Februar, Zehn, Sieben

(…)aber sehen Sie: irgendwo hinein-zupassen, das kann kein Dichter wollen. Der Mainstream wurde mir, sozusagen aus dem Leib geätzt mit vielerlei Geist (…) Korr. mit Katharina Sieckmann, 2005

Wenn man völlig abgeschnitten ist von jeglichen Zugeständnissen, die es zu machen gälte, so wie ich das bin, hat man natürlich gut Lachen. Andererseits ist es ein Wahrnehmungsphänomen, daß ich nämlich vor lauter Dreck und Popanz nicht wahr-genommen werden kann, daß es keine Rezeptionsgeschichte geben kann, weil ich zu schwierig und arabesk aufspiele, weil ich, wenn ich erzähle, die Welt wie einen Sog in ein schwarzes Loch hämmere, weil man es nicht gebrauchen kann, daß es einen wie mich gibt, der die Null in seiner Seele tätowiert trägt, Zahl des Narren, der ich bin.
Ziffer – nicht Zahl, die im arabischen sifr nun auf die Form einer geschlossenen Muschel bei den Maya, dem sunya der Inder, Zephirum bei den Engländern hinweist, als Form also deutbar diesem: Die Muschel sowie die Null ähneln der Vagina und freilich ist die Null die universelle Gebärmutter, denn jede Zahl entsteht aus der Einheit und diese wiederum aus der Null.
Der Narr steht dem Treiben der Welt gleichgültig gegenüber, was in dieser Welt wichtig ist, interessiert ihn nicht mehr.
Wie sollte denn jemand wie ich betteln gehen vor den Toren korrupter Verlagsanstalten, solange es noch nahrhaften Dreck von den Strassen zu lecken gibt – wie wurscht ist mir das Leben für jemanden. Wie sollte ich den Dreck scheuen, aus dem ich komme?
Das kann man sagen: Unausgeglichenes Genie, weil nichts an meiner Sprache rührt, die aus einer anderen Welt mich angeht. Mystisch? Nein, denn eine andere Welt liegt nicht entfernt, sozusagen ist sie bloß ums Eck, für die Halsstarren nicht im Bereich einer Kopfwende.
Würde ich das sagen, wenn ich nicht der Autor des „Acheron“ wäre? Natürlich nicht, dann würde ich schweigen. Müssen.
Ich bin nicht in diesem verfluchten und angeblichen Wohlstand aufgewachsen. Während sich die anderen gegenseitig nach der Schule die Pickel ausdrückten, fraß ich verschimmeltes Brot oder versuchte, meine Klamotten mit eiskaltem Wasser zu waschen. Ich stank in der 7ten Klasse, ich stank in der 8ten Klasse, ich stank in der 10ten Klasse wie ein Schwein und war abgemagert bis auf die Knochen, trug Second-Hand und klebte Poster mit meiner Wichse an die schloßähnlichen Wände, weil ich weder Tesa noch Reißzwecken besaß. Das war meine persönliche Nachkriegszeit, und vielleicht war es eine Art Ahnen-Rache, weil alle Kerle unserer Familie ohne einen Kratzer oder zumindest einem Schrapnell im Bein aus dem Krieg zurückgekommen sind.

Veröffentlicht von

Michael Perkampus

Michael Perkampus war Moderator der Literatursendung Seitenwind für Radio Stadtfilter in Winterthur. Er ist Autor, Übersetzer und Herausgeber des Phantastikon.