass ich eines tages in einer hütte im wald hocken werde, fernab jedes menschen, und meine bücher schreibe. Wie sie diese tendenz damals schon voraus hat sehen können, ist mir gerade ein rätsel.
Nun, ganz soweit bin ich eben noch nicht gekommen. Es kostet eine ungeheure anstrengung, sich den gesellschaftlichen zustrom vom leib zu halten, selbst wenn man an nichts von diesem blödsinn beteiligt ist. Nun muss man ja ab und zu dennoch aus dem haus und eben nicht nur in den wald.
Vor knapp zehn jahren habe ich in biesen vor dem kamin sitzend, all meine papiere, zeugnisse und dokumente außer dem personalausweis verbrannt, heute, in der schweiz sitzend, besitze ich einen von der botschaft in Bern ausgestellten reisepass, alles andere, das sich ansammelte, habe ich erneut fortgeworfen – diesmal leider nicht verbrennen können.
Seit letzter woche lese ich nun zumindest keine post mehr und werfe sie gleich ungeöffnet fort. Ich habe mir angewöhnt, mit niemanden, den ich nicht kenne, mehr zu reden, auch nicht zu grüssen. Wenn ich ab und zu essen gehe, schreibe ich das, was ich bestellen möchte auf einen zettel.

Juli, Vier, Sieben

Ich wurde 1969 als dichter geboren. Das heißt, es gab nie einen anderen weg; jedes erlebnis baute sich ausschliesslich vor mir auf, um literarisch interpretiert zu werden. Dass ich dabei auch das typische leben eines dichters aufgedrängt bekam, gefiel mir nicht immer. Durchhaltevermögen gegen die extrem literaturfeindliche gesellschaft musste ich nicht extra beweisen, denn die wahl, diese abzulehnen, gab es zu keiner zeit. In die gesellschaft integriert zu sein, heißt, der wurm zu sein, der im eigenen leibe frisst.

Aber man schreibt nicht gut aus protest, denn damit signalisierte man ja, dass man gerne dazugehören würde, wenn…

Der größte feind eines dichters ist die dummheit und diese ist nirgendwo mehr zu hause als in der politik und – der literatur. Manche gab es, die versuchten, beides miteinander zu verbinden, sie sagten sich: politik sind wir alle und literatur ist das leben. Doch um politik zu betreiben, auch literarisch, muß man einen hang zum verbrechen haben, man muß skrupellos und verlogen sein. So etwas liegt mir nicht, ich tendiere zur wahrheit, wenn man so will. Und mit der literatur ist es so eine sache, denn es gibt zwei literaturen: die literatur, die ignoriert und an den rand der existenzlosigkeit gedrängt wird und die literatur, die keine ist und die den etablierten gehört. Jetzt denkt man leicht, literatur gehöre zum kulturellen leben der gesellschaft und dort wird sie entsprechend hofiert, man leckt den anus und tackert den poeten geldscheine auf die grossporige haut. Aber umgekehrt ist es doch! Der autor, der da rein will in diesen saustall, leckt sogar den dünnschiss vom boden auf, wenn es ein funktionär so haben will. Das ist die literatur der gesellschaft, manche von denen bekommen sogar einen preis (aber auch manche von uns bekamen ab und an einen, damit es den blödsinnigen nicht gleich auffällt, daß es hier nicht mit rechten dingen zugeht).

Die wahrheit aber ist: kein literat auf dieser erde kann mit dem, was er tut, geld verdienen, er muß sich etwas anderes suchen oder eben… den unrat mit seiner zunge aufwischen.

Ich mache beides nicht. Ich schreibe und wenn ich es einmal nicht mehr schaffen sollte, meinen magen zu füllen, dann verhungere ich. So ist es in der natur vorgesehen. Nun habe ich es jedoch eine geraume zeit geschafft, am leben zu bleiben und das war immer und ausschließlich jenen kräften zu verdanken, die das universum regieren: den frauen.