Nach jemanden fragen,
den man nicht kennt
und darauf antworten.
Sich nach dem Befinden erkundigen
und darauf reagieren.
Die Verneinung
trägt ein Salz in ihrer Wunde,
Gedankenlosigkeit, die sie ist.
Monat: April 2009
Vladimir Nabokov – Ada oder Das Verlangen
Der erste und wahre Erzähler bleibt der von Märchen – Walter Benjamin
Eine Ewige Liebe in der Schmelze zwischen Terra und Anti-Terra ist das ein gewaltiges Lebenswerk krönende Meisterwerk Ada oder Das Verlangen (Ada or Ardor i.Orig.), das die an sich bereits typische Dichte Nabokovscher Werke noch einmal ins Extrem treibt. Die Detailversessenheit des Naturwissenschaftlers (quasi Beobachters) wird mit abenteuerlichen, doppel- und dreifachdeutigen Sprachspielen, Wortverdrehungen und Anachronismen ausgeführt und in einem imaginären 19.Jahrhundert ausgelebt, ein Traumland, das Amerussland genannt wird (Estoty) und Kanada, Teile Russlands, Nordamerikas umfasst, in dem man vier Sprachen spricht: Englisch, kanadisches französisch, Französisch und Russisch.
In “Ada” steht das Genießen der Existenz an erster Stelle, es geht um das jähe gegenwärtige Aufleuchten (Glittering Now), das die Textur der Zeit bildet, es geht um den Moment zwischen Momenten, um die absolute und reine Zeiterfahrung, die nur zwischen zwei sukzessiven Bewusstseinszuständen, als Differenz zwischen dem Nicht-Mehr und dem Noch-Nicht erfahrbar ist. Nabokov interessiert sich hier, bei allem was man in den Roman hinein oder heraus lesen möchte, für die Zeit als das eigentliche philosophische Abstraktum, indem er eine Feier des Bewusstseins zelebriert. Doch das tat er stets in seinem Werk, vor nichts graute ihm mehr als vor der “Unbewusstheit”, Freud lehnte er von ganzem Herzen ab.
Der Kritiker Alfred Kazin fasste das Faszinosum “Ada” in folgende Aussage:
Ada kann sogar nach mehrmaligem Lesen in toto nicht überzeugend erklärt werden, und die Leseerfahrung mit diesem Buch kann am besten als Reise und Umhertappen in den Gedankenwelt jenes amerikanischen Genies beschrieben werden, der Vladimir Vladimirowitsch Nabokov heißt.
Das Buch wird dem mehr als neunzigjährigen Van Veen in die Feder gelegt, der sich seiner Liebe zu Ada erinnert. Die Beziehung begann, als Van vierzehn, Ada zwölf Jahre zählte, doch Ada ist auch jetzt, da Van seine Memoiren niederschreibt, nicht fern: munter kommentiert sie hier und da das Geschehen mit. Wer das Buch heute zur Hand nimmt, wird wissen, dass diese Liebesgeschichte eine inzestuöse ist. Doch im Grunde ist dieser “höchste Tabubruch” von keiner Relevanz, Nabokov befreit die Thematik von ihrer Tragik. Am Ende siegt die Unzerstörbarkeit der Liebe, über jeden Moralischen Dünkel erhaben ist sie. Van bringt es zur Sprache, wenn er seinem Vater (der das Verhältnis aufdeckt), erklärt:
Sie war zwölf… und ich war ein männlicher Primat von vierzehneinhalb, und es kümmerte uns eben nicht. Und es ist zu spät, sich jetzt darum zu kümmern.
In erster Linie liegt die schnelle Akzeptanz einer (bei Nabokov ohnehin intelligenten) Leserschaft jedoch an zwei Kunstgriffen: einmal der Idealisierung der Liebesgeschichte, die mehr mit einem Mythos als mit gesellschaftlicher Realität zu tun hat, zum anderen die Vertuschung der Eltern über den wirklichen Verwandtschaftsgrad. Van und Ada finden von selbst heraus, dass sie Geschwister sind, doch zu diesem Zeitpunkt sitzt der Stachel der Leidenschaft bereits fest verankert in ihrem Fleisch.
