Juni, Acht, Sieben

15.44

Eine weitere Orchidee kam heute ins sortiment, einiges umgetopft, vom wilden wein einen ableger genommen.
In der küche gab es gestern enchiladas, mir fehlten allerdings die frijoles, es war dennoch eßbar; heute hingegen siede ich ein hüftstück vom rind mit wunderbaren phasern in wurzelgemüse. mal sehen, ob ich nicht nachher noch einen blumenkohl dazu finde, insofern ich es schaffe, ein geschäft zu betreten.
Wer sich nun fragt, wie ich ansonsten an meine kulinarischen substanzen gelange: freilich werden sie mir gebracht.

16.04

Muß jetzt meinen hund holen, der einen anderen hund besucht. Was nicht zu vergessen ist: essen sie erdbeeren. Man sagt zwar daß, wenn man es nicht tut, die welt davon nicht untergeht, aber das stimmt nicht. Und nennen sie die erdbeere niemals eine beere, sie ist nämlich eine nuß. Und: fragen sie nicht, warum meine erdbeeren auf einem roten kissen stehen.

16.14

Die bildungsgesellschaft: jeder weiß heute alles und was nicht gewusst wird, schlägt man schnell im internet nach, ob das, was da steht stimmt oder nicht, spielt keine rolle, hauptsache, man weiß etwas.
Sehen sie, was ich weiter oben sagte: die erdbeere ist eine nuß. Das ist kein geheimnis, man kann es ganz bequem nachschlagen. Ich sage also nur etwas, das ganz leicht jeder wissen könnte – das ist natürlich kein wissen, denn es bleibt an der oberfläche, über die erdbeere wird deshalb nicht mehr gewußt.
Man muß sich also die frage stellen: sollen wir, wenn der pöbel schon alles weiß, noch mehr wissen oder das Wissen als solches in frage stellen?
Beides wäre denkbar. Nehmen wir das wisseninfragestellen.
Jeder weiß: Erdbeeren sind ein schlankmacher. Das ist natürlich blödsinn, es stimmt in etwa so, als wenn man sagt: kaffee ist ein schlankmacher. Tatsache ist: die erdbeere macht nicht dick (das heißt noch nicht, daß sie schlank macht, aber es verkauft sich eben besser). Tun wir jetzt so, als wissen wir nix, rein überhaupt nix – dann essen wir das ganze jahr erdbeeren, tun zucker drauf und schlagobers wie die lieben österleins. Und siehe da: wir entlarven das gerücht, die erdbeere sei ein schlankmacher als lüge.
Wollen wir jedoch so tun, als wüßten wir mehr als das, was wir nachschlagen können, dann drücken wir das so aus: Rainer Maria Rilke war besessen von Erdbeeren. Er lies schon mal eine frau dafür sitzen und pflückte sie sogar selbst auf großen feldern. Viele gedichte schrieb er mit einer beere (natürlich einer nuß!) im mund und auf den skriptseiten zu seinem Malte finden sich erdbeerflecken!
Und warum das alles? Nun, in der Erdbeere finden sich große anteile an Kämpferol und Ellagsäure, Anthozyan und Katechine. Merkt man das Rilkes gedichten nicht an?

Veröffentlicht von

Michael Perkampus

Michael Perkampus war Moderator der Literatursendung Seitenwind für Radio Stadtfilter in Winterthur. Er ist Autor, Übersetzer und Herausgeber des Phantastikon.