Es wird Zeit, in aller Kürze dennoch, jene Geschichte anzusprechen, die ich neben einigen Poe-Texten wohl bis an mein Lebensende immer wieder lesen werde. Es ist, das vermag ich wohl zu sagen, die schönste Geschichte die ich für mich jemals entdeckte, und die mich seit früher Kindheit an begeistert und wieder und wieder diese ganz spezielle Sehnsucht in mir anfacht. Gemeint ist E.T.A Hoffmanns Goldener Topf. Von einer Lieblingsgeschichte zu sprechen klänge mir zu banal – da gibt es aberviele, die ich ebenfalls heranziehen wollte – aber die Besonderheit, die dem Goldenen Topf innewohnt, möchte ich nicht unerwähnt lassen.
Freilich kennt man die Erzählung ohnedies als eines der schönsten Prosastücke deutscher Literatur, und sie ist ja auch über alle Maßen berühmt, berühmter sogar als die Prinzessin Brambilla, bei der es heißt:
Nichts ist langweiliger, als, festgewurzelt in den Boden, jedem Blick, jedem Wort Rede stehen zu müssen!
Die Kapitel sind hier mit Vigilien überschrieben. Hoffmann tat dies in direkter Anlehnung an die Nachtwachen des Bonaventura und das Konzept wird zunächst nicht ganz klar, weiß man nichts von einem Spannungsfeld der romantischen Sprache zwischen Mystik, Poesie und Wissenschaft.
Der Goldene Topf ist jedoch einer derjenigen romantischen Prosatexte, der sich einer versteckten alchimistischen Symbolik am weitgehendsten bedient. Selbstverständlich kommt dabei ein projektiver bzw. animistischer Grundzug der Alchemie (mit ihrem Angebot an psychologisch beziehbaren Bildern) dem allegorischen Interesse romantischer Poesie auf halbem Wege entgegen. Ähnlich verhält es sich mit den bildkräftigen Mythen schlechthin, sowie den Märchen überhaupt, als Sprache des Unterbewußten.
Beide – die Alchemie wie auch die Poesie – experimentieren mit einem Wechsel des Aggregatszustandes; die Poesie allerdings mit einem für die romantische Poetik typischen ironischen Bruch.
Wenn Anselmus zum Beispiel daran geht für den Archivarius Lindhorst einige arabische und koptische Manuskripte zu kopieren und dabei mit folgenden Worten gewarnt wird:
Sie werden künftig hier arbeiten, aber ich muß Ihnen die größte Vorsicht und Aufmerksamkeit empfehlen; ein falscher Strich, oder was der Himmel verhüten möge, ein Tintenfleck auf das Original gespritzt stürzt Sie ins Unglück.
– dann ist dies eigentlich erst vor dem Hintergrund einer kabbalistischen Einschätzung von der Schrift als welterzeugenden, und im Falle einer fehlerhaften Abschrift, weltvernichtenden Energie eben dieser Schrift zu verstehen. Hier konzentriert sich Hoffmann eindeutig auf die in der Romantik diskutierte Schriftspekulation, nämlich: die literarische Schrift als imaginatives Medium, das kraft einer ästhetischen Magie neue phantastische Welten erschafft. Daß der Schrift dabei neben der weltschöpferischen ebenfalls eine erotische Qualität beikommt, merkt man nicht gerade wenigen romantischen Texten an, oftmals – nun weg von der dennoch auch immer allgegenwärtigen Alchemie – psychologisch verspiegelt. Eines der herausragenden Beispiele erotischer Sublimation findet sich in Novalis‘ Heinrich von Ofterdingen, nämlich in der Szene, wo er die Blaue Blume schaut, und hinter der sich ein Modellfall für den Psychoanalytiker offen verbirgt. In einem Traum steigt dieser in eine Felsschlucht über bemooste Steine hinan, gerät in eine unterirdische Höhle, deren Wände mit einer glänzenden Flüssigkeit überzogen sind und steigt dort entkleidet in ein Becken:
Jede Welle des lieblichen Elements schmiegte sich wie ein zarter Busen an ihn. Die Flut schien eine Auflösung reizender Mädchen, die an dem Jüngling sich augenblicklich verkörperten, und eine himmlische Empfindung überströmte sein Innres.
Danach fällt er in eine Art von süßem Schlummer, und hier erscheint ihm nun in einem Traum eine hohe lichtblaue Blume.
E.T.A. Hoffmann spielt in seinem Goldenen Topf die Erotik ganz anders aus, aber auch er verlagert freilich das Elysium in eine Traumwelt. Nicht wenig wird hier mit dem Feuer gespielt, dafür trägt schon der Archivarius Lindhorst Sorge.
Anselmus, der am Anfang recht trübsinnig ob seines Ungeschicks den lieblichen und verwirrenden Gesang der grünleuchtenden goldenen Schlänglein unter einem Holunderbusch vernimmt, dessen verwirrende Worte in ihm ein glühendes Verlangen setzen, bekommt am Ende seine Serpentina und verschwindet nach Atlantis. Der Kniff, den Hoffmann hier anwendet, vollzieht er oft: er mischt sich nämlich einfach in die Geschichte ein und steht plötzlich als der Erzähler selbst im Märchen, traurig und matt. Es will ihm diesmal nicht gelingen, seinem Protagonisten hinterherzuschreiben in diese andere Welt. Ernüchterung ist eingekehrt nach dieser bezaubernden Erzählung. Doch Lindhorst alias Salamander läßt ihn nicht im Stich und erscheint mit einem schönen goldenen Pokal.
„Hier“, sprach er […] es ist angezündeter Arrak… Nippen Sie was weniges davon.
Das läßt sich der Erzähler nicht zweimal sagen. So erlauben die Künste des Salamanders einen Blick hinüber. Das kann nichts anderes bedeuten, wie: Das Paradies ist nebenan.