Untersuchung der Werwölfe

Ich bin schon wieder ein Wolf und ich muß mich entschuldigen. Jetzt kommen sie, ich muß verschwinden. Geben Sie auf sich acht, auch wenn michderjägerholtmitdemschießgewehr ich nicht mehr bin – die Gefahr lauert überall, selbst bei Ihrem Barbier, der Ihnen Zöpfe wringt.
Seit Lykaon die Götter solange frevelte, bis Zeus höchstselbst bei ihm einen halben Kruck Wein nahm, ist doch alles nur noch Wolf. Darauf läuft es schließlich hinaus. Dem Zeus war zu Schelten angeraten vom Rest der olympischen Maculmacher; und schelten wollte er – nach dem halben Kruck Wein (will sich ja nicht gleich den Schank verderben, bloß weil einer Sauereien plärrt, die Göttinnen vernuttet, die Götter verschwult).
Lykaon war wohl Atheist und riß zeuselnde Witz, ganz unbeeindruckt von göttlichem Feuerwerk und transzentaler Geruchlosigheit.
Einer der Witze verstand sich auf die Pointe, Zeusen hinmetzeln zu lassen, ihn zu richten für die Taktlosigkeit wohlgemerkt, sich eben für Zeus zu halten.
…und eine Hinrichtung überlebt der nimmer; nuschelt der Hof nach hintendrein & rührt in den Pötten, um das Geschmalz so schmalzig zu bekommen, daß es nachher auf den Braten aufgetragen werden kann. Kräuter und Schmalz, dann Salz, dann Pfeffereien, stoßen, stoßen, mit dem Stößel stoßen – und rühren, den Topp packen und drei Mal auf den Tisch wumpen und nebenher nuscheln, das überlebt der nimmer, wenn der König dem Zeusvagabunden den Kopf abspricht.
Sollte Zeus überleben, wäre wohl der Beweis erbracht, daß die Blitze ihm gehörten & daß er auch ein recht prachtvoller Ficker sei. Zeus, der olympische Herrenzimmerbesitzer.
Doch tafeln wollen wir, wir wollen ja immer tafeln, ob König, ob Gott, ob Wolf.
Die Gaudriole jedoch war, daß Lykaon seinen siebenjährigen Sohn schlachtete, um diesen als Henkersmahlzeit, bestrichen mit der feinen Paste…
Es vergingen an die zwei Stunden am Spieß, innen rein kamen Äpfel und Nüsse (auch ein Wenigelchen von der Paste)
…anrichten zu lassen.
Nun mundet Menschenfleisch freilich nur, wenn es noch keine geschlechtstypischen Merkmale in sich veredelt hat. Wäre der Sohn 14 gewesen, würde man sprachlos bleiben oder sagen müssen, das Mahl wäre ja nur ein Symbol, das würde ja doch niemand essen im Angesicht des Ernstes der Lage.
Und doch: das Bürschchen war sieben und triefte nur so vor Saft und Schmackes. Zeus nun mochte viel über sich ergehen lassen, wenn es sich um seine Mit-The-Innen handelte (Mi-thesinen ist das Wort, ich suche es schon die ganze Zeit und als ich nachher zu der Zeile komme, ist es weg, dann ist es wieder da), die ihn da schnörkelpiepen wollten. Er konsumiert auch viele von ihnen (wobei sein hauptsächliches Interesse den Reben dieses Fremdlings aus Kleinasien galt), aber hier spielte er nicht mehr mit. Lykaon mochte ein Frevler sein wie er wollte, er mochte Brandschatzen und Foltern und Spießen und hinraffen lassen, wie es ihm beliebte, aber eine derart ungöttliche Greueltat wollte er nicht dulden. So verwandelte Zeus Lyakon in einen Wolf, der sich stets zur Vollmondnacht seinem Bluttrieb, dann, wenn das Blut rieb, hingeben mußte.

April, Achtundzwanzig, Neun

DSC00022Zurück aus Basel mit reichlich Visitenkarten. Hier mit Avji Sirmoglu, die mich an die Uni von Unten holte. Bilder habe ich selbst keine, da ich aber ständig geknipst wurde, wird mir wohl das ein oder andere zugehen. Gefilmt wurde ich von Avilluk. Bedanken möchte ich mich für die unerhörte Freundlichkeit, mit der mir begegnet wurde und nicht zuletzt für das rege Interesse, das in der Diskussion nach der Lesung aufwallte. Leider konnte ich die Gespräche nicht so weit vertiefen, wie ich es gerne gehabt hätte. Basel selbst ist für mich jedoch eine weitere Reise wert, und ich freue mich darauf, im Juni wieder vor Ort sein zu dürfen.

Verneinung

Nach jemanden fragen,
den man nicht kennt
und darauf antworten.
Sich nach dem Befinden erkundigen
und darauf reagieren.
Die Verneinung
trägt ein Salz in ihrer Wunde,
Gedankenlosigkeit, die sie ist.

Ludwig Tieck – Franz Sternbald

(Vorwort zur „Liebhaberbibliothek“ der Edition Neue Moderne, die 2008 vorläufig auf Eis gelegt wurde, weil sie ein anderen Verlag übernehmen wird. Das Projekt wurde bereits für 2010 oder 2011 inauguriert. Alle Bände werden von mir bevorwortet sein.)