Die eigentliche Analogie ist jedoch die des ersten Mannes und der ersten Frau, der Entwurf eines eigenen Mythos vom Ursprung des Menschen. Donal E. Morton schlägt vor, folgende Aussage aus “Erinnerung, sprich”- Nabokov’s Autobiografie – heranzuziehen, um sich über die Absicht (zum Beispiel über die Idee Edens oder Arkadiens) hochgestellter Bilder klar zu werden:
Auch gewährt es ein inniges Vergnügen (und was sollte wissenschaftliche Bemühung schließlich anderes gewähren?), wenn man sich das Rätsel der Entstehung des menschlichen Geistes erklärt, indem man eine sinnenfrohe Pause im Wachstum der übrigen Natur annimmt, eine Ruhe und Muse, die erst die Bildung des homo poeticus erlaubte – ohne den der sapiens niemals entstanden wäre. “Kampf ums Dasein”, ach was: Der Fluch des Kampfes und der Plackerei läßt den Menschen wieder zum wilden Eber werden, wirft ihn zurück auf die besessene Futtersuche des grunzenden Viehs… Proletarier aller Länder, geht auseinander: Die alten Bücher irren. An einem Sonntag wurde die Welt erschaffen.
Nabokov widerlegt zwei der bekanntesten Schöpfungsmythen: Die Geschichte der Bibel, nachdem Gott die Welt in sechs Tagen schuf und am siebten Tag ruhte als auch Darwins Evolutionstheorie mit der Vorstellung der natürlichen Selektion. Nach Nabokov sind beide Geschichten in mehreren Punkten falsch, in erster Linie jedoch, weil beide das Aufblühen mit Arbeit, Kampf und Taten gleichsetzen. Für Nabokov war die erste Entwicklungsstufe des Geistes poetische Bewusstheit. Bewusstsein ist die ursprünglichste Eigenschaft des Menschen, nicht Rationalität oder brutale Gewalt. Der Weg zu den Romantischen Theoretikern ist hier nicht weit entfernt: Poesie als Ursprache der Menschheit.
Novalis – Heinrich von Ofterdingen
(Vorwort zur „Liebhaberbibliothek“ der Edition Neue Moderne, die 2008 vorläufig auf Eis gelegt wurde, weil sie ein anderen Verlag übernehmen wird. Das Projekt wurde bereits für 2010 oder 2011 inauguriert. Alle Bände werden von mir bevorwortet sein.)
Es ist nicht zuletzt von Ludwig Tieck, dem Freund Friedrich von Hardenbergs alias Novalis, bedauert worden, daß dieser sein in der Theorie auf sechs Bände angelegtes „absolutes Buch“ nicht beendet konnte, und doch ist es gerade dieser fragmentarische Charakter, der ja für die romantische Produktion nicht eben selten war und sogar zur Form erklärt wurde, der den Heinrich von Ofterdingen zu eben diesem absoluten Buch macht. Der fragmentarische Roman, der romantische Roman also, ist das unabhängig seiner erreichbaren Länge, ist in sich selbst bereits auf Nichtabschließbarkeit angelegt. Novalis ist nicht selten als der Stammvater der Literatur der Moderne und sogar der Postmoderne ausgerufen worden, auch wegen seiner eingeschobenen Miniaturen, Erzählungen, Märchen und Träume – daher seiner arabesken Grundgestalt. Daß der Roman darüberhinaus eine Liebesgeschichte ist, muß kaum erwähnt werden, doch eben ist er mehr als einerseits ein fragmentarischer Roman und andererseits eine Liebesgeschichte, eine Reise, ein Künstler – also eine Modifizierung des Bildungsromans nach dem Vorbild Goethes, er ist eine exemplarische Reise in die Imagination. Es verwundert daher nicht, daß er trotz seiner Verlagerung ins Mittelalter, eigentlich nichts mit dieser Zeit zu schaffen hat. Es ist, wie jede Imagination, ein zeitloser Effekt, der dem Roman innewohnt, die Stationen der Reise sind keine geographischen, sondern allegorisch-philosophische Orte. Hier wird ein Dichter initiiert, das ist das primäre Anliegen des Romans. Poesie, Krieg, Natur, Geschichte und Liebe sind die Elemente der Dichterbildung und gleichzeitig Formen der Entgrenzung und Vermittlung. Daß uns gerade hier das Symbol der Blauen Blume als Leitmotiv der Sehnsucht begegnet, mit dem Bild der geliebten Mathilde überlagert, verweist nicht nur auf die jenseitigen Gefilde im Roman selbst, sondern bereits auf das Jenseits des Romans als solchen. Die Blaue Blume, die Heinrich am Ende seiner Reise pflücken sollte, wird er nicht pflücken, auch wenn Ludwig Tieck in seiner Rekonstruktion des weiteren Verlaufs das nach dem Willen des Dichters so anmerkt.
