Nun, das ist ja auch ein Tagebuch (und ich habe gar keine Tage, ich habe nur Gespenster). Da zeigt sich, wie sehr es Quatsch ist, etwas aufschreiben zu wollen.
Noch vor einigen Wochen hatte ich das fertige Buch im Kopf und jetzt sehe ich nach (man muss ja kurz nachschlagen, so ein Hirn hat ja auch seine versteckten Anwandlungen) und finde nur noch Trümmer. Wahrlich habe ich noch einiges zu tun, bevor mich die Schwierigkeiten ereilen. Die Achterbahn in meinem Kopf sollte jedoch keinesfalls im Roman selbst präsent werden. Jetzt schon darüber nachzudenken, dass es ein weiteres Stückwerk bleiben wird, ist entsetzlich. Entsetzlich daran der Gedanke, dass ich nichts, was mir jemals in meinem Leben wichtig war, erreichen konnte. Das wäre für wahr ein schlechter Schlussstrich, wenn man ihn jetzt ziehen würde. Man muss natürlich nicht so denken, man muss nichts erreichen – aber wenn man seine Zeit ausschließlich verplempert hat, dann hat man sich geirrt, wenn man denkt, man habe ja noch hundert Jahre zeit – dann drück die Hoheit der Gedankenlast wie ein Alptraum auf die Brust. Anmut verwandelt sich in Fratzenhaftes.
Mir fällt doch tatsächlich erst die letzten Tage auf, dass ich mich in eine vollkommene Einsamkeit manövriert habe. Na, das ist ganz selbstverständlich völlig lächerlich, so als ob man dem Blendwerk der Moorlichter folgt, um dann erstaunt zu versinken.
„Dabei waren sie doch so schön anzusehen,“ wird man sich sagen (sollte der Mund bereits überspült sein, kann man es auch denken).
Um das Buch fertig zu schreiben, fehlt mir gegenwärtig jegliches Interesse, in Wirklichkeit kann ich mich die letzten Wochen auf nichts mehr konzentrieren. Oh, ich habe alle Zeit der Welt, niemand verlangt nach diesem Buch – aber ich fürchte, wenn ich mich emotional zu weit davon entferne, komme ich nicht mehr zurück. Die Momente völliger Klarheit sind verschwunden.
Was DAS alles kann: nichts. Gar nichts.
Monat: Oktober 2007
Da ich zweimal am Tag bade
den tag muss ich mir seit neuestem einteilen wie einen kuchen. es darf kaum abweichungen geben, um nicht die fäden zu behalten. ich habe es geschafft, das ganze jahr über nicht später als mittags aufzustehen (noch letztes jahr stand ich erst am späten nachmittag auf). mein ziel ist es, den tag so gegen 10 uhr zu beginnen, doch das ist nicht einfach, weil ich seit beinahe zwanzig jahren für die nacht lebe. jetzt aber, da die aufzeichnungen an der MITTE DER UNENDLICHKEIT abgeschlossen sind und der roman äusserstes verlangen nach mir bekundet, muss ich mit der niederschrift jeweils um die gleiche zeit beginnen – oder ich lasse den tag aus. die letzten beiden tage ließ ich aus, weil ich über einen satz nachdenken musste, auch bin ich mit der dichte noch nicht zufrieden (das erste kapitel wurde völlig umgeschrieben und schon steckt in jeder szene der ganze roman selbst, was mich etwas verwirrt, denn zunächst wollte ich einen gang entlanglaufen, ohne türen, um in den ersten grossen saal zu gelangen. stattdessen ist der saal nun dominant und jeder flur obsolet. die perspektiven wollte ich diesmal nicht so schnell wechseln wie im acheron – überhaupt wollte ich das, was ich im acheron trieb, vergessen. er ist stellenweise sehr schlecht geschrieben, abgesehen davon, dass er nicht zu begreifen ist.
nun, die romanschreiberei widert mich nach wie vor an, aber das liegt nicht am roman selbst, sondern daran, dass jeder mensch dieser erde romane schreibt. romane oder gedichte – das schreiben sie alle, und daran kann man erkennen, dass niemand etwas gescheites zu tun hat. ich wäre sehr für eine abschaffung des wochenendes, diese faulheit der massen ist mir unerträglich.
da ich zweimal am tag bade (was man durchaus dekadent nennen darf) und mich mindestens zwei stunden in der natur aufhalte (ich bin immer noch die geilste sau unter allen dichtern dieser erde, so eine art mr. literatur), um dort meinen astralleib zu stählen (ich trinke keinen alkohol mehr, dafür pedaliere ich redlich), verschiebt sich der beginn der eigentlichen schreibtätigkeit etwas nach hinten, um es genauer zu sagen: er bleibt, wo er immer war – in der dunkelheit. wenn ich schreibe, lese ich nicht, ich kann keine fremden gedanken gebrauchen – so fällt dies für den augenblick nicht auf die zeit. dafür widme ich mich nach dem schreiben meiner ausufernden musiksammlung. ich bekomme in der woche zwischen 20 und manchmal sogar über 50 cd’s, die katalogisiert werden müssen – vom anhören ganz zu schweigen; was nicht in die sammlung passt, geht wieder zurück. was ich an zeit erübrigen kann, muss ich wieder einmal vom schlaf wegnehmen.
jetzt habe ich so viel um nichts herumgeredet, dass ich zufrieden schliessen kann. für heute.