Mit Franz Sternbald legte Tieck den frühen romantischen Roman vor, der bereits alle von der frühromantischen Poetik geforderten Merkamle aufweist. Zunächst ist er fragmentarisch angelegt, montiert einzelne Teile in einem arabesk angelegten Stil ineinander und vermischt die Gattungen. Ebenfalls ist das durchgängige Erscheinungsbild des romantischen Romans, nämlich die geschichtsphilosophische, ästhetiktheoretische und poetologischen Passagenvielfalt hierin bereits vertreten, so daß Friedrich Schlegel freudig mizuteilen weiß, daß der Sternbald nach dem Don Quixote als erster romantischer Roman zu betrachten sei und noch über Goethes Wilhelm Meister stehe – jenem Roman, an dem sich seinerzeit alles rieb und der nach anfänglichen Enthusiasmus einhellig als „albern“ und „unpoetisch“ abgekanzelt wurde.
Für die frühromantischen Romane ergibt sich in thematischer Hinsicht eine Dominanz des Bildungs- und Entwicklungsmotivs, das entweder an Goethes Meister anknüpfte oder sich davon abzusetzen trachtete. Die Komplexe Liebe, Künstlertum, Gesellschaft und Geschichte bekamen einen überragenden Platz zugewiesen. In der Romantik wurde der Künstler als einzig legitimer Held des Bildungsromans bestimmt, somit der Künstlerroman definiert. Ziel war es, die künstlerische Sonderstellung gegenüber Gesellschaft und Wirklichkeit auszuprägen und somit die Kunst gegenüber den Zumutungen der philiströsen Welt abzudichten. Ludwig Tieck machte hierzu den ersten entscheidenden Schritt, noch bevor Novalis den Griffel fasste und seinen Ofterdingen papierte. Die Struktur der Reise – neben der Liebe das Kernthema der Romantik schlechthin, berücksichtigt die psychologische Komponente der nach innen gerichteten Schau derart, daß sie die verdrängten und vergessenen Schichten geradezu aufreißen will. So ist die Reise stets auch ein Weg hin zum eigenen Selbst, die oberflächlichen Ortsveränderungen nur begleitendes Thema.

Michael Perkampus, Zürich 2008

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Das Leben ist eine Reise. Die Queste ist, da kann man gar nicht anderer Meinung sein, das Synonym des Lebens. Mit dieser Reise als ein Symbol verbunden ist der Weg. Abzweigungen deuten an, dass wir uns zu entscheiden haben; bedeuten Möglichkeiten. Aber nicht überall stoßen wir auf einen Kreuzweg, der uns eine Entscheidung abverlangt. Können wir umkehren? Ja, das können wir, aber dennoch bleibt die Teilstrecke begangen. gross-magier1Was wir dort schauen konnten, kann nicht dem Vergessen anheim fallen.
Doch der ganze Kosmos befindet sich auf einer Reise; Planeten und Teilchen – alles, was ist, und vielleicht auch das, was nicht ist. Die Natur verabscheut die Leere, auch wenn man daraus nicht schließen kann, dass es etwas wie Leere nicht gibt. Aber eines kennt das Universum nicht: die Idee eines feststehenden Punktes. Statikos, stagnatio, sind nur temporär wahrnehmbare Phänomene.
Und der Weg, den wir gehen, ist nur einmal dieser Weg. Wollen wir zurückkehren und ihn noch einmal gehen, handelt es sich bereits um einen anderen Weg – um das überall auftauchende heraklitische Prinzip, das man auch als den Prozess des Geschehens bezeichnen kann. Das ist die Zahl 1 und sie ist unteilbar. In einem Rechenbuch aus dem Jahre 1537 kann man lesen:

Daraus verstehst du, dass die 1 keine Zahl, sondern es ist eine Gebärerin, Anfang und Fundament aller anderen Zahlen.

C.G. Jung macht einen Unterschied zwischen dem unzählbaren einen und der zählbaren 1. Nach seiner Ansicht ist die 2 die erste Zahl, weil mit ihr das Zählen beginnt. Mit der 2 tritt neben das eine ein anderes. Man kann auch weiter gehen und sagen: ohne dieses andere gibt es das eine gar nicht. Für die griechischen Philosophen war das eine männlich, da es als “Vater” alles Seiende erzeugte. Die Ähnlichkeit der Ziffer 1 mit dem Buchstaben P, der sowohl als Abkürzung für Priapus (lat. männliches Glied) als auch für das gleichbedeutende griechische Wort Phallos steht, wird als Rechtfertigung dieser Auffassung aufgeführt. Die ursprüngliche Vorstellung von der 1 als einer doppelgeschlechtlichen Zahl findet sich in der Tarotkarte DER MAGIER, dem die 1 zugeordnet ist. Diese Karte zeigt einen Jahrmarktszauberer, der in seinen Händen einen Stab hält. Auf dem Tisch vor ihm liegen Kelch, Messer und Münzen. Sein Hut hat die Form der Lemniskate, die in der Gestalt der liegenden 8 in der Mathematik als Zeichen der Unendlichkeit benutzt wird. Dieses Symbol stellt das eine dar, aus dem an dem Kreuzpunkt der Linien die 1 entsteht. Der Stab steht für das Männliche, der Kelch für das Weibliche. Ihre Vereinigung symbolisiert das Messer.

Doch warum reisen wir? Warum ist die Bewegung die eigentliche Dominante? Die abstrakte Antwort lautet: um die Fülle zu erreichen, um die Leere unmöglich zu machen.