Der Roman als solcher enthält kein bestimmtes Resultat – er ist nicht Bild und Faktum eines Satzes. Er ist anschauliche Ausführung – Realisierung einer Idee, sagt Novalis selbst. Daß der Roman schlußendlich nur diese Idee blieb, konnte der Dichter nicht ahnen. Die Durchdringung des Ichs und der Welt mit dem Bewußtsein der Existenz eines unendlichen Reichs der Liebe, des Friedens und der Eintracht – die Idee des Priester-Dichters, dem romantischen Poeten – das hat uns Novalis jedoch hinterlassen, und nicht zuletzt eines der rätselhaftesten Schmuckstücke der deutschen Literatur.
April, Zwanzig, Neun
Es war der Tag, an dem wir alle abreisten; Salzburg, Zürich, Leipzig hießen unsere Stationen. Ich saß da und schmierte ein Gedicht, das die beiden Tage in mir übriggelassen hatten. Es lautete:
Leichtes Gewand quälender Schatten
Nichtsahnende die Nähe
Unverstanden der Anordnung
Wirklicher Symbole
Herztracht Überzug
Firnis der Berührungslosigkeit
Weisheit in den Träumen
Außerhalb geschenkt
Technicolor der anderen Welt
Ein großes Gemälde unterworfener Momente
Geiferndes Trugbild
Beschlagen von Zweifeln ungewisser Worte
Wabern die Sinne darin
Duktus der Augen
Die dieses Bild entstehen lassen
Ich las es vor, während die anderen ihre Sachen zusammenpackten, und ich war froh, daß mich niemand fragte, was ich mir eigentlich dabei dachte, das ohnehin schon hektische Frühstück mit einem derartigen Blödsinn versehen zu müssen. Was weder ich noch einer der Anwesenden ahnen konnte: genau diese hingealberten Worte bildeten den Auftakt meines Triumphes. Später, als ich selbst im Zug saß und das Gefühl, das mich nun schon einmal beschlichen hatte, nicht mehr los bekam, nämlich, das richtige gemeint zu haben, aber an diesem frühen Nachmittag unfähig gewesen zu sein, mich zu formulieren, und vor allem: es selbst auch reichlich bemerkt zu haben, denn alles war ja nur ein klumper Batzen Nanus, arbeitete ich weniger die Worte um, als vielmehr den Speicher auf, der sich – oh wie herrlich – endlich füllte. Kalter Schaum webt dein Bildnis in den Abguß…, Ich spreche und ich sage nichts dabei. Ich sage nicht: ich liebe, nicht, daß ich dich lieben könnte…, aber der Anfang war anders, der Anfang, der mich sofort überfiel, nachdem ich niedersaß, war folgender: Das leichte Gewandt eines quälenden Schattens umzürnt meine Haut, als ich das Licht verlasse, um halbiert im Zwielicht zu schaukeln.
Die Nacht war laut gewesen; im Studio, das Stunden vorher der Poesie gehörte, tönte ein betrunkenes Duo wie ein apokalyptischer Kurzschluß und lockte den stilleren, anbrechenden Morgen aus dem Wald, der, wie alle Anwesenden auch, brutal am Schlaf gehindert wurde. Es ging darum, die eigenen Stromschläge in Energie umzuwandeln, denn es galt, diese unmögliche Konstellation aus dem Kopf zu bekommen. Kein Wunder, daß ich beim Verfassen der ersten Zeilen starken Schwankungen unterlag. Kein Toaster hätte nach dieser Nacht ein Brötchen gebräunt.
Ich erinnere mich, daß sie auf dem Boden saß, die Beine in einen Schneidersitz verharkt (eine Haltung, die sie einnahm, um der Welt zu entwischen). Ihr Blick schweifte in unendlichen Bezirken, sie war ganz in sich zu Hause, begünstigt von diesem dunklen faden Leuchten, das typisch für diesen Kellerraum war, während ihr Denkmanöver beinahe greifbar in der Luft promenierte.