Es gab noch einen anderen Trick
In den alten Notizen komme ich nun zu den Mexikanischen Briefen, ein Konvolut aus eilig niedergeschriebenen Aufzeichnungen, die ich mich scheue, zu verändern, auch wenn sie hier und da haarsträubend und unleserlich sind. Ich war beinahe rund um die Uhr am schreiben und habe einige Notizbücher in Mexiko gefüllt. Der Ton beginnt mit der typischen Euphorie eines Transatlantikreisenden, bis er in akute Paranoia mündet. Natürlich lag das alles in erster Linie an meinem immensen Drogenkonsum zu jener Zeit, der soweit ging, dass er mich 98/99 beinahe das Leben gekostet hätte. In Mexiko entstanden die Rohzutaten zur EVOLUTION DER UNNAHBARKEIT sowie FLEDERMAUSGEDANKEN. Bei ersterem handelt es sich um ein surreales Stück, das ich nach meiner Rückkehr zu einem Hörspiel umfunktionierte. Es war die letzte Zusammenarbeit mit den versprengten Mitgliedern der Theatergruppe AA. Kurz darauf brach ich ins Allgäu auf, um dort mein flottes Leben noch einen Gang höher zu schalten. Aus der AA wurde zunächst das Trio Infernale und dann die Lärmende Akademie. Vom einstigen Spektakel zu einem bloßen Namen.
Am Tag, bevor ich mit Baba dann in einer Art Raumschiff sass (nur für gewöhnliche Menschen war es ein Flugzeug), trieben wir das Geld, das wir hatten, noch etwas in die Höhe. Ich weiß nicht, wie es sich heute mit Bankautomaten verhält, aber 1993 konnte man ein Limit von 400 DM nicht überschreiten. Um das dennoch möglich zu machen, musste man innerhalb einer gewissen Zeitspanne von wenigen Minuten sofort am nächsten Automaten sein, bevor die Transfermeldung übertragen wurde. Judas fuhr den Wagen, Baba stürzte zum Automaten und zog ihre 400 DM, sprang hastig wieder zurück (das sah alles so aus, als hätten wir eine Bank überfallen und der Mitsubishi wäre ein Fluchtfahrzeug) und noch ehe sie richtig sass und die Tür geschlossen hatte, brauste Judas bereits los zum nächsten. Ich weiß nicht mehr, wie viel wir insgesamt extra bekamen durch dieses Manöver, aber es war einiges. Es gab noch einen anderen Trick, die Maschinen zu überlisten, aber der gehört wiederum zu einer andere Geschichte.
Zwischen Traum und Wachen
Analogie zwischen Traum und Wachen sind die Fixpunkte des surrealistischen Universums. Wunscherfüllung ist das Lustprinzip. Zensur ist das Realitätsprinzip.
Dilemma – das scheint immer eine ausweglose Situation zu bezeichnen. Man sollte nicht über Hammer und Nagel diskutieren, wenn man sich gerade auf den Daumen geschlagen hat.
In COI beschreibe ich eine Liebesgeschichte; und wie es mit Liebesgeschichten so ist, entspringen sie immer der Phantasie eines… nun, etwas verrutschten Autors; Liebesgeschichten sind ein Äquivalent zu einem weitaus mehr verpönten Genre: der Horrorliteratur. Beide, Liebesgeschichte und Horrorgeschichte gehören der Phantastik an, wobei gesagt werden kann, dass Liebesgeschichten unrealistischer erscheinen als jeglicher Horror – und es auch sind.
In COI wird Adam in den Wolken ein stilisiertes Gesicht erkennen und noch nichts davon ahnen, dass jenes Mädchen, in das er sich gerade verliebt, nicht nur durch die Tatsache flüchtender Wolken unerreichbar ist, sondern auch durch 6000 Jahre Kalenderzeit. Was ich damit ausdrücken will, ist die Unmöglichkeit der Liebe, die dennoch Adams folgendes Leben beherrschen wird.
Kafka drückte das einmal mit Krähen aus, indem er sagte: Himmel bedeute Unmöglichkeit von Krähen.
