Juni, Dreißig, Neun

Genie bricht die regeln und erschafft sich selber neue. Der genielose, matt und kraftlos, kann nie ohne die krücke der regeln und gesetze gehen, kraftlos und elend nie über die vorgezeigte bahn wegspringen. Er schleicht also ruhig und dumm, gleich jenem trägen lastbaren tier, im gleise fort.
Im bild des genies wird ein selbstbewusstsein gegen die hierarchische, starre und beschränkte welt formuliert. Kleinbürgerliche unterwerfungsbereitschaft, anpassung an konventionen, verengung auf gesichtspunkte von berufs amt und erwerb, der ganze gesellschaftliche mechanismus, dazu ein trockener rationalismus, der kein geheimnis übrig lassen will, sind nicht akzeptabel und stehen dem genie nicht vor.
Genie ist nichts anderes als ein leben, stark genug, sich nicht an seinem wachsen, ausströmen, ausdrücken und entwickeln hindern zu lassen. Genie ist die geglückte teleologie der natur.
Genie bin ich.

Juni, Neunundzwanzig, Neun

So viele Nächte habe ich in den Kristall geschaut
und was es brächte habe ich die Zeit gefragt.

– Perkampus, Du hältst mich in deinem Bettchen fest

um den wunsch zu einem kristall werden zu lassen, muss auch das objekt des wunsches es wünschen, bewünschtest objekt zu sein, und andersherum muss das gewünschte objekt den wünscher wünschen.

lanka kristallisiert sich wie ein tagelanger wunsch aufgestaut wurde. noch einmal den wunsch selbst wünschen, und am nächsten tag erneut. ich brachte fafnir zum bahnhof und hatte ihm von der abgesandten der göttin erzählt, von ihrer plözlichen gegenwart, der eine verabredung im geiste vorausgeht. unser kultisches denken ist stets magisch aufgeladen – die realität der massen ist nur ein flüssiges wabern. doch erst als ich den tagelangen gedanken einen moment lang nicht dachte, stand sie plötzlich am bahnsteig.
wie oft schalt ich die geister in der nacht, mich naszuweisen, und sie antworteten stets, dass ich nicht aufmerksam sei. in der tat war ich es die letzten wochen und monate nicht. doch es ist alles für meine rückkehr vorbereitet.

Juni, Fünfundzwanzig, Neun

doch, durchaus, ich befinde mich in einem kabinett mit schwingtüren an den zugängen. kein weg lockt mich mehr als der andere, wohin ich gleite, weiss ich nicht. das ist ein verrücktes und wattiges gefühl. es ist sogar denkbar, dass ich nach deutschland zurückkehre – nur, um das auszusprechen.

Juni, Vierundzwanzig, Neun

der faktor der wiederholungen. ich konnte kaum etwas längere zeit durchbrechen. immer wieder schlitterte ich auf den altbekannten trümmerhaufen zu. das prägte mein bild von einem labyrinth. es konnte keine bessere zeit geben, um die geschichte mit madeleine aufzuschreiben. als ich sie kennenlernte, lebte ich mit angela in einem haus, das wir zum theater umfunktioniert hatten. ich lernte angela vor madeleine kennen, madeleine aber sofort lieben. vier jahre lang trafen wir uns heimlich, um unsere leidenschaften auszutragen. damals war ich derjenige, der, als sie selbst endlich frei war und zu mir wollte, die türen schloss. heute dämmert mir mein scherbenhaufen als retourkutsche. ich bin meiner nemesis begegnet. und ich krieche nicht unbeschadet unter dem schuttberg hervor. ich benötige ruhe und eine zweite zunge, mir die wunden zu lecken.

der marketender:
“und wo geht’s demnächst hin?”
“weiß ich nicht genau.”
“aber sie gehen wieder unter leute, ihre gesichtsfarbe verrät’s.”
“die zeit vergeht. ich habe nicht bemerkt, wie die jahre verschwinden.”
“kenn’ ich, plötzlich ist man wo anders und weiß nicht, wie man dort hingekommen ist.”
“schlimmer: ich sehe mich um und es steht nur noch die kulisse einer einmaligen aufführung. wie einen das licht doch blendet, das schattenspiel, die eigenen ideale.”
“würden sie denn etwas ändern wollen?”
“viel nicht, aber manches doch. ich würde hier und da etwas vorsichtiger sein. wissen sie, vor allem sind es die gefühle, die uns irreführen. das begreift man erst spät, auch wenn man vorgibt, es stets zu wissen. ich habe nie gelernt, mich zurückzuhalten, mich zu verbergen. es herrschen jedoch die gesetze des scheins. ein schönes spiel, solange es nicht viel kostet.”
“reich sind wir alle nicht.”
“ich war’s.”

18.37

Freneter im Heissmond sowie Stein & Asche als pdf. (Dokumente eines Niedergangs)

Abortus im Wasser

dort kommen wir in gewänder gehüllt.
wie einst die behringstrasse passieren wir den horizont
und suchen, suchen, suchen
ohne zu ahnen: die welt ist mehr und mehr rund
und wir verlieren unsere wanderschaft zu beginn schon.
wir wollen nichts wissen,
wir wollen nur bleiben
und sind wir geblieben, ruft uns das wasser zu sich

*1990