Der gedeckte Tisch

Der gedeckte Tisch im Traum ist bekanntlich das Sexualsymbol für die Frau. Eine Unterscheidung liegt jedoch darin, ob der Tisch bereits gedeckt vorgefunden wird oder ob sich der Träumer erst anschickt, den Tisch zu decken. Es ist gerade die Verbindung von Essen und Schmecken, die auch in unserer Alltagssprache mit dem Sexus assoziierbar gemacht wird: Jemanden vernaschen, mag da als Beispiel seinen Zweck erfüllen, vor allem auch deshalb, weil das „vernaschen“ etwas anderes bedeutet, wie das Essen mit Messer und Gabel. Das Essen aus der Hand hat etwas entschieden Individualistischeres und es verknüpft den einzelnen unmittelbarer mit der Materie, ist die Äußerung der reserveloseren Begierde. Die Annäherung an den Anderen – das Andere – findet sich überhaupt in der Esskultur bestätigt, bei der es nicht um die Nahrungsaufnahme, sondern um die Begegnung mit der Geschichte, den Sitten und Gebräuchen, dem Lebensstil, Veränderungen und den sozialen Alltag geht. Durch Essen wird eine fremde Kultur schmeckbar, riechbar, fühl-und sichtbar – und auch der Mensch, der nicht ich ist, dem ich aber so nahe wie nur irgend möglich kommen möchte. So ist ein romantisches Abendessen nicht selten Akt eines Vorspiels oder gar das Vorspiel selbst. Man schmeckt das Gleiche, nimmt das Gleiche wahr, schwingt sich aufeinander ein – und schmeckt sich nicht zuletzt gegenseitig. Das Mahl findet seine Fortsetzung im Liebesakt und nicht etwa seine Unterbrechung. Der Kuß – für die Frau ein Vertrauensbeweis, für den Mann meistens das Interessant machen als in Frage kommenden Partner – als Trinken der Aura, des Atems, dort, wo die Lebensenergie ihren Rhythmus einsaugt und ausstößt, bereits den Takt vorgibt für das Hauptgericht, das man selbst im anderen ist. Das Essen sowie der sexuelle Verkehr sind die Voraussetzung für die Existenz des Menschen und aus diesem Grunde auf der gleichen Verhaltensstufe anzutreffen, man giert ja nicht selten nach einem Stück Torte in einem ähnlichen Maße wie nach einem weiblichen/männlichen Wesen.

Für die Ausgestaltung einer verführerischen Atmosphäre würde ich einen frühlinghaften Tischschmuck empfehlen. Kirschblütenzweige in einer eleganten schwarzen Vase oder eine schwarze Schale mit roten Früchten, den ganzen Raum in warmes Kerzenlicht getaucht, das sich in den Kristallgläsern auf dem Tisch widerspiegeln kann. Die Tischdekoration sollte in den Farben rot und weiß mit schwarzen Akzenten aufwarten. Rote Tischdecke, weißes Porzellan, schwarze Servietten, viele weiße Kerzen, weiße Frühlingsblüher und Zweige. Bei der Farbe Rot schaltet die Psyche auf Dynamik und ein schwarzer Hintergrund bringt jedes rot zum Glühen.

April, Dreizehn, Neun

Anmerkungen zu Ada:

Der unbedingte Wille zum Bewusstsein, den Nabokov mit der Möglichkeit einer detaillierten Erinnerung gleichsetzt, ist in seiner Ausführung umso erstaunlicher, als dass diese das Wildern in den ästhetisch intensivsten Momenten von Ada und Van zu eigenen Erinnerungen machen. Es sind neben den Figuren die Form- und Zeitexperimente, die diesen großen Roman so gewaltig machen. Ada und Van leben in einem Land der Erinnerung und der Vorstellungskraft, losgelöst von Gesetzen wie Zeit und Raum. Nabokov hat immer wieder betont (und im Roman auch vorgeführt), dass Zeitmessung den Erlebenden zuzuordnen sei und nicht der Uhr oder dem Jahrhundert, in dem der Roman zu spielen vorgibt. Deutlich wird das in den zahlreichen Anachronismen wie zb. dem Vermischen der Jahrhunderte.