Wenn ich jetzt eine Brücke schlage, und die Wahrheit sage, dann muss ich anmerken, dass ich dieses Wolkengesicht selbst gesehen habe, als ich elf Jahre alt war. Das ist an sich nichts Besonderes, wir wissen alle, dass man in Wolken alles sehen kann, was man darin sehen will. Was das Beunruhigende an dieser Sache ist: warum habe ich es nie vergessen? Es gibt weitaus phantastischere Dinge in den Wolken zu entdecken als ein Gesicht, aber ich kann mich nur an dieses Gesicht erinnern. Das Ergebnis ist schnell erläutert und ist eine weitere Analogie Adams zu mir selbst: von diesem Zeitpunkt an wird Adam in allen Frauen dieses Gesicht suchen, so dass er sich zu einem Don Juan entwickelt. Das, was ich selbst nicht vermochte – Adam jedoch schon, ist, dass er Myrrha (die Frau, nach der er eigentlich sucht) in seinen Träumen treffen kann. Er kann sie nicht einfach nur träumen… es wird kein Wunschtraum bleiben, er kann sich tatsächlich mit ihr… was auch immer.
Damit ist die Geschichte allerdings noch lange nicht erledigt, um ehrlich zu sein, ist damit nicht einmal ein sechzehntel von COI abgedeckt.
Das phantastische Element dieser Liebesgeschichte liegt auf der Hand, man muss es nicht weiter besprechen.
Tatsächlich war auch mein eigener Don Juanismus von der gleichen Intention geprägt, und seien wir ehrlich: welcher geistig gesunde Mensch glaubt an soetwas wie die romantisierte Liebe. Man vögelt sich durchs Packeis und bei irgendjemanden bleibt man eben – oder auch nicht, das hängt sehr von den jeweiligen Individuen ab. Man spricht verschiedenartig über etwaige Enttäuschungen – aber das würde voraussetzen, dass man wirklich getäuscht wurde, nicht wahr? Dass man getäuscht wurde und sich nicht selbst täuschte.
Das veranlasst mich zu folgendem, ich schrieb es, als es mir nicht gutging, in etwa als es mir wie jetzt nicht gutging (wobei ich anfügen muss, dass es schon sehr lange her ist, da es mir mit einer gewissen Dauer gutging). Ich glaube nicht, dass man sich daran gewöhnt, auch wenn es eine Zeit gab, da ich etwas in der Art zu hoffen wagte.
Vakuumstutzen
Von manchen Dingen habe ich wirklich die Schnauze voll, aber es sind nicht die Dinge an sich, die mir da über die Lippen hängen wie schlecht eingesogene Nudeln, sondern was sie in mir auslösen. Die emotionale Gefilde sind immer auch die fragilsten; selbstverständlich sind sie das und sie führen schlussendlich auch in den Ruin. Den Dingen seinen Lauf lassen, Geschehnisse beobachten, den Honigtopf völlig leer machen, ohne ihn zu teilen, ihn dann aber nicht mehr füllen lassen, sondern zu einem neues Eldorado aufbrechen. Manche Honigtöpfe sind eine Illusion, sie lösen eine Dosis Euphorie aus – danach aber ist man verkatert wie nach beinahe jeder Droge.
Heute sah ich ein Liebespärchen und es war noch ganz frisch. Mein Faible für Liebesgeschehnisse ist trotz allem überhaupt nicht eingerostet, mein Blick dafür nach wie vor geschärft.
Sie standen, verborgen von einigen Büschen abseits des Weges, den ich entlangschlenderte, um mir so gegen 15 Uhr endlich mein Frühstück zu besorgen. Heute Nacht schlief ich einen todesähnlichen Schlaf – das liegt an der Geschichte, an der Veranda, sie konnte mich eine Zeit lang ansaugen wie ein Vakuumstutzen.
Es handelte sich um Jugendliche und beim Passieren bemerkte ich zwei Dinge: erstens war es vermutlich das erste Rendezvous der beiden und zweitens behielten sie trotz aller nervösen Hingezogenheit zueinander stets alles im Blick, so wie Rehe das tun. Der Junge rauchte, das tun Jungen, sie sind nervöser als Mädchen, zumindest in der Öffentlichkeit.
Das Gewinnspiel, das ich morgen in Zürich lese, habe ich etwas umgeschrieben, so dass ich es auch richtig zelebrieren kann – das bietet sich bei dieser Story allerliebst an. Ich muss jetzt nur noch den Klops in meinem Magen, der nun schon die ganze Woche dort hängt, loswerden – der ja nichts mit der Lesung zu tun hat. Freilich würde ich mich gerne besaufen und ab morgen werde ich das dann auch tun, zumindest ein, zwei Wochen lang, vielleicht auch den ganzen Oktober durch – und im November sollte ich vielleicht noch einmal nach Paris – oder ich sollte im Oktober nach Paris und mich im November besaufen. Vielleicht sollte ich auch alles ganz anders machen.