Juni, Neunzehn, Sieben

12.05

Ich wäre gern wieder dort in diesem zimmer. Ein zimmer, das sich keiner freiwillig nehmen würde, klein und mit dieser nische. Ein einzelbett hat darin platz, nicht mehr. Zur hälfte wird es dennoch in den übrigen raum hineinragen. Das fenster liegt ebenerdig, vorbei führen breite stufen, hinauf zum weg, der damals noch nicht geteert war, hinunter zu den hängenden gärten, weiter hinunter zur Eger. Ohne zweifel das fenster einer mitte. Bevor ich es ringsherum mit alufolie ausgekleidet hatte, blickte man auf ein typisches reliefmuster, das hier überall zu finden war. Man hatte tapeten ausprobiert und es wieder verworfen, also kam alle zwei jahre der maler. Aber nicht für dieses zimmer, nur für die wohnstube und das schlafzimmer.

Es ist klar: der Surrealismus beginnt mit der kindheit. Er ist jenes lichte tor, durch das wir alle gehen können. In unserem wortkauderwelsch hat mich das eine immer gestört… was man für real hielt, bedeutet nicht das geringste im gegensatz zu dem, was real ist. Realität nämlich ist nicht wahrnehmbar, weder objektiv noch subjektiv noch mit dem arsch, aber mit den formeln Objektiver Zufall, dem die trouvaille angehört, die als Fundsache das zusammentreffen einer äußeren Kausalität mit einer inneren Finalität bezeichnet, der L’amour fou (wir kommen nicht umhin, den französischen begriff zu behalten), dem Aufheben der Gegensätze, der Poesie als magischen Akt, der Begierde (auch hier empfielt es sich, den frz. begriff zu wahren; désir; geraten wir dahin, wo wir uns als Menschen bezeichnen können, im übrigen sind wir nur mutierte schwätzer.

12.42

Es ist kein zufall, dass das sehen dem malen wie auch dem schreiben zugrunde liegt.
Weder das wort noch der satz sind das ergebnis oder machen die daseinsberechtigung der literatur aus. Alles ordnet sich in wirklichkeit auf einem grossen bildschirm an, wo das sichtbare jeglicher funktion entbunden ist, ihrer techné, wie die philosophen sagen würden, die für gewöhnlich zu viel denken, um zu sehen, und erneut ist es das kolossale eingreifen des unnützen, des ungeheuerlichen, der aussergewöhnlichen gegenwart der evidenz.

Das sichselbstgenügen der welt. Evidenz ist nicht beweis, denn einem menschen etwas beweisen zu wollen kommt dem trieb nahe, von einem hund zu verlangen, er habe die gedanken seine herrns zu verstehen (womöglich sollte der hund sogar der eigene biograph sein, was übrigens gar nicht so abwegig ist).

Sie sehen, ich verstehe diese spezies nicht. Da schleppt man einen beutel biologie durch die zeit (oder durch den raum?), um lange lange zu suchen, wo man ihn vergraben wird.

Veröffentlicht von

Michael Perkampus

Michael Perkampus war Moderator der Literatursendung Seitenwind für Radio Stadtfilter in Winterthur. Er ist Autor, Übersetzer und Herausgeber des Phantastikon.