Die vitale Lektüre

Iris Denneler sieht im Lesen einen Zeitverlust und einen Zeitgewinn, sieht das Lesen als Abhandenkommen von Welt und Versuch, sich darin zu versichern, als Suche nach Heimat und Lust zur Lektüre ‚ohne Gewähr’. Ich teile ihre Ansicht, daß der Autor in erster Linie Leser ist, wie es Peter Handke einmal formulierte und wie man es in Iris Denneler’s Buch „Ungesicherte Lektüren“ dann auch zitiert finden kann
Daß es den Schriftsteller an sich gar nicht gibt, weil er zunächst und in erster Linie nämlich selbst Leser ist (und zum Schriftsteller macht den Schriftsteller wiederum nur ein anderer Leser), wird dann bedeutend, wenn wir wissen: schreiben ist nichts anderes als intensiveres Lesen, Zuerst-Lesen, Vor-Lesen, das Lesen dessen, was gerade erst geschrieben wird in aller Tintenfrische. Wen sollte es dann noch wundern, wenn ich den nächsten, nicht endgültigen, sondern gültigen Schritt tue: Schreiben ist Gedanken-Lesen. Daß dies nicht einmal die eigenen sein müssen, wissen die meisten Schriftsteller, die sich oft genug selbst fragen: „Woher zum…“.
Es wird an einer Novelle von Arthur Schnitzler all zu deutlich, daß Lesen unser Leben retten kann. Gemeint ist das unvollendet gebliebene Fragment „Der Boxeraufstand“. In dieser Eloge äußert der Delinquent als letzten Wunsch, seine Lektüre beenden zu dürfen und rettet dadurch sein Leben.
Die Lesearten sind nun nicht unwichtig. Dieser „Clou“ des Textes lässt sich so lapidar in einen Satz verpacken, wozu sollte man daraus noch eine Geschichte machen, die das Eigentliche dann nur auf diesen Punkt zuführt? Weil mit diesem Satz alles und nichts gesagt ist. Die Erzählung schließt mit diesem Ereignis, die eigene Leseart beginnt jedoch erst nachdem die Geschichte konsumiert wurde.
Wenn wir verstehen, daß Leben auch „zu lesen“ heißt, haben wir ein Synonym für Lektüre zur Hand, dieses Spannende verfolgen von Symbolen, Zeichen, Verweisen, Metaphern, Tropiken, auch: Handschriften des Lebens. Dann wird Leben zur ungeschriebenen Literatur, jedoch nicht zur ungelesenen.

Das gemachte Bett

Das Bett ist der Ort, wo man liebt und träumt. Somit ist es die wahre Werkstatt der Literatur, des Dichters eigentliche Heimat, sagt Jean Paul im Hesperus.
Gérard de Nerval, der sanft und bescheiden war, konnte erröten wie ein junges Mädchen. Doch als er sich richtig verliebte, kaufte er ein riesiges Renaissance-Bett, um das Objekt seiner Leidenschaft darin zu empfangen. Théophile Gautier, der das Bett während Nervals Reisen, die ihn bis nach Syrien und Ägypten führten, in Gewahrsam hatte, erzählte, daß „im feierlichen Moment jeder hätte verschwinden sollen“. Aber die Göttin, für die dieser Tempel gebaut worden war, stieg nie zu ihm herab.“

In seiner „Aurelia“ gibt der französische Romantiker von dieser Liebe Kunde. Das Manuskript des Werkes fand man im Januar 1855 in der Tasche des an einem Pariser Laternenpfahl erhängten Dichters – ein rätselhaftes Buch voller bizarrer Bilder. Der Hintergrund der erzählten Ereignisse ist die authentische Beziehung zu der Schauspielerin Jenny Colon, deren Liebe Nerval durch eigenes verschulden verloren hatte. In seiner Bestürzung über diesen endgültigen Verlust öffnet sich der Erzähler der phantastischen Bildwelt seiner Träume und Halluzinationen. Auf wunderbare Weise scheinen Traum und Wirklichkeit sich zu entsprechen: „Hier hat für mich begonnen, was ich das Hineinwachsen des Traums in das wirkliche Leben nennen will.“

(Reprint nach der Erstausgabe von 1910 der edition spangenberg, München mit Zeichnungen von Alfred Kubin)

