(Vorwort zur „Liebhaberbibliothek“ der Edition Neue Moderne, die 2008 vorläufig auf Eis gelegt wurde, weil sie ein anderen Verlag übernehmen wird. Das Projekt wurde bereits für 2010 oder 2011 inauguriert. Alle Bände werden von mir bevorwortet sein.)
Wir wissen nicht, wer der geheimnisvolle Verfasser war, der 1804 unter dem Pseudonym Bonaventura seine Nachtwachen in dem kleinen sächsischen Ort Penig veröffentlichte und damit eine Perle der „Schwarzen Romantik“ hinterließ. Warum das Werk schlußendlich August Klingemann zugesprochen wurde, stützt sich vornehmlich auf zwei Indizien. Da wäre erstens ein Tagebucheintrag zu nennen, neben dem ein Werkverzeichnis aufgeführt zu lesen stand. Die Nachtwachen waren dort vermerkt. Das zweite Indiz stützt sich auf einen Vergleich mit dem Grundwortschatz der anderen Werke Klingemanns, der eine verblüffende Übereinstimmung mit den Nachtwachen erkennen ließ. Hingegen muß gesagt werden, daß es auch ebenfalls einige Argumente gibt, die gegen die Autorenschaft sprechen. Zuvorderst steht dem, daß es sich bei den Nachtwachen um ein kunstanschauliches Bekenntnis handelt, um ein parodistisches Spiel mit derart hohem Anspruch, wie man es in den Werken Klingemanns sonst nirgends antrifft.
Wir können allerdings sagen, daß es dem Werk selbst gut zu Gesicht steht, ein Mysterium um die Urheberschaft zu schließen. Nahezu jeder damals bekannte Autor wurde des Werkes bereits „verdächtigt“, allen voran der Naturphilosoph Schelling, der nicht selten seine lyrischen Beiträge mit „Bonaventura“ unterzeichnete. Auch dessen Ehefrau Caroline wurde als Autorin genannt; es wurde auf Parallelen mit den Werken E.T.A Hoffmans, Brentanos und auch auf Achim von Arnim hingewiesen. Ob es sich zuletzt gar um eine Gemeinschaftsproduktion handelte, wie es der Theorie der Romantik durchaus entsprochen hätte? Friedrich Schlegel und Novalis sprachen doch recht unmißverständlich von einer Symphilosophie, einer Sympoesie und nicht schließlich von einem „absoluten Buch“.
Wenn wir die Liebhaberbibliothek mit diesem solitären Werk beginnen, dann steht am Anfang eher nicht die mondbeglänzte Zaubernacht, wie sie etwas Ludwig Tieck beschwor, sondern ganz im Gegenzug das Irrenhaus und eine Aufforderung zum Nihilismus. Hier also treten wir in die wirkliche Nacht hinaus, nicht ohne in dieser Satire eingemalt so manches wiederzuerkennen, was wir heute nicht anders zu formulieren trachteten. Wir werden dem Gedanken während des Studiums der Werke der Romantik noch häufig begegnen: daß sich im Grunde nichts wirklich in eine andere Richtung entwickelt hat, daß die Possenspiele der Menscheit sich stets wiederholen und daß doch alles im „Nichts“ endet. Das Konstruktionsprinzip besteht bereits hier aus einem Labyrinth der Formen- und Perspektivenfielfalt, die nicht mehr auf eine Kausalität oder Finalität abzielen, sondern in einer Arabesken-Technik die zerlegten Handlungsteile darbieten, wie es weit über die Romantik hinaus bis in unsere Tage hinein anzutreffen ist. Umso erstaunlicher muß man es werten, daß die Nachtwachen niemals den Rang als ein Klassiker der Moderne behaupten konnten, der ihnen durchaus zusteht.
Michael Perkampus, Zürich 2008