Als Leidenschaft und nicht nur als Idee ist die Liebe in der Neuzeit revolutionär gewesen. Die Romantik hat uns nicht gelehrt zu denken, sie hat uns zu fühlen gelehrt. Das Verbrechen der modernen Revolutionäre war es, dass sie das affektive Element aus dem revolutionären Geist ausgemerzt haben. Und die große moralische und geistige Misere der freiheitlichen Demokratien ist ihre Gefühllosigkeit. Das Geld hat die Erotik konfisziert, weil Seelen und Herzen schon ausgedörrt waren.
Obgleich die Liebe noch immer das Thema der Dichter und Romanciers des 20. Jahrhunderts ist, ist sie in ihrem Innern verwundet: dem Begriff der Person. Die Krise der Idee der Liebe geht einher mit dem Verschwinden der Seele. Die Idee der Liebe war während eines Jahrtausends der moralische und geistige Impuls unserer Gesellschaften gewesen. Sie entstand in einem Winkel Europas, und wie das Denken und die Wissenschaft des Okzidents hat sie sich weltweit verbreitet. Heute droht sie zu verschwinden: ihre Feinde sind nicht mehr die von einst, die Kirche und die Moral der Enthaltsamkeit, sondern die Promiskuität, die aus der Liebe einen Zeitvertreib macht, und das Geld, das sie in Sklaverei verwandelt. Soll unsere Welt wieder gesunden, muss die Therapie eine doppelte sein: die politische Regeneration schließt das Wiedererstehen der Liebe mit ein. Beide, Liebe und Politik, sind abhängig von der Renaissance des Begriffs, der die Achse unserer Zivilisation gewesen ist: die Person. Ich denke nicht an eine unmögliche Rückkehr zu den alten Konzeptionen der Seele; ich glaube, dass wir, bei Strafe des Erlöschens, notwendig eine Vision vom Mann und von der Frau brauchen, die uns das Bewusstsein der Singularität und der Identität einer jeden Person wiedergibt. Eine zugleich neue und alte Vision, eine Vision, die in zeitgerechten Begriffen jedes menschliche Wesen als ein einzigartiges, einmaliges und kostbares Geschöpf betrachtet. Es ist Sache der schöpferischen Vorstellungskraft unserer Philosophen, Künstler und Wissenschaftler, nicht das uns Fernste wiederzuentdecken, sondern das Vertrauteste und Alltäglichste: das Geheimnis, das jeder von uns ist. Um die Liebe neu zu erfinden, wie der Dichter forderte, müssen wir den Menschen neu erfinden.
– Octavio Paz, Die doppelte Flamme, Bibliothek Suhrkamp (204-205)