Nicht auf das erfahrbare Unglück der romantischen Liebe will ich aber hinaus, sondern auf das Bett als Quell der Lebensenergie. Es ist selbsterklärend, daß hier auch die Eskapaden -, das Tor aus Elfenbein und Horn leuchtet bereits auf, welches soll sich gleich öffnen? -, des Traumes beginnen. Zu einem plumpen Ort, an den man sich nach getaner Arbeit begibt, um am nächsten Morgen um sieben wieder daraus hervorzuspringen, um seine Sklavendienste anzutreten, wurde das Bett erst in der bürgerlichen Moderne degradiert, da jeder, der sich über die Zeit darin verschanzte, als Taugenichts und Müßiggänger verstempelt wurde, gerade so, wie es die Idiotie der bürgerlichen Welt nun einmal eignet.
Aber das Bett ist vielmehr als eine Garage des Körpers, während der Geist in den Fürstentümern der Anderswelt herumbeutelt. Im hellwachen Zustand ist es die vorgelagerte Wolke, in der man sich vermischt, um sich völlig verändert in den Armen liegen zu bleiben und um miteinander zu atmen.
Wenn Paare gemeinsam ein Bett teilen, dann geht es um mehr als nur um den Schlaf, es geht um die Erneuerung und die Erhaltung der Beziehung. Es kann die einzige Zeit sein, in der Paare erfahren, was mit dem anderen los ist, was er plant, welche Entscheidungen er trifft, was ihn bedrückt. Das gemeinsame Bett ist für viele Paare ein Symbol dafür, daß sie wirklich ein Paar sind. Was sich da so lapidar ausmacht, ist allerdings keineswegs so sehr bewußt, wie es zunächst den Anschein hat. Die Symbolik liegt nämlich nicht darin, es eben einfach zu tun, weil man vielleicht keine andere Möglichkeit besitzt, sondern in dem, was als „Bettgeflüster“ in den Volksmund gerutscht ist. Die nicht eigentlich definierte Bedeutung dieses Begriffs umreißt jedoch ein Gesprächsverhalten, dem man in einer anderen Form gar nicht begegnen kann. Es gehört sogar zu den intimsten Möglichkeiten, die man als Paar zur Verfügung hat in einer Zeit, da selbst der Geschlechtsakt nicht zwingend eine „seelische“ Vereinigung mit erfordert, sondern aus der Distanz absolviert werden kann und in den meisten Fällen auch wird. Das Bettgeflüster ist anders, es meint die vollkommene Demaskierung und findet auch nur dann seine Anwendung, wenn jeglicher Alltagsdünkel fallen gelassen wurde. Während Dialoge, Tagebücher, Reden und Briefe sich längst literarisiert finden, verbleibt das Bettgeflüster zwischen zwei Menschen, ohne daß dazu eine Rose an der Decke hängen müßte, die daran gemahnt, das hier Gesagte hat in dieser „dem Traum vorgelagerten Wolke“ seinen Ursprung und seine ganze Tragweite, die Archivierung der Worte findet nur in der eigenen geheimnisvollen Kammer Eingang, die jeder Mensch, sei er exhibitionistisch oder nicht, auch wenn er wollte, gar nicht zu öffnen wüßte. Ist der Modus „Bettgeflüster“ erst einmal aktiv, gibt es keine Möglichkeit, seinen Codex zu durchbrechen. Es ist leichter, einen Traum wiederzugeben – und was die Scham angeht, leichter in einer Flughalle völlig gelassen unter all den Leuten auf den Boden zu scheißen, als das Bettgeflüster einer Allgemeinheit zugänglich zu machen. Die mißglückten Versuche finden sich bei Mata Hari als auch Casanova wieder.

April, Acht, Neun

Wollte lange in die Nacht hinausgehen, die Straße des Sommers entlang in östliche Richtung. In der Nacht klingelte Pascal gerade in dem Moment als ich das erste Wort in eine Folge mit anderen Wörtern setzen wollte. Ich versuche mich an Stimmungen, die Textur ist mir wichtiger als der Text, etwas, das hinter der Nacht liegt ohne Tag zu sein. Pascal, der neben mir – oder unserer WG – wohnt, ist einer der wenigen Draufgänger, die es in der Schweiz zu finden gibt. Natürlich unterhalten wir uns über die Prüderie der Schweizerinnen. Er ist der Meinung, als Schriftsteller müsse ich von Bett zu Bett hüpfen. Ich verneine. Der gewöhnliche Akt interessiert mich schon lange nicht mehr. Die Spannung liegt in der Psyche. Seelisch spannende Frauen sind schwer zu finden. Nennen wir es Perversion oder Liebe, Surrealité auch hier. Pascal sagt, seine brasilianische Freundin (die ich stets für eine Afrikanerin hielt, weil sie einen französischen Akzent spricht) würde sich unverhohlen für mich begeistern. Ich schätze, das wird vergehen, wenn sie erfährt, dass ich Schriftsteller bin.