April, Zwanzig, Neun

Es war der Tag, an dem wir alle abreisten; Salzburg, Zürich, Leipzig hießen unsere Stationen. Ich saß da und schmierte ein Gedicht, das die beiden Tage in mir übriggelassen hatten. Es lautete:

Leichtes Gewand quälender Schatten
Nichtsahnende die Nähe
Unverstanden der Anordnung
Wirklicher Symbole
Herztracht Überzug
Firnis der Berührungslosigkeit
Weisheit in den Träumen
Außerhalb geschenkt
Technicolor der anderen Welt
Ein großes Gemälde unterworfener Momente
Geiferndes Trugbild
Beschlagen von Zweifeln ungewisser Worte
Wabern die Sinne darin
Duktus der Augen
Die dieses Bild entstehen lassen

Ich las es vor, während die anderen ihre Sachen zusammenpackten, und ich war froh, daß mich niemand fragte, was ich mir eigentlich dabei dachte, das ohnehin schon hektische Frühstück mit einem derartigen Blödsinn versehen zu müssen. Was weder ich noch einer der Anwesenden ahnen konnte: genau diese hingealberten Worte bildeten den Auftakt meines Triumphes. Später, als ich selbst im Zug saß und das Gefühl, das mich nun schon einmal beschlichen hatte, nicht mehr los bekam, nämlich, das richtige gemeint zu haben, aber an diesem frühen Nachmittag unfähig gewesen zu sein, mich zu formulieren, und vor allem: es selbst auch reichlich bemerkt zu haben, denn alles war ja nur ein klumper Batzen Nanus, arbeitete ich weniger die Worte um, als vielmehr den Speicher auf, der sich – oh wie herrlich – endlich füllte. Kalter Schaum webt dein Bildnis in den Abguß…, Ich spreche und ich sage nichts dabei. Ich sage nicht: ich liebe, nicht, daß ich dich lieben könnte…, aber der Anfang war anders, der Anfang, der mich sofort überfiel, nachdem ich niedersaß, war folgender: Das leichte Gewandt eines quälenden Schattens umzürnt meine Haut, als ich das Licht verlasse, um halbiert im Zwielicht zu schaukeln.
Die Nacht war laut gewesen; im Studio, das Stunden vorher der Poesie gehörte, tönte ein betrunkenes Duo wie ein apokalyptischer Kurzschluß und lockte den stilleren, anbrechenden Morgen aus dem Wald, der, wie alle Anwesenden auch, brutal am Schlaf gehindert wurde. Es ging darum, die eigenen Stromschläge in Energie umzuwandeln, denn es galt, diese unmögliche Konstellation aus dem Kopf zu bekommen. Kein Wunder, daß ich beim Verfassen der ersten Zeilen starken Schwankungen unterlag. Kein Toaster hätte nach dieser Nacht ein Brötchen gebräunt.
Ich erinnere mich, daß sie auf dem Boden saß, die Beine in einen Schneidersitz verharkt (eine Haltung, die sie einnahm, um der Welt zu entwischen). Ihr Blick schweifte in unendlichen Bezirken, sie war ganz in sich zu Hause, begünstigt von diesem dunklen faden Leuchten, das typisch für diesen Kellerraum war, während ihr Denkmanöver beinahe greifbar in der Luft promenierte.

Veröffentlicht von

Michael Perkampus

Michael Perkampus war Moderator der Literatursendung Seitenwind für Radio Stadtfilter in Winterthur. Er ist Autor, Übersetzer und Herausgeber des Phantastikon.